Interviewreihe Fachkräftemangel

Im Gespräch – Fachberatung Personal

K. ist als Fachberatung Personal bei einem freien Träger tätig. Im Gespräch erzählt er, warum er nicht nur den Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe als Hauptursache der hohen Belastung der Beschäftigten sieht. Ein Interview darüber, warum ein freier Träger Wert auf hohe Transparenz und offene Kommunikation gegenüber den Eltern legt und wie sich Maßnahmen gegen Personalausfall auszahlen.

07.02.2024

Interview 4/5 – Fachberatung Personal (52 Jahre) bei einem freien Träger

Im Gespräch

Erzählen Sie mal…

„Ich bin 52 Jahre alt, bin staatlich anerkannter Erzieher und seit zehn Jahren bei diesem Träger tätig. Zunächst als Kitaleitung und inzwischen als Fachberatung Personal. Hier bin ich in Vollzeit im Verwaltungsgebäude tätig. Bei mir laufen das Bewerbungsmanagement und die Bearbeitung der Bewerbungen zusammen, sodass eine zeitnahe Bearbeitung möglich ist. Ich bin das „Einfallstor“ für alle Bewerbungen. Ich koordiniere sie, ich leite weiter, ich führe Infogespräche mit Initiativbewerbenden. Ich versuche also stets, eine gute Idee dazu zu haben, in welchen Bereichen, welche*r Bewerber*in gut aufgehoben ist.“

Wie groß ist der Arbeitgeber? Wie viele Mitarbeitenden beschäftigen Sie und wie viele vakante Stellen gibt es?

„Wir beschäftigen aktuell inklusive Technik und Verwaltung ca. 480 Angestellte. Die Vakanzen halten sich derzeit sehr in Grenzen und belaufen sich auf fünf Stellen im pädagogischen Bereich. Zu unseren Einrichtungen zählen wir 18 Kitas. Es gibt drei Wohngruppen und zwei heilpädagogische Wohngruppen. Flexible Erziehungshilfen bieten wir in Offenen Ganztagsschulen (OGS) an drei Standorten an.“

Gibt es Bereiche in denen der Fachkräftemangel besonders hoch ist?

„Da wir aktuell geringen Mangel an Personal haben, kann ich nur sagen, dass es in dem Bereich der Erzieherischen Hilfen definitiv schwieriger ist, Stellen zu besetzen. Im Kitabereich geht es in der Regel schneller.“

Was sind die Auswirkungen des Fachkräftemangels im Alltag? Verkürzte Öffnungszeiten? Schließungen?

„Ja, es hat im Bereich der Hilfen zur Erziehung Gruppenzusammenlegungen geben müssen. Im Kitabereich gibt es immer mal wieder verkürzte Öffnungszeiten oder auch Zusammenlegungen. Der Grund ist hier aber eher nicht der Fachkräftemangel, sondern die fehlende Finanzierung. Wir sind ein tarifgebundener Träger und ab März 2024 haben wir zum Beispiel eine enorme Lohnerhöhung. Die Erhöhungen der Kindspauschalen seitens der Kostenträger sind aber so gering, dass die Kosten dadurch nicht aufzufangen sind. Das heißt, wir mussten unseren Personalschlüssel von deutlich über der Mindestbesetzung auf die Mindestbesetzung herunterfahren. Somit können wir krankheitsbedingte Ausfälle nicht mehr kompensieren. Ich sehe das Problem nicht (ausschließlich) im Fachkräftemangel sondern eher in der Unterfinanzierung des Bereichs.“

Wie schätzen Sie die Belastung der Mitarbeiter*innen ein? Bekommen Sie davon etwas mit?

