Flucht und Migration

Studie: Behörden müssen sich für das Ehrenamt öffnen

Eine Vielzahl Ehrenamtlicher hilft Geflüchteten in zahlreichen Initiativen und Projekten. Eine neue Studie der INBAS-Sozialforschung GmbH untersucht jetzt die Beziehungen zwischen Ehren- und Hauptamt in der Flüchtlingshilfe. Im Interview mit den Autoren geben diese erste Antworten zum Charakter des Engagements, den Herausforderungen und Handlungsbedarfen.

29.10.2018

Eine Vielzahl Ehrenamtlicher hilft Geflüchteten in zahlreichen Initiativen und Projekten zum Beispiel bei der Begleitung zum Arzt und Behörden, beim Lernen der deutschen Sprache und bei der Wohnungssuche. Dabei profitiert die Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern von einer engen Zusammenarbeit von Ehren- und Hauptamtlichen wie beispielsweise Mitarbeitende von Behörden, Unterkünften für Geflüchtete und Beratungsstellen. Naturgemäß kommt es aber auch zu Problemen, konträren Erwartungshaltungen und Interessenslagen im Beziehungsdreieck von Hauptamt, Ehrenamt und Geflüchteten.

Im Interview mit den Autoren der Studie, Susanne Huth und Dr. Jürgen Schumacher, INBAS-Sozialforschung GmbH Frankfurt am Main beantworten diese erste Fragen zu den Beziehungen zwischen Haupt- und Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe.

Warum haben Sie das Verhältnis von Ehren- und Hauptamt in der Flüchtlingshilfe untersucht?

Huth: Ab Sommer 2015 wurden aufgrund der großen Zahl von Asylsuchenden viele Menschen erstmals in der Arbeit mit Geflüchteten aktiv, Ehrenamtliche wie auch Hauptamtliche. Dabei mussten Arbeitsformen und Kooperationsstrukturen erst aufgebaut werden. Wir hatten zuvor die Gelegenheit, die Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen in drei anderen Bereichen, nämlich Pflege, Sport und Kultur, zu untersuchen. Als wir diese Studie Ende 2015 fertiggestellt hatten, wurden wir häufig gefragt: „Lassen sich die Ergebnisse auf die Flüchtlingshilfe übertragen?“. Wir freuen uns, dass wir auf diese Frage nun Antworten geben können.

Ehrenamt hat eine lange Tradition in Deutschland. Wodurch unterscheidet sich das aktuelle Engagement für Geflüchtete von der sonstigen ehrenamtlichen Arbeit?

Schumacher: Zunächst findet das Engagement für Geflüchtete in hohem Maße im öffentlichen Raum und in Kooperation mit zahlreichen Akteuren aus unterschiedlichen Institutionen statt. In vielen anderen Bereichen hingegen engagieren sich Menschen eher in einer einzelnen Institution und eher unter Gleichgesinnten.

Bei der Arbeit mit Geflüchteten dreht es sich zudem meist um den „ganzen Menschen“ und nicht nur um ein spezifisches Problem oder Interessengebiet. Die wenigsten Ehrenamtlichen beschränken sich zum Beispiel in ihrer Hilfe nur auf den Arztbesuch oder die Begleitung zu Behörden, sondern helfen auch noch bei Schulproblemen oder der Wohnungssuche. Oft kommen die Ehrenamtlichen also als „Allrounder“ mit fast allen Lebensbereichen der Geflüchteten in Berührung und leisten hier Hilfestellung.

Unter diesen bereits komplexen Bedingungen wird das Engagement weiterhin erschwert durch Verständigungsschwierigkeiten, die auf kulturellen Unterschieden beruhen. Dazu kommt noch eine oftmals unterschätzte Sprachbarriere.

Was sind laut Ihrer Untersuchung die größten Herausforderungen in der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt?

Huth: Viele Hauptamtliche haben vor 2015 nicht mit Ehrenamtlichen zusammengearbeitet. Bis dahin war es beispielsweise in Behörden eine Seltenheit, dass Klientinnen und Klienten durch Ehrenamtliche begleitet wurden. Die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen ist in aller Regel nicht in den Stellenbeschreibungen der Hauptamtlichen vorgesehen. Für das Zusammenwirken mit Ehrenamtlichen gibt es daher kein Rollenmodell und Formen der Zusammenarbeit müssen deswegen erst neu entwickelt werden.

