Kinder- und Jugendarbeit
Neue Impulse für den deutsch-israelischen Jugendaustausch in Migrationsgesellschaften
Wie können die Ziele des Jugendaustauschs erweitert werden, um die deutsch-israelischen Beziehungen in einer jungen Generation mit diversen Geschichten von Migration zu stärken? Im Projekt „Living Diversity“ haben 30 Fachkräfte der Jugend- und Bildungsarbeit neue Impulse für den Jugendaustausch in den Migrationsgesellschaften Deutschlands und Israels gesetzt.
13.06.2018
Das Seminar „Deutsch-israelischer Jugendaustausch – Begegnungen junger Menschen in Migrationsgesellschaften“, welches vom 28. bis 30. Mai 2018 in Berlin stattfand, beschäftigte sich vor allem mit der Frage, wie im Feld des Jugendaustauschs für die große Vielfalt von Migrationsgeschichten junger Menschen in Deutschland und Israel sensibilisiert werden kann.
Gemeinsamkeiten von Jugendlichen in Deutschland und Israel
So verschieden die individuellen Geschichten und Rahmenbedingungen der einzelnen Jugendlichen in Deutschland und Israel sind, so zeigen sich doch auch viele Parallelen – beispielsweise in den Erfahrungswelten von postsowjetischen Jüdinnen und Juden in beiden Ländern. Zugleich werden die Prozesse und unterschiedlichen Migrationsströme mit ähnlichen Diskriminierungserfahrungen sowie zugrundeliegenden Machtstrukturen verbunden. Das Wissen um die Geschichte von Migration in beiden Gesellschaften sensibilisiert für die Thematik und bietet Schnittmengen für zukünftiges gemeinsames Lernen.
Kritischer Blick auf aktuelle Diskurse
Die Vorträge von Maria Radinski (Brit Olam – Enhancing Civil Society) und Filiz Keküllüoğlu lieferten dazu einen wertvollen Beitrag und erhellten nicht nur durch eine historische Betrachtung der beiden Migrationsgesellschaften, sondern auch mit einem kritischen Blick auf aktuelle Diskurse. Auf deutscher Seite ist es interessant zu beobachten, wie Begriffe und Wortwahl in Bezug auf die Migrationsgeschichte im Land die Wahrnehmung von Migration in den letzten Jahrzehnten geprägt haben – von den „Gastarbeitern“ der 1950er-Jahre bis zu den „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „Integration“ von heute. In Deutschland ist dieser Diskurs in den letzten Jahren mit starken Ressentiments gegenüber der muslimischen Bevölkerung des Landes überfrachtet worden – trotz ihrer langjährigen Präsenz in Deutschland.
Vielfältige Erzählungen und Biografien
Auf der israelischen Seite wurde die Geschichte der Migration durch das Konzept von „Alija“ (Hebr. wörtlich „Aufstieg“) – der Rückkehr von Juden und Jüdinnen nach Israel – geprägt, die für die lokale Bevölkerung mit einem stärkenden, positiven und selbstbewussten Gefühl verbunden ist. Gleichwohl bestand und besteht die Alija von Juden und Jüdinnen nach Israel aus verschiedenen Wellen, unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Machtstrukturen, die diesen Einwanderungsprozess begleiten. Zugleich lebt im Land eine bedeutende arabische Minderheit, die die multikulturelle Landschaft durch vielfältige Erzählungen und Biografien beeinflusst und prägt. In den letzten Jahren ist in der israelischen Gesellschaft ein interessanter Prozess des Rückbesinnens auf die Vergangenheit zu beobachten. Das heißt: Immer mehr Menschen verbinden sich mit ihren vergessenen Herkunftsländern, indem sie sie erkunden und darüber offen sprechen, was zugleich in der Öffentlichkeit Israels eine höhere Akzeptanz erfährt. Dies kann auch bei nationalen Feiern beobachtet werden. Die Integration von Ritualen und Gebräuchen aus Gemeinschaften Israels, die nicht zu den hegemonialen Teilen der Gesellschaft gehören, wie die nordafrikanisch-jüdische Feier von Mimouna, wird im öffentlichen Leben immer präsenter.
