Sozialpolitik

Gutscheindebatte: Haderthauer setzt auf VerantwortungsTANDEM zwischen Eltern und öffentlicher Hand

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer wirbt für ein Modell für Kinder arbeitsuchender Eltern, das die Eltern mit ins Boot nimmt anstatt sie mit Gutscheinen oder Chipkarten zu bevormunden.

13.08.2010

"Ich habe Bundesministerin von der Leyen bereits Anfang dieser Woche ein Modell vorgeschlagen, das die ganze Familie in den Blick nimmt. Wenn man etwas für Kinder tun will, müssen die Eltern mit ins Boot genommen werden. Dazu gehört gleiche Augenhöhe und nicht Bevormundung. Mit den Eltern geht vieles, ohne die Eltern geht nichts. Es kann nicht sein, dass einige 'schwarze Schafe' alle Eltern in Misskredit bringen. Das Chipkartensystem würde doch jedem Facharbeiter, der unverschuldet seine Arbeit verloren hat, unterstellen, er könne nicht für seine Kinder sorgen", so Haderthauer weiter.

"Ich mache mich deshalb stark für ein VerantwortungsTANDEM zwischen Eltern und öffentlicher Hand um die Bildungschancen von Kindern wirksam zu gewähren. Ein entsprechendes Modell, TANDEM, habe ich für Bayern bereits modellhaft mit den Städten Nürnberg und Fürth auf den Weg gebraucht. Der Schulterschluss kann bei arbeitsuchenden Eltern über eine Eingliederungs- und Teilhabevereinbarung des Job-Centers gelingen. Die bisherige Eingliederungsvereinbarung beschränkt sich auf Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Zukünftig sollen Jobcenter vernetzter arbeiten und die Situation der gesamten Familie in den Blick nehmen. Mit einer erweiterten Vereinbarung können, wo notwendig Hilfestellungen und Angebote für die Familie insgesamt in den Blick genommen werden. Zur Unterstützung der Job-Center und als Brückenkopf zu den kommunalen Hilfestrukturen können zum Beispiel Familienbegleiter den Bildungsbedarf der Kinder mit den Eltern besprechen und klären, wie er konkret umgesetzt werden kann. Zudem kann hier auch die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Familienförderung, mit karitativen und sozialen Organisationen vor Ort gesucht und organisiert werden. Gemeinsam als geeignet angesehene Maßnahmen, vom Krippenbesuch über den Sprachkurs bis zur Hausaufgabenhilfe oder dem Konfliktbewältigungstraining für den Halbwüchsigen, können in die Teilhabevereinbarung aufgenommen werden. Der große Vorteil liegt darin, dass die Maßnahmen quasi auf Augenhöhe vereinbart wurden und damit aber auch für alle verbindlich sind. Auf diesem Weg könnten wir meines Erachtens am ehesten erreichen, dass in Familien, die dabei Unterstützung brauchen, Bildungsangebote von den Kindern auch tatsächlich wahrgenommen werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Eltern in ihrer Verantwortung ernst genommen werden und der Staat nur dann eingreift, wenn es wirklich sein muss. Wenn es im Einzelfall notwendig ist, können das Jobcenter oder die Familienbegleiter auch das Jugendamt einschalten", erläuterte Haderthauer.

"Das Chipkarten-Modell sehe ich kritisch. Bildung und soziale Teilhabe für Kinder arbeitsuchender Eltern verfassungsfest zu gewährleisten heißt: Erstens: Wir müssen den individuellen Bedarf der Kinder bestmöglich erfüllen. Zweitens: Wir müssen die Eltern mit ins Boot holen, die Elternverantwortung muss gestärkt werden. Drittens darf es keine Kinder erster und zweiter Klasse geben. Die Chipkarte erfüllt keine dieser drei Bedingungen", so Haderthauer. 

"Hinzu kommt, dass es sich hier nicht um freiwillige Leistungen handelt, wie beispielsweise bei der Stuttgarter Chipkarte, die sozusagen als Bonus noch obendrein gegeben werden, sondern um einen verfassungsrechtlich zustehenden Anspruch im Rahmen des Regelbedarfs. Den Regelbedarf nun plötzlich nicht mehr, wie für alle anderen Leistungsbezieher in Geld, sondern nur als einen bestimmten Leistungskatalog zu gewähren, halte ich für diskriminierend und problematisch. Arbeitssuchende Eltern brauchen für ihre Kinder die gleiche Wahlfreiheit, die andere Eltern auch haben," betonte die Ministerin.

Dass die Kinder an den Angeboten tatsächlich teilnehmen, sei nämlich auch mit Chipkarte nicht gewährleistet, deshalb hätten auch sämtliche Versuche in dieser Richtung in Amerika den erwünschten Erfolg nicht gebracht. Hinzu käme, dass es mit der Bezahlung beispielsweise des Mitgliedsbeitrags für einen Fußballverein längst nicht getan wäre. Man wird kaum mit dem Chip auch die Fußballschuhe kaufen können, erläuterte die Ministerin.

"Der Bund wird im Übrigen nur für circa 15 Prozent aller Kinder die Leistungen erbringen, nämlich nur für die Kinder arbeitsuchender Eltern. Wenn, um Stigmatisierung zu vermeiden, alle Kinder ohne Einkommensgrenze diese Leistungen bekommen sollen, frage ich mich, wer das für die restlichen 85 Prozent der Kinder bezahlen soll. Wenn der Bund Stigmatisierung vermeiden will, muss er die Leistungen für alle Kinder bereitstellen und finanzieren! Die Länder oder gar Kommunen können das nicht", betonte Haderthauer. Die Umsetzung sei im Übrigen auch nicht durchdacht und bis zum ersten Januar 2011 nicht leistbar. Nur weil man arbeitsuchenden Eltern kein Bargeld für diesen Teil des Regelbedarfs ihrer Kinder geben wolle, müssten möglicher Weise eine Million Lesegeräte im ganzen Land angeschafft und unterhalten werden. "Wer bezahlt die Technik, Installation und den Unterhalt? Jeder Nachhilfelehrer, jeder Fußballverein jedes Museum braucht ein Lesegerät. Den Mehraufwand den die gesamte Technik kostet, würde ich lieber verwenden um Familien mit Unterstützungsbedarf zielgerecht in einem TANDEMansatz zu begleiten. Erschwerend kommt hinzu, dass Lesegeräte im ländlichen Raum wohl kaum flächendeckend vorgehalten werden können. Kinder auf dem Land wären damit von vornherein benachteiligt, weil sie faktisch auf ganz wenige Angebote beschränkt werden. Gleichberechtigte Teilhabe und gleichberechtigte Lebenschancen im ganzen Land sehen anders aus", so die Ministerin abschließend.

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