Jugendstrafrecht

Jugendliche in Strafverfahren besser unterstützen

Jugendliche verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sollen die Verfahrensprozesse verstehen, ihnen folgen können und ihr Recht auf ein faires Verfahren ausüben können. Eine bundesweite Befragung von Jugendstaatsanwält:innen und Jugendrichter:innen gibt Hinweise darauf, inwiefern die Reform des Jugendgerichtsgesetzes in der Praxis umgesetzt wird und welches Potenzial bislang ungenutzt bleibt.

18.01.2023

Jugendliche verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sollen die Verfahrensprozesse verstehen, ihnen folgen können und ihr Recht auf ein faires Verfahren ausüben können. Dies sieht das Jugendgerichtsgesetz (JGG) vor, das auf Basis einer EU-Richtlinie im Jahr 2019 reformiert wurde, um die Verfahrensrechte Jugendlicher und Heranwachsender zu stärken. Junge Menschen sollen demnach besser als zuvor über ihre Rechte informiert sein und so unterstützt werden, dass sie diese in Anspruch nehmen können. So können etwa Rechtsanwält:innen Jugendliche zu einem früheren Zeitpunkt unterstützen, Eltern oder Erziehungsberechtigte sowie die Jugendhilfe im Strafverfahren können am Verfahren beteiligt sein und die Vernehmungen von Beschuldigten werden audiovisuell aufgezeichnet.

Wie diese neuen Regelungen in der Praxis der Jugendgerichte umgesetzt werden und wie sie sich auswirken, darauf gibt eine bundesweite Befragung von rund 300 Jugendrichter:innen und rund 230 Jugendstaatsanwält:innen erste Hinweise. Mit der Befragung in den Jahren 2021 und 2022 knüpften die Wissenschaftler:innen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Universität Kassel an eine Erhebung aus den Jahren 2013 und 2014 an und konnten so Veränderungen aufzeigen. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Kooperation von Jugendrichter:innen und Jugendstaatsanwält:innen im Jugendstrafverfahren beitragen.

Befragung gibt Hinweise darauf, was die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Jugendgerichtshilfe erschwert

Die Ergebnisse des Jugendgerichtsbarometers 2021/22 zeigen: Die Zusammenarbeit im Jugendstrafverfahren zwischen Justiz und Jugendgerichtshilfe (JGH), die Jugendliche und junge Erwachsener im Strafverfahren begleitet und berät, wird von den Befragten weit überwiegend als gut und stabil bewertet. Dies zeigt sich unter anderem in der Wertschätzung der Berichterstattung der JGH oder auch in der hohen Anwesenheitsquote der JGH in Hauptverhandlungen. Auf der anderen Seite zeigt die Studie auch auf, was die Kooperation mit Mitarbeitenden der Jugendgerichtshilfe zunehmend erschwert: Dass sowohl Staatswalt:innen als auch Jugendrichter:innen vermehrt auch andere Aufgaben jenseits der Jugendstrafverfahren wahrnehmen.

Potenzial der JGG-Reform zur Förderung der Verfahrenseinstellung wird nicht ausgeschöpft

Die Gesetzesänderungen im Jahr 2019 scheinen in der Praxis nicht durchgehend angekommen zu sein: Vor allem die frühzeitige Information der Jugendhilfe im Strafverfahren vor der ersten polizeilichen Vernehmung (§ 70 Abs. 2 JGG) und die Berichterstattung der Jugendhilfe im Strafverfahren vor Anklageerhebung (§ 46a JGG) hat vielerorts in der Praxis noch keine Umsetzung erfahren, schreiben Bernd Holthusen vom DJI sowie Prof. Dr. Theresia Höynck von der Universität Kassel in ihrem Forschungsbericht. „Das Potenzial der JGG-Reform zur Förderung der Verfahrenseinstellung im Vorverfahren, die keine Hauptverhandlung mehr erfordert, wird damit nicht ausgeschöpft“, erklärt Bernd Holthusen, wissenschaftlicher Referent in der Abteilung Jungend und Jugendhilfe am DJI, und ergänzt: „Dies wäre allerdings aus pädagogischer Perspektive wünschenswert“.

Im Hauptverfahren sind Eltern nicht häufiger anwesend als vor der Reform

Auch die Zielsetzung, dass Jugendliche im Verfahren vermehrt von ihren Eltern begleitet werden und sich damit unterstützt fühlen, wurde mit der JGG-Reform nicht erreicht: Denn die Ausweitung der Informationspflichten gegenüber Erziehungsberechtigten von Jugendlichen in Strafverfahren haben den Jugendrichter:innen und Jugendstaatsanwältinnen nach offenbar nicht dazu geführt, dass mehr Eltern oder Erziehungsberechtigte bei den Hauptverhandlungen anwesend sind. Immerhin haben die neuen Regelungen zur notwendigen Verteidigung der Jugendlichen im moderaten Ausmaß dazu geführt, dass Rechtsanwält:innen häufiger und vor allem auch zu einem früheren Zeitpunkt in das Strafverfahren einbezogen werden.

„Wir vermuten, dass die Corona-Pandemie die Umsetzung der JGG-Reform erheblich gebremst hat, da die Maßnahmen zur Eindämmung alle Akteur:innen im Jugendstrafverfahren und vor allem ihre Möglichkeiten der Kooperation erheblich eingeschränkt haben, sagt Bernd Holthusen und fordert, die weitere Umsetzung der JGG-Reform weiter zu evaluieren.

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI)

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Dieser Artikel wurde auf der Website des Deutschen Jugendinstituts (DJI) am 12.01.2023 erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

Redaktion: Silja Indolfo

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