Offener Brief

Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention fordert Gesetz über Digitale Dienste

Mit einem Offenen Brief an die Bundesregierung bringt das Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention seine Befürchtung zum Ausdruck, dass das geplante Gesetz über Digitale Dienste in Bezug auf die Wahrung der Interessen von Kindern nicht die höchsten erreichbaren Standards darstellt, sondern im Gegenteil die Interessen von Kindern in vielerlei Hinsicht sogar gefährdet. Die Unterzeichnenden fordern dazu auf, diese Position in die Verhandlungen im Trilog einzubringen und dort mit Nachdruck zu vertreten, um dem Vorrang des Kindeswohls auch im digitalen Raum gerecht zu werden.

13.04.2022

Das Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention stellte fest, dass sich die Verfasser der EU-Verordnung „Gesetz über Digitale Dienste“ eine Reihe von sehr anspruchsvollen Zielen gesetzt haben, die Teil des umfassenden Vorhabens sind, die Regeln für die Verwaltung des Internets zu modernisieren und in Bezug auf die Interessen der in der EU lebenden Bürger und Verbraucher neu zu definieren.

Angesichts der Größe, des Wertes und der Bedeutung des Marktes, den die 27 Mitgliedstaaten repräsentieren, wird das Gesetz nach seiner Verabschiedung zweifelsohne von einer Vielzahl ausländischer Gerichtsbarkeiten genau studiert werden. Es wird daher nicht nur für die in der EU lebenden Menschen von grundlegender Geltung sein, sondern auch globale Bedeutung erlangen.

Die Unterzeichnenden befürchten jedoch, dass das Gesetz in Bezug auf die Wahrung der Interessen von Kindern nicht die höchsten erreichbaren Standards darstellt, sondern im Gegenteil die Interessen von Kindern in vielerlei Hinsicht sogar gefährdet. Die derzeit im Trilog verhandelte Fassung des Gesetzes birgt die Gefahr, dass das in 2021 gerade modernisierte und novellierte Jugendschutzgesetz, das eine verbindliche Sorgfaltspflicht gegenüber den Rechten von Kindern für Plattformen mit mehr als 1 Million Nutzern vorsieht, in Frage gestellt wird. Bereits jetzt erwägen andere Rechtsordnungen außerhalb der EU die Übernahme dieses zeitgemäßen deutschen legislativen Standards in Bezug auf den Schutz von Kindern, der gerade deshalb nicht durch die Regelungen des Gesetzes über Digitale Dienste in Frage gestellt werden sollte.

Deutsches Modell sollte als Vorlage dienen

Aus Sicht des Netzwerkes zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention stellt das deutsche Modell den derzeit besten erreichbaren Standard des Jugendschutzes in den Medien dar und sollte deshalb als Mindeststandard des Gesetzes über Digitale Dienste gelten. Alternativ sollte der Text des Gesetzes über Digitale Dienste zumindest klarstellen, dass der Normtext des Gesetzes einem einzelnen Mitgliedstaat nicht verbietet, nationale Gesetze oder Anforderungen zu erlassen, die über die Regulierungen des Gesetzes über Digitale Dienste in Bezug auf den Schutz der Rechte von Kindern, einschließlich des Rechts auf Schutz vor kriminellen Handlungen, hinausgehen. Daher wird eine Ergänzung des Europäischen Gesetzes angeregt, die wie folgt formuliert werden kann:

„Diese Verordnung berührt nicht die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen (Personen unter 18 Jahren) im Einklang mit dem Unionsrecht.“

