Kindertagesbetreuung
Kindergartenbesuch ab drei Jahren: Kinder mit Migrationshintergrund profitieren stärker
Frühkindliche Bildung kann die Schere zwischen armen und reichen Kindern schließen. Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien profitieren am stärksten von einem frühen Kindergartenbesuch. Gleichzeitig besuchen sie seltener schon mit drei Jahren den Kindergarten. Daher sollten Politikmaßnahmen darauf abzielen, den Besuch frühkindlicher Bildungseinrichtungen von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Elternhäusern zu erhöhen.
05.06.2018
Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie der Ökonomen Thomas Cornelissen, Christian Dustmann, Anna Raute und Uta Schönberg vom Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM) am University College London, die im renommierten Journal of Political Economy erscheinen wird. Wissenschaftler des CReAM sind über das RWI Research Network mit dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung verbunden.
Kinder, die mehr profitieren würden, nutzen Angebote seltener
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass der Kindergartenbesuch die Schulfähigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien deutlich stärker erhöht als die Schulfähigkeit von Kindern mit privilegierterem Familienhintergrund. Jedoch findet die Studie auch, dass gerade die Kinder, die stark von einem Kindergartenbesuch profitieren würden, das frühkindliche Bildungsangebot seltener nutzen.
Früher Kindergartenbesuch kann Unterschiede ausgleichen
Der Grund für die stark unterschiedlichen Effekte des frühen Kindergartenbesuches für verschiedene Bevölkerungsgruppen sind Unterschiede im familiären Umfeld. Ein früher Kindergartenbesuch kann diese Unterschiede ausgleichen.
Der weniger häufige Kindergartenbesuch von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien kann verschiedene Erklärungen haben:
- In sozial bessergestellten Familien sind Mütter oft berufstätig, so dass ein früher Kindergartenbesuch die Kinderbetreuung durch die Eltern ersetzt. Berufstätigkeit der Mütter bzw. Eltern ist außerdem ein gängiges Vergabekriterium.
- Eltern in sozial benachteiligten Familien oder Familien mit Migrationshintergrund sind sich häufig nicht der positiven Effekte von frühkindlicher Bildung bewusst, oder stehen vorschulischen Bildungsinterventionen aus kulturellen Gründen kritisch gegenüber.
- Die Kosten des Kindergartenbesuches relativ zum Familieneinkommen sind für sozial benachteiligte Familien oftmals höher als für gut situierte Familien.
Prof. Dr. Christian Dustmann, einer der Autoren der Studie vom CReAM am University College London und Mitglied des RWI Research Network, sagt: „Ein gebührenfreier Kitabesuch, wie im vergangenen Wahlkampf von einigen Parteien vorgeschlagen, mag sozial benachteiligte Familien oder Familien mit Migrationshintergrund dazu bewegen, ihr Kind in die Kita zu schicken. Allerdings ist es ebenfalls wichtig, Informationsdefizite von Eltern aus sozial schwächeren Familien abzubauen und sprachliche, religiöse und kulturelle Barrieren bei Eltern mit Migrationshintergrund zu überwinden.“
Empfehlungen an die Politik
Die Autoren empfehlen, dass Politikansätze zur Erhöhung der Kitabesuchsrate schwer erreichbarer Familien kulturelle Unterschiede berücksichtigen, z.B. durch aktive Einbindung der Eltern und mehrsprachige Informationskampagnen. Auch eine automatische Anmeldung der Kinder könnte den Anmeldeprozess vereinfachen. Die Studie impliziert auch, dass Erwerbstätigkeit der Eltern als Zugangskriterium nicht unbedingt die Kinder erreicht, die am meisten profitieren können.
Die Analyse basiert auf umfangreichen Daten der Schuleingangsuntersuchung Weser-Ems für die Jahre 1994-2002, die durch das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA) bereitgestellt wurden. Die Autoren nutzen den Ausbau von Kindergartenplätzen in den 1990er Jahren, hervorgerufen durch die Einführung des Kindergartenrechtsanspruches in 1996, um ursächliche Zusammenhänge aufzuzeigen.
Der Pressemitteilung liegt das folgende CReAM Discussion Paper zugrunde: Cornelissen, T., Dustmann, C., Raute, A. und U. Schönberg (2018): Who benefits from universal child care? Estimating marginal returns to early child care attendance, CReAM Discussion Paper No. 08/18 (PDF, 1,3 MB).
Hintergrundinformationen
Das Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM) ist ein unabhängiges und interdisziplinäres Forschungsinstitut, das in der Fakultät für Volkswirtschaftslehre am University College London (UCL) angesiedelt ist. CReAM strebt an, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur öffentlichen Debatte über ökonomische Themen in Europa beizutragen und den aktuellen politischen Diskurs in eine Richtung zu lenken, die auf wissenschaftlich rigoroser, politisch unvoreingenommener Evidenz beruht.
Das UCL wurde im Jahr 1826 gegründet und ist nach Oxford und Cambridge die drittälteste englische Hochschule. Sie ist eine der weltweit angesehensten Universitäten, was sich in der kontinuierlichen Platzierung unter der Weltspitze in international anerkannten Rankings widerspiegelt.
Das RWI Research Network verbindet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, mit denen das RWI regelmäßig in Projekten der Forschung und/oder der Politikberatung zusammenarbeitet. Es wendet sich darüber hinaus an Alumni, die am RWI entweder promoviert oder habilitiert haben und dem Institut weiterhin aktiv verbunden sind. Gemeinsame Grundlage ist das geteilte Verständnis über die gesellschaftliche Bedeutung sowie die unverzichtbaren Qualitätsmaßstäbe der empirischen Wirtschaftsforschung und der darauf aufbauenden evidenzbasierten Politikberatung.
Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung vom 04.06.2018
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