Bildungspolitik

UNESCO-Weltbildungsbericht 2020: Pandemie droht Ungleichheiten zu verstärken

Der Weltbildungsbericht 2020 untersucht soziale, wirtschaftliche und kulturelle Mechanismen, die benachteiligte Kinder, Jugendliche und Erwachsene diskriminieren und sie von Bildung abhalten oder innerhalb des Bildungssystems marginalisieren. Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Deutsche UNESCO-Kommission haben den UNESCO-Weltbildungsbericht 2020 zum Thema „Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle“ vorgestellt. Hochrangige politische Vertreterinnen und Vertreter diskutierten gemeinsam mit internationalen Expert(inn)en die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Bildung in Deutschland und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.

23.09.2020

Obwohl sich die Weltgemeinschaft zum Ziel gesetzt hat, mit der Globalen Agenda Bildung 2030 inklusive und chancengerechte Bildung für alle bis 2030 sicherzustellen, haben mehr als eine Viertel Milliarde Kinder und Jugendliche keinen Zugang zu Bildung. Millionen andere werden aufgrund ihrer Herkunft, Identität oder einer Behinderung innerhalb des Bildungssystems ausgegrenzt. Die Covid-19-Pandemie droht diese Ungleichheiten noch zu verschärfen. So haben beispielsweise etwa 40 Prozent der Länder mit niedrigem und niedrig-mittlerem Einkommen während der Covid-19-Krise keine Maßnahmen zur Unterstützung der von Exklusion bedrohten Lernenden ergriffen. Zu dem Schluss kommt der UNESCO-Weltbildungsbericht „Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle“, der am 22. September 2020 in Deutschland vorgestellt wurde. Die UNESCO warnt, dass durch Covid-19 die jährliche Finanzierungslücke für Bildung in den Ländern mit niedrigem und niedrig-mittlerem Einkommen von 148 Milliarden US-Dollar um bis zu ein Drittel auf fast 200 Milliarden US-Dollar ansteigen wird.

Armut ist entscheidende Hürde für den Bildungserfolg

Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt: „Demokratie beruht auf dem Versprechen gleicher Chancen, sie entfaltet sich durch Chancengerechtigkeit. Inklusion bedeutet, jeden und jede so zu fördern, dass er oder sie das eigene Potenzial so gut wie möglich ausschöpfen kann. Der Weltbildungsbericht zeigt, dass wir davon leider noch immer weit entfernt sind. Investitionen in eine hochwertige Bildung, die niemanden ausschließt, sind Investitionen in die Stärke von Gesellschaften. Bildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, Armut zu bekämpfen, Ungleichheit zu reduzieren und Frieden zu erhalten. Deshalb setzen wir uns in unserer Internationalen Kultur- und Bildungspolitik dafür ein, durch multilaterale Zusammenarbeit und zivilgesellschaftlichen Austausch Inklusion zu fördern. Das ist eine Verpflichtung, zu der wir uns auch als globale Gemeinschaft in internationalen Abkommen bekannt haben.“

Globale Bildungspartnerschaften

Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: „Im Krisenkontext, wie der aktuellen Covid-19-Pandemie, verschärfen sich bestehende Ungleichheiten weltweit. Über eine Milliarde Kinder konnten wegen der Epidemie dieses Jahr nicht zur Schule gehen. Alle Menschen brauchen einen gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung. Globale Bildungspartnerschaften müssen jetzt gestärkt werden. Wir brauchen globale Solidarität, um den verheerenden Folgen, die diese Pandemie auf die Bildung hat, entgegenzuwirken.“

In einem Viertel aller Länder weltweit ist die getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben. In Asien, Lateinamerika und der Karibik existieren in über 40 Prozent der Staaten entsprechende Regelungen. Aber auch Minderheiten und Geflüchteten wird der Zugang zu hochwertiger Bildung in vielen Ländern der Welt noch immer nicht hinreichend gewährt. In mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern lernen Kinder der Roma-Minderheit getrennt von der Mehrheitsgesellschaft. In den OECD-Staaten besuchen mehr als zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Schulen, an denen mindesten die Hälfte der Schülerinnen und Schüler ebenfalls eine Zuwanderungsgeschichte hat.

