Kindgerechte Justiz
Qualifizierte Verfahrensbeistände für Kinder und Jugendliche müssen in familiengerichtlichen Verfahren bundesweit Regelfall werden
Das Deutsche Kinderhilfswerk und der Berufsverband der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche kritisieren nachdrücklich, dass auch nach der Reform des Familienverfahrensgesetzes im Jahr 2021 die Bestellung von Verfahrensbeiständen für Kinder in Kindschaftssachen bundesweit noch immer nicht gerichtlicher Standard ist.
25.03.2024
Eine aktuelle Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass zwar in vielen Bundesländern ein diesbezüglicher Aufwärtstrend zu verzeichnen ist, aber lediglich in vier Bundesländern (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt) in der Mehrzahl der Verfahren in Kindschafts-, Abstammungs- und Adoptionssachen Verfahrensbeistände vom Gericht bestellt werden. Gleichzeitig ist diese Quote in fünf Bundesländern aktuell sogar rückläufig. Die bundesweite Quote lag bei 45,6 Prozent.
„Alle Kinder brauchen in Justizverfahren eine professionelle Begleitperson, dies ist zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Regelfall erforderlich. In familiengerichtlichen Verfahren ist dies ein qualifizierter Verfahrensbeistand, der nur ihr Wohl und ihre Interessen vertreten soll, und nicht die der Eltern. Er soll unabhängig und für das Kind eine Vertrauensperson sein. Leider wird in vielen Kindschafts-, Abstammungs- und Adoptionsverfahren kein Verfahrensbeistand bestellt. Die Quote für die Bestellung liegt derzeit in nur vier Bundesländern knapp über 50 Prozent, in vielen anderen teils deutlich darunter. Hier muss das Familienverfahrensgesetz besser umgesetzt werden und es zu einem Umdenken bei den Richterinnen und Richtern kommen. Die Bestellung von Verfahrensbeiständen muss zum Regelfall werden. Bisher besteht zudem keine generelle Begründungspflicht, wenn außerhalb der im Gesetz aufgeführten Fälle von einer Bestellung abgesehen wird. Es wird bei der Quote auch nicht genauer aufgeschlüsselt, in welcher Art von Verfahren von der Bestellung abgesehen wird. Auch das muss sich ändern. Zudem brauchen Kinder auch in Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren Begleitung und Unterstützung. Bisher gibt es in diesem Bereich aber keine speziellen Regelungen zur kindgerechten Verfahrensgestaltung und keine Unterstützungspersonen“,
betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Der Berufsverband der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche begrüßt ausdrücklich, dass eine Weiterbildung zum Verfahrensbeistand durch die Änderung des Familienverfahrensgesetzes endlich abgesichert ist und auch regelmäßige Fortbildungen nachzuweisen sind. Allerdings lässt das Gesetz viele Fragen offen und bleibt hinter den Erwartungen des Berufsverbandes zurück. Es bräuchte strengere Qualifikationsrichtlinien. Der Stundenumfang der Zertifikatweiterbildungen zum Verfahrensbeistand beginnt bei 10 Stunden (online) und endet bei 300 Unterrichtseinheiten (überwiegend Präsenz). Auch bezüglich der Inhalte sowie bei der Vorbildung der Lehrenden gibt es große Unterschiede. Zudem wäre die Einführung bundeseinheitlicher Standards zur Weiterbildung zum Verfahrensbeistand wichtig. Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Mitgliederbefragung des BVEB´s Defizite in der Rechtsanwendung. Nur 74 Prozent der Befragten mussten dem Gericht einen Nachweis über eine Fortbildung zum Verfahrensbeistand vorweisen. 62 Prozent der Mitglieder gaben an, dass sie bisher nicht aufgefordert worden seien, in regelmäßigen Abständen Fortbildungsnachweise zu erbringen. Letztlich erschwert die Aufgabe der Kindesinteressenvertretung auch der Umstand, dass seit nunmehr 15 Jahren keine Anpassung der Vergütungspauschale für Verfahrensbeistände erfolgte, und diese mit der Gesetzesänderung mehr Aufgaben übertragen bekommen haben. Viele Mitglieder ‚wandern‘ deshalb momentan in andere Berufszweige ab“,
sagt Katja Seck, Vorsitzende des Berufsverbandes der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche.
Situation entspricht nicht internationalen menschenrechtlichen Anforderungen
Das Deutsche Kinderhilfswerk und der Berufsverband der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche bemängeln zudem, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren vielerorts in Deutschland weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. So erfolgt die Bestellung von Verfahrensbeiständen ohne Beteiligung des Kindes und ohne transparente Kriterien, die belegen, dass der Verfahrensbeistand nach den Bedarfen des Kindes im konkreten Fall ausgewählt wurde. Das ist problematisch, da es keinerlei Möglichkeit für das Kind gibt, auf die Auswahl durch die Nennung bestimmter Kriterien, wie beispielsweise Sprache oder kulturelle Hintergründe, Einfluss zu nehmen und im Zweifel den Verfahrensbeistand zu wechseln oder abzulehnen. Dies birgt die Gefahr, dass der Verfahrensbeistand eher der Richterin oder dem Richter gefallen möchte, als die Rechte des Kindes wahrzunehmen. Problematisch ist aus Sicht der Verbände zudem, dass es keine Standards und keine Daten zur Qualifikation und Fortbildung der Verfahrensbeistände in Deutschland gibt. Die durch die Reform des Familienverfahrensgesetzes normierten Änderungen zu den fachlichen Anforderungen sind nicht ausreichend, um zu garantieren, dass nur noch qualifizierte Begleitpersonen für Kinder bestellt werden können.
Die kompletten Daten zur Bestellung von Verfahrensbeiständen in Kindschafts-, Abstammungs- und Adoptionssachen – berechnet auf Grundlage der letzten veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2022 – finden sich auf der Website des DKHW.
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