„Ja, ich bekomme die hohe Belastung der Mitarbeitenden absolut mit. Es ist ein Teufelskreis. Da wir das Personal auf Mindestbesetzung herunterfahren mussten, können krankheitsbedingte Ausfälle nicht kompensiert werden. Dadurch steigt die Belastung der Mitarbeitenden vor Ort weiter an. Da wir dadurch gelegentlich Einschränkungen vornehmen müssen, erhöht sich zusätzlich der Druck auf die Eltern. Das erhöht natürlich die Belastung und somit den Personalausfall. Da wir sehr eng mit den Einrichtungen zusammenarbeiten, sind wir stets über die Situation vor Ort informiert. Trotz meiner Verwaltungsaufgabe hier, versuche ich mit der pädagogischen Fachberatung und den Bereichsleitungen immer nah an den Teams in unseren Einrichtungen zu sein und zu steuern, wo ich steuern kann.“

Was tun Sie um Ihre Mitarbeiter*innen zu entlasten?

„Vor zwei Jahren haben wir unseren eigenen Vertretungspool eingerichtet mit 400 Fachkraftstunden. Dieser ist leider sehr zusammengeschmolzen, da wir mit den Vertretungsfachkräften frei werdende Stellen nachbesetzen mussten. Den Vertretungspool gibt es als solchen leider gar nicht mehr, bzw. mit wesentlich weniger Stunden als anfangs. Es war ein sehr gutes, internes Tool um Mitarbeiter*innen in z.B. Krankheitswellen oder Urlaubszeiten zu entlasten. Darüber hinaus haben wir klare Richtlinien wann welche Einschränkungen greifen. Das heißt, es ist für die Einrichtungsleitungen klar, was passiert wenn ein bestimmter Prozentsatz von Mitarbeitenden ausfällt. Es gibt pyramidenartig aufgebaut einzelne Schritte, wann welche Maßnahmen greifen. Das können z.B. Einschränkungen der Betreuungszeiten sein oder auch Gruppenschließungen oder -zusammenlegungen. Zusätzlich sind sowohl ich als Fachberatung Personal als auch die pädagogische Fachberatung in den Einrichtungen vor Ort beratend tätig. Darüber hinaus gibt es Infoveranstaltungen und Elternabende mit Bereichsleitungen und Fachberatungen um eine hohe Transparenz unserer Maßnahmen zu gewährleisten. Je mehr Verständnis wir seitens der Eltern durch diese Transparenz erreichen, umso nachvollziehbarer wird es dann, wenn eben diese Maßnahmen greifen. Das nimmt zumindest etwas den Druck der Eltern. Wir haben mit dieser Transparenz gute Erfahrungen gemacht, es gibt z.B. einige Eltern, die dadurch selber aktiv geworden sind und sich an kommunale Politiker*innen oder an das Ministerium gewandt haben.“

Was tun Sie um Mitarbeiter*innen zu gewinnen? Oder auch zurückzugewinnen?

„Ein großer Teil meiner Aufgabe hier ist es, zu schauen, welche Bedarfe und Bedürfnisse die Mitarbeitenden haben. Der o.g. Vertretungspool war ein Mittel, welches wir unter anderem geschaffen haben, damit Mitarbeiter*innen entscheiden können, in welchem Umfang sie arbeiten. Zu welchen Zeiten, in welcher Region. Ebenfalls sind die Mitarbeitenden dort auch in ihrer Urlaubsplanung frei. Leider wurde der Pool – wie eben bereits erwähnt – von knapp 400 Stunden auf ca. 150 Stunden zusammengeschmolzen. Darüber hinaus bezahlen wir weiterhin tarifgebunden. Ich denke, das ist auch ein Grund weswegen wir vakante Stellen relativ schnell wieder besetzt bekommen. Weitere Benefits, die wir unseren Mitarbeitenden bieten, sind zum Einen das Jobrad, die Möglichkeit zur Inanspruchnahme eines Sabbatjahres und das Jobticket. Zum Anderen bieten wir eine betriebliche Altersvorsorge bei einer Zusatzversorgungskasse an und Supervision, Fort – und Weiterbildungen für unsere Teams sind selbstverständlich. Zusätzlich sind wir Mitglied im Netzwerk von „Corporate Benefits“ und unser Personal hat auf dieser Plattform die Möglichkeit, diverse Waren–und Dienstleistungen vergünstigt zu erwerben. Dies erfreut sich großer Beliebtheit.“

Belastet Sie das Problem in Ihrer täglichen Arbeit? Inwiefern?