Weltweite Schritte Richtung Inklusion

Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: „Unser Anspruch ist es, Bildung auf allen Ebenen inklusiv zu gestalten. Wir müssen uns in Deutschland und der Welt noch mehr anstrengen, damit wir diesem Ziel Schritt für Schritt näherkommen. Jeder und jede hat ein Recht auf gute Bildung, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialem Status, religiöser und sexueller Orientierung oder einer Beeinträchtigung. Mit diesem Ziel vor Augen arbeiten wir im Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine starke inklusive Bildung in Deutschland.“

Die heutige Veranstaltung stellte die internationale Perspektive und die Entwicklung weltweit dar, fokussierte aber auf die Bedeutung des Weltbildungsberichts für das deutsche Bildungswesen. Nicht zuletzt der Bericht der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ministerin Dr. Stefanie Hubig, zeigte Stand und Perspektiven chancengerechter Bildung in Deutschland.
Auch wenn die Weltgemeinschaft noch einen weiten Weg vor sich hat, gibt es viele Beispiele, die zeigen, wie Inklusion gelingen kann.

Vor Veröffentlichung des Weltberichts stellte die UNESCO in diesem Jahr exzellente Beispiele inklusiver Bildung vor, darunter die Marie-Kahle-Gesamtschule Bonn, die von Sabine Kreutzer geleitet wird. An der 2009 gegründeten Schule wird nach der Dalton-Methode unterrichtet, die den Schülerinnen und Schülern ein selbstbestimmtes Lernen in ihrem eigenen Tempo ermöglicht. Die Bonner Bildungseinrichtung wurde dafür erst 2019 mit dem Jakob Muth-Preis für inklusive Schule ausgezeichnet.

Auch in vielen anderen Ländern hat die UNESCO innovative Ansätze für mehr Bildungsteilhabe gefunden. So existieren auf Kuba, in Malawi und der Ukraine Kompetenzzentren, die allgemeine Schulen dabei unterstützen, Kinder mit besonderen Bedarfen zu unterrichten. In Gambia, Neuseeland und auf Samoa werden mobile Lehrkräfte eingesetzt, um benachteiligte Gruppen zu erreichen. Der indische Bundesstaat Odisha verwendet 21 Stammessprachen in seinen Klassenzimmern und Kenia passt seinen Lehrplan an den Kalender der im Land lebenden Nomadinnen und Nomaden an.

Inklusion braucht gut geschulte Lehrkräfte

Walter Hirche, Minister a. D., Vorstandsmitglied und Präsident a. D. der Deutschen UNESCO-Kommission: „Vielen Bildungssystemen liegt die Annahme zugrunde, dass alle Menschen dieselben Lernbedürfnisse haben. Doch so unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Arten, sich zu bilden. Nicht die Lernenden müssen sich in ein bestehendes System integrieren, sondern das Bildungssystem muss sich an sie anpassen. In Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht. Aber die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf lernt noch immer separiert, statt den Unterricht an allgemeinen Schulen zu besuchen. Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer in der Ausbildung und mit passgenauen Fortbildungen dabei unterstützen, alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen mitzunehmen.“

Bei der Umsetzung von Teilhabe im Bildungsbereich kommt insbesondere den Lehrkräften eine entscheidende Rolle zu. Sie sind der Schlüssel zu mehr Inklusion im Schulalltag, brauchen dafür aber das nötige Handwerkszeug. So gab ein Viertel aller Lehrkräfte in 48 untersuchten Ländern an, sich mehr Weiterbildungen zum Unterrichten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedarfen zu wünschen.

Hintergrund: Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherzustellen. Die UNESCO koordiniert die Umsetzung dieses Ziels, evaluiert die Fortschritte und veröffentlicht jährlich den Weltbildungsbericht.

Download und weitere Informationen

Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Deutschen UNESCO-Kommission vom 22.09.2020

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