Digitalisierung und Medien

Mit Apps selbstständig Sprachen lernen: Digitale Medien als Chance

Smartphones und Apps sind Teil der Lebenswelt von Jugendlichen, im Alltag von Schule und Sprachkursen sind sie aber noch nicht angekommen. Dabei eröffnen sich mit ihnen auch neue Bildungsoptionen: Jugendliche können selbstständiger und unabhängiger von Erwachsenen lernen, ihre eigenen Lernwege neben der Schule entwickeln. Wie das gehen kann, zeigen zwei Studierende der TH Köln beispielhaft an den Sprach-Lern-Apps „Quizlet“ und „Ankommen“.

02.05.2018

Selbstbestimmtes (Sprach-)Lernen durch digitale Medien fördern

Smartphones und Apps eröffnen neue Möglichkeiten der Informations- und Wissensaneignung. Der zeitlich und räumlich unabhängige Zugang zu neuen Wissensbeständen und die Möglichkeit der Vernetzung und Kooperation schaffen neue Voraussetzungen dafür, wer wann was mit wem lernen kann. Die mobile Nutzung unterstützt somit auch die Chance auf eine stärkere Unabhängigkeit von starren, traditionellen Vorgaben – so auch von Lehrplänen für den Sprachunterricht. Der Sprachwissenschaftler Jörg Roche (2005) sieht eine große Chance darin, dass digitale Medien Menschen darin unterstützen, sich individuellere Lernmöglichkeiten zu erschließen. Für Barthelmeß (2015) liegt in der Entwicklung eigener Lernwege eine große Chance, da damit die Konzentration, Motivation und Aufmerksamkeit beim Lernen aufrechterhalten werden kann. Selbstbestimmtes Sprachlernen funktioniert aber nur, wenn auch Möglichkeiten geschaffen werden, um selbstständige Lernprozesse anzustoßen.

Lernen mit Smartphones in Bildungseinrichtungen?

Bildungseinrichtungen haben den Auftrag, Lernmöglichkeiten zu bieten und zu unterstützen   heute vermehrt auch mit digitalen Medien. Der Einsatz von digitalen Medien ist aber weiterhin umstritten und längst noch nicht im Schulalltag angekommen. Häufig fehlt es an entsprechenden pädagogischen und technischen Konzepten (ICILS-Studie). Gleichzeitig zeigen repräsentative Untersuchungen zum Medienumgang Jugendlicher (JIM Studie 2017), dass Jugendliche heute zum größten Teil über Smartphones verfügen, vor allem mobil online gehen und durchaus mit digitalen Medien lernen   allerdings von zu Hause aus. Die digitalen Lernpotentiale für das Sprachenlernen sind also längst noch nicht ausgeschöpft.

Mit Sprachlern-Apps eigene (Lern-)Wege gehen

Sprach-Lern Apps eröffnen Jugendlichen Möglichkeiten, unabhängiger zu werden von Institutionen, Anwesenheitszeiten oder Teilnahmekapazitäten von Sprachkursen. Mit ihnen können Sprachen außerhalb und ergänzend zur Schule und den dort vorhandenen Angeboten gelernt werden. Das Smartphone, das dafür herangezogen werden kann, ist den Lernenden bereits bestens vertraut. Im Unterschied zu analogen Lernmaterialien, stehen den jungen Menschen viele Apps kostenlos zum Herunterladen zur Verfügung. Sie bieten ihnen eine Vielzahl an auditiven, visuellen und spielerischen Sprachübungen, die flexibler eingesetzt werden können als Lernmaterialien auf Papier. Lerninhalte und -wege können selbst gewählt oder auch erstellt werden   die Unabhängigkeit von Vorgaben wird weiter erhöht. Das Smartphone als ständiger Begleiter ermöglicht es auch, dass Jugendliche ihre Lernphasen zudem vermehrt in ihren Alltag integrieren können. Im Unterschied zu Büchern oder Karteikästen lassen sich Smartphone leicht mitnehmen   sind häufig schon dabei. Das Lernen kann somit auch ungeplant und ganz nebenbei im Alltag stattfinden. Manche Apps bieten auch eine Verbindung mit einem sozialen Netzwerk an, sodass das Lernen nicht isoliert stattfindet. Jugendliche können sich dann sowohl mit real bekannten Personen als auch mit unbekannten Muttersprachler/-innen austauschen und sich von ihnen helfen lassen.