Erinnerungskultur ist immerwährende harte Arbeit
Wie lässt sich die Vielfalt dieser Narrative unter Berücksichtigung der historisch bedeutsamen Themen von Nationalsozialismus und Shoah einbinden? In der Diskussion um die Relevanz dieser Themen für Jugendliche wurde schnell klar, dass ein direkter familienbiografischer Bezug zu dieser Geschichte längst keine hinreichende Bedingung für ein Interesse daran darstellt. Dr. Elke Gryglewski vom Haus der Wannseekonferenz wies darauf hin, dass nur eine Handvoll Länder nicht vom Zweiten Weltkrieg betroffen waren. Insofern wäre es historisch ungenau, von einem Mangel an biografischen Verbindungen zur Geschichte des Nationalsozialismus zu sprechen. „Es ist wichtig, die Zusammenhänge und die Beziehungsgeschichten bewusst zu machen, die den größten Teil der Weltkarte einschließen. Ein fundiertes historisches Wissen auf globaler Ebene ist notwendig, wenn wir über Fragen des Erinnerns und Gedenkens sprechen“, so Dr. Gryglewski. Zugleich konstatierte sie, dass Erinnerungskultur immerwährende harte Arbeit sei. So gäbe es bereits bedenkliche politische Diskurse, die die Bedeutung des Gedenkens an die Gräueltaten des Krieges in Frage stellen und vorschlagen, dass sich das Land mehr auf positive Bilder und weniger auf die Verantwortung für die Vergangenheit konzentrieren müsse.
Thematisierung der Shoah
Auch die Diskussion mit Hanoch Katsir (Metukenet – Human Rights Education Through the Lessons of History) lieferte interessante Einblicke in die Vielfalt der Positionen, mit der die Shoah in den diversen Bevölkerungsgruppen Israels thematisiert wird. Die Identifikation mit der Shoah ist ebenfalls ein Mosaik, welches Mizrachim, Aschkenazim, säkulare, traditionelle, religiöse und ultraorthodoxe Juden und Jüdinnen sowie Araber, Beduinen und darüber hinaus weitere Gruppen umfasst. Das Verhältnis zur Shoah scheint das Zugehörigkeitsgefühl zum Land auch für Teile der Bevölkerung, die nicht biografisch davon betroffen sind, nachhaltig zu prägen. Gleichzeitig wurden traditionelle Formen des Gedenkens – wie jährliche staatliche Gedenkzeremonien und organisierte Schulfahrten in ehemalige Konzentrationslager – heutzutage durch alternative Formate ergänzt. Diese neuen Formen des Gedenkens – wie der Zikaron BaSalon – zielen darauf ab, die Geschichte der Shoah für die jüngeren Generationen zugänglicher zu machen und ansprechend zu gestalten. Sie laden alle dazu ein, sich aktiv an Gedenkveranstaltungen zu beteiligen. Ohne dabei deren Singularität infrage zu stellen, kann eine Beschäftigung mit der Shoah auch mit der Diskussion aktueller Menschenrechtsfragen verknüpft werden, wie verschiedene Teilnehmende anmerkten – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Thematik von Flucht und Migration, die einige selbst in ihrer Arbeit beschäftigt.
Austausch über zukünftige Projekte
Das Seminar bot mit Vorträgen, Workshops und einem Besuch im Anne-Frank-Zentrum Berlin viele Gelegenheiten, um über diese und weitere Fragen ins Gespräch zu kommen. Die Teilnehmenden aus den verschiedenen Bereichen der Jugend- und Bildungsarbeit brachten einen reichen Schatz an Erfahrungswissen ein und nutzten das Seminar auch, um sich über konkrete Ideen für zukünftige Projekte auszutauschen. Das Ziel, Migrationsgeschichten beider Länder im deutsch-israelischen Jugendaustausch stärker sichtbar werden zu lassen, ist durch diese neuen Impulse ein großes Stück näher gerückt.
Hintergrund
Das Projekt „Living Diversity in Germany and Israel“ wird von ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch in Kooperation mit der Israel Youth Exchange Authority realisiert. Es wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert und von 2015 bis 2019 als Begleitprojekt durchgeführt.
Mehr zu „Living Diversity in Germany and Israel“ erfahren Interessierte auf der Projekt-Webseite.
Quelle: ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch
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