Hinzu kommt, dass zwar ein großer Teil der Ehrenamtlichen im Rahmen von Kirchengemeinden, Initiativen und Vereinen tätig ist, die sich für das ehrenamtliche Engagement mehr oder weniger feste Regeln gegeben haben und von hauptamtlichen Koordinatorinnen und Koordinatoren unterstützt werden. Es gibt aber auch Ehrenamtliche, die völlig autonom handeln und die für die Hauptamtlichen, die mit ihnen kooperieren müssen, zunächst einmal schwer einzuordnen sind.

Die Beteiligung von Ehrenamtlichen an der Kommunikation mit Klientinnen und Klienten, also den Geflüchteten, kann also als hilfreich und entlastend, aber auch als "Störfaktor" und zusätzliche Belastung empfunden werden.

Sie sprechen an einer Stelle davon, dass viele Behörden für das Ehrenamt geöffnet werden müssen. Wie meinen Sie das?

Schumacher: Geflüchtete werden zu Gesprächsterminen bei Behörden häufig von Ehrenamtlichen begleitet, und das kann, wie eben geschildert, zu einer gewissen Unsicherheit führen, weil man nicht so recht weiß, wie man miteinander umgehen soll.

Wir meinen, dass nach dem Vorbild der Interkulturellen Öffnung auch ein Prozess der Öffnung der Behörden für die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen eingeleitet werden sollte. Die Zusammenarbeit mit Ehrenamtliche sollte ein offizieller Bestandteil der Tätigkeit werden, für deren Gestaltung man den Hauptamtlichen Arbeitshilfen an die Hand gibt. Darüber hinaus sollte ein Problem- und Konfliktmanagement etabliert werden, beispielsweise in Form einer Clearingstelle, die ebenso von der ehrenamtlichen wie von der hauptamtlichen Seite eingeschaltet werden kann.

Sie stellen auch fest, dass man weniger eine Koordination von Ehrenamtlichen braucht, sondern ein Ehrenamtsmanagement. Worin liegt genau der Unterschied?

Huth: Wir plädieren nicht dafür, die Koordination von Ehrenamtlichen durch etwas anderes zu ersetzen, sondern dafür, sie zu erweitern zu einem umfassenderen Konzept von Ehrenamtsmanagement. Denn "Koordination" geht hier begrifflich nicht weit genug und bildet nicht das ab, was viele Koordinatorinnen und Koordinatoren in der Arbeit mit Geflüchteten gegenwärtig schon tun, nämlich Ehrenamtliche begleiten, unterstützen, anleiten, beraten, bei Konflikten intervenieren und so weiter.

Die Koordinatorinnen und Koordinatoren tun dies, weil Ehrenamtliche diese Unterstützung brauchen oder weil sie notwendig erscheint, damit die ehrenamtliche Arbeit und besonders die Kooperation mit Hauptamtlichen besser laufen und bestimmte Qualitätsstandards im Umgang mit den Geflüchteten eingehalten werden. Ein umfassenderes Konzept von Ehrenamtsmanagement verdeutlicht nicht nur begrifflich die Komplexität und Reichweite dessen, was in diesem Arbeitsfeld getan werden muss und oft auch schon getan wird.

Was sind die größten Handlungsbedarfe, die Sie sehen, um eine gute Kooperation zwischen Haupt- und Ehrenamt auch weiterhin zu ermöglichen?

Schumacher: Die größten Handlungsbedarfe liegen aus unserer Sicht ganz klar dort, wo die Kooperation zwischen Haupt- und Ehrenamt derzeit (noch) nicht gut funktioniert, und dies ist insbesondere der Bereich der Kooperation von Ehrenamtlichen mit Hauptamtlichen in Behörden.

Dabei muss betont werden, dass es in allen Behörden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, mit denen die Kooperation gut funktioniert. Darauf haben unsere ehrenamtlichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner immer wieder und mit einer gewissen Dankbarkeit hingewiesen. Aber es gibt eben auch andere, mit denen es große Schwierigkeiten gibt.

Die Aufgabe ist also, die Bereiche in Behörden, in denen die Kooperation mit Ehrenamtlichen noch nicht so gut funktioniert, kontinuierlich zu verringern. Einfach ist dies nicht, aber wir können auf eine Palette von Instrumenten zurückgreifen, mit denen man hier Fortschritte erzielen kann. Der erste Schritt dafür sind Maßnahmen, die das gegenseitige Verständnis und die Einsicht in die Rolle des jeweils anderen erhöhen, indem beispielsweise Hauptamtliche und Ehrenamtliche die Probleme, die sie miteinander haben, zunächst intern besprechen und Änderungsbedarfe formulieren.

Zur vollständigen Studie Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Arbeit mit Geflüchteten (PDF, 891 KB) steht beim Bundesamt für Migeration und Flüchtlinge zur Verfügung. 

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 23.10.2018

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