Kindergrundsicherung

Reaktionen auf die Eckpunkte der Bundesregierung

Monatelang rang die Koalition um eine Einigung bei der Kindergrundsicherung. Am 28. August 2023 stellten Bundesfamilienministerin, Bundesfinanzminister und Bundesarbeitsminister nun die neue Kindergrundsicherung vor. In unserem gebündelten Artikel, der laufend aktualisiert wird, finden Sie neben den Informationen der Bundesregierung zum Eckpunktepapier wichtige Reaktionen mehreren Organisationen.

06.09.2023

Am 28. August 2023 benannten Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die lange erarbeiteten Eckpunkte zur Kindergrundsicherung.

Meldung der Bundesregierung

Der Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung soll zeitnah vom Bundeskabinett beschlossen werden. Dann startet das parlamentarische Verfahren. Im Jahr 2025 soll die Kindergrundsicherung erstmals ausgezahlt werden. Mit der neuen Kindergrundsicherung, so die Bundesregierung, sollen:

  • alle relevanten Leistungen für Kinder zu einer Leistung zusammengefasst werden,
  • bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohte Kinder und ihre Familien erreicht werden,
  • Leistungen schneller, einfacher und direkter ankommen und
  • Familien profitieren, die bisher nicht wussten, dass ihnen Unterstützung zusteht.

Die neue Kindergrundsicherung

Die Kindergrundsicherung soll aus einem für alle Kinder gleich hohen Kindergarantiebetrag bestehen, der das heutige Kindergeld ablöst, und aus einem einkommensabhängigen Kinderzusatzbetrag. Zusammen decken Kindergarantiebetrag und Kinderzusatzbetrag das soziokulturelle Existenzminimum für Kinder ab. Mit dem Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung werden Familien mit weniger Einkommen stärker unterstützt.

Serviceorientierte Dienstleistung für Familien und Kinder

Bestandteil der neuen Kindergrundsicherung soll ein erleichtertes Antragsverfahren sein. Die Bundesregierung erklärt hierzu:

„Die Kindergrundsicherung wird einfach und digital zu beantragen sein. Mit dem Kindergrundsicherungscheck prüft der Familienservice, ob eine Familie Anspruch auf den Zusatzbetrag haben könnte und informiert proaktiv die Eltern. Über das digitale Antragsportal können Eltern - wenn sie das möchten - einfach und ohne Gang auf das Amt den Antrag stellen. Eine Antragstellung vor Ort ist selbstverständlich weiter möglich. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Kinder, die einen Anspruch auf Unterstützung haben, ihn auch tatsächlich bekommen."

Situation von Alleinerziehenden verbessern

Die Bundesregierung betont, dass Personen, die alleine Kinder großziehen, besonders von Armut betroffen sind. Aus diesem Grund wird beschlossen, dass Unterhaltszahlungen zukünftig nur zu 45 Prozent als Einkommen in die Berechnung des Zusatzbetrages einfließen sollen, anstatt wie bisher zu 100 Prozent. Zudem wird ein Mindestverdienst von 600 Euro für Alleinerziehende von Schulkindern und Teenagern zur Voraussetzung für eine verbesserte Anrechnung von Unterhalt/Unterhaltsvorschuss gemacht.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus betonte:

„Die neue Kindergrundsicherung kommt. Nach Jahrzehnten der politischen Diskussion ist es diese Bundesregierung, die eine Antwort auf Kinderarmut in Deutschland gefunden hat. Darauf können wir stolz sein. Das Ergebnis ist die umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren! Die Kindergrundsicherung ist der Einstieg in eine wirksame und grundlegende Bekämpfung der strukturellen Kinderarmut in Deutschland.

Wir fassen alle relevanten Leistungen für Kinder zu einer Leistung zusammen – zur Kindergrundsicherung.

Wir stehen klar an der Seite aller Kinder und ganz besonders an der Seite der Kinder, die von Armut betroffen und bedroht sind. Die Kindergrundsicherung schafft mehr soziale Gerechtigkeit und ist eine kluge Investition in die Zukunft unseres Landes."