Sprachen lernen mit digitalen Karteikarten: „Quizlet“

Quizlet ist ein Angebot des Unternehmens Quizlet Inc. und kann als App und als Onlineangebot genutzt werden. Das Angebot basiert auf einem System von digitalen Karteikarten, welche selbst erstellt werden. Die App speichert Worte mit entsprechenden Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Möglich ist es außerdem, Worte mit den jeweiligen Definitionen zu verknüpfen. Die Karteikarten können mit anderen Nutzer_innen geteilt werden, sodass auch schon fertige „Sets“ heruntergeladen werden können. Die Karteikarten bleiben auf dem Smartphone gespeichert und sind somit ständig verfügbar.

Abgefragt werden können die Karteikarten auf verschiedene Weise, z.B. durch das Eintippen oder die Zuordnung der Wörter zu den Übersetzungen oder zu einem selbst hinterlegten Bild. Es kann auch ein Test durchgeführt oder ein Spiel auf Zeit absolviert werden. Derart spielerisch angelegte Apps können den Anreiz zu lernen erhöhen. Möglich ist es weiterhin Kurse zu erstellen, in die andere Personen eingeladen werden. So können z.B. Klassen ihre Materialien teilen und Punktestände aus Tests und Spielen vergleichen. Damit wird eine Verknüpfung der App mit dem Unterricht möglich.

Die App „Ankommen“ ermöglicht Orientierung für Geflüchtete

Eine weitere Sprachlern-App stellt „Ankommen“ dar eine App, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) speziell für geflüchtete Menschen konzipiert wurde. Für die Inhalte sind das Goethe Institut, die Agentur für Arbeit und ehrenamtliche Initiativen verantwortlich. Viele Menschen nutzen vorab die Möglichkeiten eine Sprache zu lernen, bevor sie in ein neues Land ziehen. Geflüchtete aber wissen im Vorhinein nicht, in welchem Land sie letztendlich ankommen. Um diesem Personenkreis eine erste Orientierung und Informationen zum Leben in Deutschland, zu Asyl, Ausbildung und Arbeit zu geben, wurde die App „Ankommen“ entwickelt. Sie kann in den Sprachen Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch und Deutsch genutzt werden und beinhaltet ein kostenloses Sprachlernangebot.

Die Studie von Kutscher und Kreß (2015) zur Nutzung digitaler Medien durch unbegleitet minderjährige Geflüchtete zeigt, dass das Smartphone für viele der Befragten existenziell bedeutsam ist, da es einerseits die Kommunikation mit Familie und Freunden im Herkunftsland ermöglicht, andererseits aber auch die Orientierung im Ankunftsland erleichtert. Jugendliche sind im Umgang mit dem Smartphone vertraut, das erleichtert den Zugang zu Sprachlernangeboten in Form einer App.

Durch die klar definierte Zielgruppe sind die Nutzungsmöglichkeiten der App allerdings insgesamt eingeschränkter als bei anderen Sprachlern-Apps. Die Übungen zielen in erster Linie auf eine basale Verständigung und ein erstes grundlegendes Verständnis der deutschen Sprache. Es gibt unterschiedliche Arten von Übungen (Leseverständnis, Hörverständnis, Lückentexte), die in der App bereits vorprogrammiert sind. Nutzer_innen können hier keine eigenen Inhalte mit aufnehmen. Dies steht dem Ziel der App, einen Einstieg in die deutsche Sprache zu bieten, aber nicht im Wege. Hierfür kann die App somit empfohlen werden.  