„Die Belastung der Mitarbeitenden in den Einrichtungen macht mich definitiv betroffen. Da wir als Fachberatungen eben auch viel vor Ort sind, ist die Situation stets präsent für uns. Ich bin jemand, der gerne Lösung findet für die Probleme, die da sind. Je mehr die Lösungen ausgehen, desto frustrierender ist das Ganze und bei einigen Problemen sind dem Träger die Hände gebunden. Es gibt natürlich Situationen, die ich auch nach Feierabend mit nach Hause nehme, da wir nicht nur die Not in den Einrichtungen mitbekommen, sondern auch den Druck der Eltern, eine Alternativbetreuung zu organisieren. Wir können hier nur mit einer hohen Transparenz arbeiten. Wir können Eltern die Zusammenhänge deutlich machen und dass es eben nicht nur der Fachkräftemangel ist, sondern auch politisch ursächlich, da eben die passende Finanzierung fehlt.“

Welche Faktoren gehören Ihrer Meinung nach zu den Ursachen des Fachkräftemangels und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kinder-und Jugendhilfe?

„Ich sehe ein Problem in den unterschiedlichen und nicht einheitlichen Ausbildungskonzepten der Erzieher*innenausbildung. Mittlerweile ist es so, dass Ausbildungen finanziert werden. Dies erleichtert vielen Interessierten den Einstieg. Für die Jugendhilfe haben wir seit letztem Jahr die Mittel zur Finanzierung der praxisintegrierten Ausbildung über die Entgeltverordnung on top bekommen, das ist natürlich super. An der örtlichen Fachschule ist geplant, dass es eine praxisintegrierte Klasse speziell für den Bereich der Hilfen zur Erziehung geben wird. Sollte dies wirklich so kommen, wären wir als Träger sofort dabei, denn bisher spielt in der klassischen Ausbildung das Thema der erzieherischen Hilfen ja eher eine untergeordnete Rolle und findet sich nicht wirklich in den Ausbildungsinhalten wieder. In den Klassen sind meist nur zwei bis drei Schüler*innen, die auch wirklich im Bereich der Hilfen zur Erziehung ihre Praxisstelle haben. Das sehe ich als Problem an. In den Kitas direkt wären wir wieder beim Thema der Finanzierung. Bisher haben wir die Auszubildenden zusätzlich gerechnet, dass heißt, wir waren ca. 50 Stunden über der Mindestbesetzung mit Fach-und Ergänzungskräfte. Zusätzlich gab es die Berufspraktikant*innen. Nun mussten wir auf die Mindestbesetzung herunterfahren oder knapp darüber, was bedeutet, dass die Ausbildungsbedingungen auch in unseren Einrichtungen leider nicht besser werden. Wir erleben, dass einige ihre Ausbildung abbrechen und es gibt Schüler*innen, die zwar die Ausbildung abschließen, aber anschließend gar nicht mehr in dem sozialen Bereich arbeiten wollen. Das sind Dinge, die wir unter den aktuellen Bedingungen leider nicht wirklich verbessern können. Mit einer zusätzlichen Finanzierung der Ausbildung wäre eine qualitativ hochwertige Ausbildung möglich. Wir sind als Arbeitgeber sehr bemüht, den Auszubildenden Einblicke in die unterschiedlichen Bereiche der Jugendhilfe zu gewähren und durch eine gute Praxisanleitung ein passendes Bild des Berufes zu vermitteln. Das ist das, was ich mir für die Jugendhilfe wünsche: gut ausgebildetes Fachpersonal, welches bereits in der Ausbildung ein realistisches Bild des Berufs der Erzieher*in erhält sowie eine tragfähige Finanzierung der Einrichtungen!“

Das Interview führte Sophie Westerheide (freie Journalistin).

Unsere fünfteilige Interviewreihe

In den kommenden Wochen werden wir weitere spannende Einblicke in die Herausforderungen von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe bieten. Die Interviews werden verschiedene Perspektiven umfassen. Abonnieren Sie unseren Newsletter und folgen Sie uns auf Instagram und verpassen Sie keine Nachrichten zu Entwicklungen und Aktivitäten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.

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