Reaktionen aus Verbänden und Trägern

Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers äußerten sich mehrere Institutionen zu den vorgestellten Maßnahmen der Bundesregierung. Einige Organisationen begrüßten die geplanten Maßnahmen als wichtigen Schritt zur Verbesserung der Kinder- und Jugendhilfe, während andere Bedenken äußerten und auf mögliche Schwachstellen hinwiesen.

Der Paritätische: Enttäuscht von den vorgestellten Eckpunkten zur Kindergrundsicherung

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, erklärte:

Die Eckpunkte sind enttäuschend. Die Angaben zur Höhe des Kindergeldes sind vage. Nennenswerte Leistungsverbesserungen für Kinder, die jetzt in Hartz IV sind, sind offenbar nicht vorgesehen. Die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket werden nicht pauschal ausgezahlt, sondern sollen weiterhin einzeln beantragt werden. Die veranschlagten 2,4 Millarden Euro Mehrkosten gehen wohl eher für Verwaltung drauf. Die verbesserten  Anrechnungsregelungen für Alleinerziehende, die Grundsicherung beziehen, gleichen die Verschlechterungen unterm Strich nicht aus. Eine echte Neubemessung des Existenzminimums für Kinder, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, findet nicht statt. Tatsache aber ist: Die Wahrheit liegt im Portemonnaie. Die Regelsätze sind nach Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes derzeit um 44 Prozent zu niedrig, um das Existenzminimum sicherzustellen. Sollten arme Kinder am Ende nicht mehr Geld bekommen, bleiben sie arme Kinder. Genau das aber ist zu befürchten."

Arbeiterwohlfahrt: Eckpunkte werden den Bedarfen nicht gerecht

Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) zeigt sich enttäuscht angesichts der bekannt gegebenen Einigung zur Kindergrundsicherung. Aus seiner Sicht ist sie zu einer Verwaltungsreform reduziert wurden. Die AWO merkt in einer aktuellen Meldung an, dass das, was ein Meilenstein hätte werden können, nun ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen sei. Michael Groß, Vorsitzender des Präsidiums der Arbeiterwohlfahrt, erklärte:

„Die heute angekündigten Leistungserhöhungen bleiben noch weit hinter den Bedarfen zurück. Dass der Finanzminister statt klaren Finanzierungszusagen nun wieder damit argumentiert, dass Eltern verstärkt in Beschäftigung gebracht werden müssen, ist eine Farce - denn gleichzeitig sieht sein Haushaltsentwurf eine Kürzung der Mittel für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vor. Das passt nicht zusammen. Mit Blick auf die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung freut uns als AWO jedoch, dass viele kindbezogene Leistungen zusammengefasst werden sollen und sich beim Bewilligungszeitraum und der Abschmelzrate ein Beispiel am Kinderzuschlag genommen wird. (…)“

Diakonie Deutschland: Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf

Die Diakonie Deutschland begrüßt, dass mit der Auflösung der Blockade erste Schritte zur Kindergrundsicherung möglich werden. Mit dem vorgestellten Kompromiss sollen Leistungsansprüche leichter anerkannt werden. Allerdings erfolge entgegen der Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine systematische Überprüfung des Existenzminimums. Es sei weiterhin zu niedrig bemessen.

Ein am 18. August vorgestelltes Gutachten von DIW Econ und Diakonie hat gezeigt, dass eine deutliche Leistungsanhebung nötig wäre, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen. Insofern leistet das geplante Gesetz nur die Hälfte dessen, was im Koalitionsvertrag versprochen wurde. Die Situation von Alleinerziehenden wird sich kaum verbessern, wenn ausschließlich verminderte Unterhaltsanrechnungen für Erwerbstätige vorgesehen sind.