Offener Brief bringt Enttäuschung über Artikel 7 zum Ausdruck

Daran anknüpfend möchten die Unterzeichnenden explizit ihre Enttäuschung über die derzeitige Fassung des Artikels 7 zum Ausdruck bringen. Unter Berücksichtigung des übergreifenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist es unverständlich, warum der Text ausdrücklich besagt, dass Plattformen nicht verpflichtet sind, kriminelle Inhalte oder Aktivitäten, die durch ihre Plattformdienste möglicherweise erleichtert werden, aufzudecken. Anders ausgedrückt: Der Text besagt im Wesentlichen, dass Plattformen berechtigt sind, sich nicht damit zu befassen, ob oder in welchem Ausmaß sie Straftaten gegen Kinder erleichtern. Das kann nicht richtig sein, denn es bietet einen Anreiz, nichts gegen derartige strafbare Handlungen innerhalb der Plattformen zu unternehmen. Diese Regelung spiegelt den Gedanken wider, der der E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 zugrunde lag, nämlich die Ermöglichung des freien Marktes. Allerdings wurde die E-Commerce-Richtlinie zu einer Zeit verfasst als das Internet noch ganz anders war als heute, als alle Plattformen kleiner waren, man nur sehr begrenzt wusste, wie die Technologie funktionierte oder sich in Zukunft entwickeln könnte. Damals vertraute man auf die Selbstregulierung. Ein Vertrauen, das sich inzwischen als völlig unangebracht erwiesen hat. Mit Artikel 7 wird jedoch ein zentraler Grundsatz dieser inzwischen diskreditierten Regulierung erneut manifestiert.

Netzwerk begrüßt vorgesehene Verpflichtung sehr großer Plattformen

Das Netzwerk begrüßt, dass für die Anbieter von sehr großen Plattformen und Suchmaschinen spezifische Aufgaben und Verpflichtungen vorgesehen sind. Aber dies nur auf die Plattformen zu beschränken, die mehr als 45 Mio. Nutzende haben und für alle anderen eine allgemeine Ausnahme von der Verpflichtung, bei der Aufdeckung bekannter krimineller Inhalte tätig zu werden, zu etablieren, entspricht nicht der Verpflichtung nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen als eine vorrangige Erwägung zu behandeln. Klein ist nicht gleichbedeutend mit sicher, wie die Tatsache beweist, dass ein erheblicher Teil der extremistischen Inhalte im Jahr 2021 auf die kleineren Plattformen abgewandert ist. Beim Übergang von einer kleinen zu einer sehr großen Plattform kann sehr viel Schaden angerichtet werden. Deshalb ist es so wichtig, dass jede Plattform prüft, was sie tun kann, um alle Formen kriminellen Verhaltens einzudämmen oder zu verhindern. Start-ups und andere kleine Online-Unternehmen könnten – sofern es notwendig erscheint – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit mit abgestuften Maßnahmen und Vorgaben adressiert werden, um so etwaige übermäßige Belastungen zu vermeiden.

Schließlich äußern die Unterzeichnenden des Offenen Briefes große Bedenken hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen der Artikel 17 und 18 des Gesetzes über Digitale Dienste in Bezug auf Beschwerden und alternative Streitbeilegung. Da die Kosten für die außergerichtlichen Entscheidungsgremien allein bei den Plattformanbietern liegen und die Entscheidungen der Gremien nicht bindend sein sollen, gehen wir von einer Beschwerdewelle aus, für die die Plattformanbieter aufkommen müssen, mit der Folge, dass sie in Bezug auf Material, das nicht in allen europäischen Ländern illegal ist, weniger streng vorgehen werden als dies bisher der Fall ist. In langwierigen Aushandlungsprozessen mit den Plattformanbietern erzielte Erfolge in Bezug auf die Bekämpfung von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs, werden somit zunichte gemacht.

Bereichsausnahme für den Kinderschutz gefordert

Die Bemühungen der Kommission, die Rechte von Kindern auf Schutz, Befähigung und Teilhabe zu respektieren, können erheblich gestärkt werden, wenn in den Normtext des Gesetzes über Digitale Dienste eine Bereichsausnahme für den Schutz von Kindern aufgenommen wird, die – wie zuvor ausgeführt – folgt formuliert werden könnte:

„Diese Verordnung berührt nicht die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen (Personen unter 18 Jahren) im Einklang mit dem Unionsrecht.“

Darüber regen die Netzwerkpartner an, die bisher nur in Erwägungsgrund 3 formulierte Bezugnahme auf den Vorrang des Kindeswohls auf der Grundlage des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes sowie der 25. Allgemeinen Bemerkung zu den Rechten von Kindern im digitalen Umfeld explizit in den Normtext aufzunehmen.

Die Unterzeichnenden bitten daher den Bundesminister für Digitales und Verkehr Volker Wissing und den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck darum, diese Position in die Verhandlungen im Trilog einzubringen und dort mit Nachdruck zu vertreten, um dem Vorrang des Kindeswohls, zu dem sich die deutsche Bundesregierung mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet hat, gerecht zu werden.

Quelle: National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V. vom 08.04.2022

Redaktion: Pia Kamratzki

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