Mobil Lernen – auch in der Schule

Wichtig zu erkennen ist: Apps revolutionieren das Lernen nicht, sie eröffnen aber neue Zugänge und neue Lernwege – dieses Potential sollte auch die Schule stärker nutzen, im und außerhalb des Unterrichts. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur digitalen Bildung begrüßen Lehrer_innen und Schulleiter_innen so zwar auch grundsätzlich die neuen Technologien, für einen pädagogisch sinnvollen Einsatz fehlt es jedoch weiterhin an Konzepten, Weiterbildung und Infrastruktur. So glauben nach wie vor weniger als ein Viertel der Lehrer_innen, dass digitale Medien dazu beitragen, die Lernergebnisse der Schüler_innen zu verbessern. Hier ist den Lehrer_innen zukünftig der Mut zu wünschen, neben der wichtigen kritischen Reflektion auch die Situationen zu erkennen und zu nutzen, in denen Lernen mit digitalen Medien eine sinnvolle Bereicherung sein kann. „Schule nutzt das pädagogische Potential des digitalen Wandels noch nicht“, sagt auch Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

„Digitale Medien können dabei helfen, pädagogische Herausforderungen wie Inklusion, Ganztag oder die Förderung lernschwacher Schüler zu bewältigen.“ Digitalisierung dürfe den Lehrer_innen deshalb nicht nur „als zusätzliche Belastung erscheinen, sondern sollte Teil der Lösung für ihre pädagogischen Herausforderungen sein“. Smartphones bzw. der Ansatz „Bring your own device (BYOD)“ können hier ein sinnvoller Ansatz sein. Sie helfen einerseits, die fehlende Ausstattung zu kompensieren. Vor allem zeigen sie aber neue Möglichkeiten auf, unabhängig von Institutionen zu lernen.

Autor(inn)en: Roland Bertram und Isabel Fischer

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Köln im Studiengang Pädagogik und Management in der Sozialen Arbeit (Master) entstanden. Die Studierenden haben sich über ein Semester mit den Herausforderungen der Digitalisierung für die Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt und fassen ihre Ergebnisse in verschiedenen Beiträgen auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe zusammen.

 

Literatur

– BARTHELMEß, Hartmut 2015: E-Learning   bejubelt und verteufelt. Lernen mit digitalen Medien, eine Orientierungshilfe. Bielefeld.
– BÖHNISCH, Lothar 2016: Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit. Weinheim / Basel.
– EICKELMANN, Birgit / SCHAUMBURG, Heike / DROSSEL, Kerstin / LORENZ, Ramona 2014: Schulische Nutzung von neuen Technologien in Deutschland im internationalen Vergleich. In: BOS, Wilfried u.a. 2014: ICILS 2013: Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster / New York, S. 197-229.
– KUTSCHER, Nadia / KREß, Lisa-Marie 2015: Internet ist gleich mit Essen. Empirische Studie zur Nutzung digitaler Medien durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Projektbericht. images.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1.1_Startseite/3_Nachrichten/Studie_Fluechtlingskinder-digitale_Medien/Studie_digitale_Medien_und_Fluechtlingskinder_Langversion.pdf, 04.01.2018.
– MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST (mpfs) 2017: JIM 2017. Jugend, Information, (Mulit-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- 19-jähriger in Deutschland. Stuttgart.
– PACHLER, Norbert / BACHMAIR, Ben / COOK, John 2010: Mobile Learning. Structures, Agency
– ROCHE, Jörg 2005: Worum geht's bei den neuen Medien im Spracherwerb wirklich? Klartext zu einem fehlbewerteten Thema jenseits von notorischer Skepsis und naiver Euphorie. In: KRUMM, Hans-Jürgen / PORTMANN-TSELIKAS, Paul R. 2005: Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdsprache. Innsbruck / Wien / Bozen, S.131-141.
– ROCHE, Jörg 2003: Digitale Wissensvermittlung im Spracherwerb. In: DEUBEL, Volker / KIEFER, Klaus H. 2003: MedienBildung im Umbruch. Lehren und Lernen im Kontext neuer Medien. Bielefeld, S.221-229.
– ROCHE, Jörg 2000: Lerntechnologie und Spracherwerb. Grundrisse einer medienadäquaten, interkulturellen Sprachdidaktik. In: Zeitschrift „Deutsch als Fremdsprache", Jg. 37, H.3, S.129-192. München/Berlin.
– STARKE, Anja / MÜHLHAUS, Juliane / RITTERFELD, Ute 2016: Neue Medien in Therapie und Unterricht für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Sprache. In: Praxis Sprache; Jg. 2016; H.1, S.28-32.

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