VAMV e.V.: Verbesserungen für Alleinerziehende mit Widerhaken

Die Bundesregierung hat sich auf Eckpunkte für eine Kindergrundsicherung geeinigt. „Wir haben von einer Kindergrundsicherung mehr erhofft“, kritisiert Daniela Jaspers, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV). „Wir begrüßen, dass für Alleinerziehende Verbesserungen vorgesehen sind. Allerdings werden wir sehr genau auf die Details im Entwurf schauen. Davon auszugehen, dass Alleinerziehende Erwerbsanreize brauchen, um das Familieneinkommen zu steigern, geht jedoch komplett an der Realität vorbei.“

Der Finanzminister kündigte in der Pressekonferenz an, durch „verschärfte Erwerbsanreize“ die Einkommenssituation in Einelternfamilien zu verbessern. Daniela Jaspers erklärte weiter:

„Das ist weltfremd und ein Schlag ins Gesicht all der Alleinerziehenden, die Tag für Tag im Spagat zwischen Beruf, Kindern und Haushalt an ihre Grenzen gehen. Erwerbsanreize zu setzen, indem man den Unterhaltsvorschuss auch für die Kinder im mittleren Alter an ein Mindesteinkommen von 600 Euro knüpft, geht am Problem vorbei.“

Caritas: Wir schauen genau hin, ob die Bedarfe der Familien mit wenig Geld priorisiert werden

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa kommentiert die Grundsatzeinigung kritisch:

„Wir werden im parlamentarischen Verfahren sehr genau darauf achten, dass bei der Umsetzung der Eckpunkte die Bedarfe der Familien mit kleinen Einkommen priorisiert werden. Die Zugänge zu Leistungen müssen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis einfacher gemacht werden. Wir wollen, dass Familien Zeit bei der Beantragung von öffentlichen Fördergeldern sparen. Sir brauchen diese Zeit, für ihren Alltag, für ihre Erwerbsarbeit und um ihre Kinder zu fördern. Wir wollen auch, dass alle Kinder und Jugendliche, denen Leistungen zustehen, sie auch bekommen - das ist das Mindeste. Die Bundesregierung springt deutlich zu kurz, wenn sie weiter von einer Inanspruchnahme von 48 Prozent ausgeht. Hier muss mehr getan werden - durch gute Beratung.

Auskömmliche Transferzahlungen und die Sicherung der sozialen Infrastruktur sind die zwei Säulen einer zukunftsfähigen Familienpolitik. Zur Stärkung dieser Infrastruktur, von der Kita über das Lesepatenprogramm bis zur Erziehungsberatungsstelle findet sich in den heute vorgelegten Eckpunkten wenig."

DIJuF: Deutlich mehr Finanzmittel und gezielte Investitionen notwendig

Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) begrüßt das zentrale Ziel des Entwurfs, die Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen durch eine effektivere Sicherung ihrer finanziellen Bedarfe zu verbessern, ausdrücklich. Gleichzeitig betont das Institut, dass es zur Erreichung dieses Ziels deutlich mehr Finanzmittel und zusätzlich unbedingt gezielte Investitionen in die Infrastruktur für Kinder und Jugendliche braucht, um Chancengleichheit unabhängig von der sozialen Herkunft tatsächlich zu gewährleisten.

eaf: Besserer Zugang aber kaum Leistungsverbesserungen

Der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung enttäuscht die Erwartungen der evangelischen arbeitsgemeinschaft familie e.V. (eaf): Die Chance auf ein neu bemessenes, deutlich erhöhtes „ausreichendes Existenzminimum“ für Kinder, eine auskömmliche finanzielle Absicherung für soziale Teilhabe und ein gutes Aufwachsen für alle wurde vertan.

Quellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom 29.08.2023, Der Paritätische vom 28.08.2023, Arbeiterwohlfahrt (AWO) vom 28.08.2023, Diakonie Deutschland vom 28.08.2023, Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV e.V.) vom 29.08.2023, Caritas vom 28.08.2023, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) vom 07.09.2023, evangelischen arbeitsgemeinschaft familie e.V. (eaf) vom 06.09.2023

Redaktion: Silja Indolfo

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