Kinder- und Jugendarbeit

Jugendverbandsarbeit: Zwischen "stabilem Engagement" und "Verzicht auf Einflussmöglichkeiten"

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat in einer Studie die Jugendverbandarbeit in Deutschland untersucht. Die Studie wirft Schlaglichter auf die Stärken der Jugendverbände und die Herausferdorungen, vor denen sie stehen.

24.02.2010

DJI-Jugendverbandserhebung
Die Studie "DJI - Jugendverbandserhebung - Befunde zu Strukturmerkmalen und Herausforderungen" kann kostenlos über das DJI bestellt werden und steht auf der Homepage des Projektes zum Download zur Verfügung.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurden vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) bundesweit Jugendverbände auf Kreis- und Stadtebene in der gesamten Bundesrepublik Deutschland befragt. Ziel dieser zum wiederholten Mal durchgeführten Studie ist es, die Jugendverbandslandschaft empirisch zu beschreiben und Entwicklungen zu analysieren. Im Rahmen dieser Befragung haben die Personalsituation der Jugendverbände vor Ort (Ehrenamtliche & Hauptamtliche), deren Strategien, ehrenamtlich engagierte Jugendliche zu gewinnen und an sich zu binden, die Zusammenarbeit der Jugendverbände mit Schulen sowie die interkulturelle Öffnung der Jugendverbände besondere Beachtung gefunden. Darüber hinaus wurden auch Daten zu folgenden Themen erhoben: Organisationsstruktur, Fort- und Weiterbildung, Umgang mit Kindeswohlgefährdung, Kinder- und Jugendhilfeausschuss, Zusammenarbeit mit Jugendringen und Finanzen. 

Wir geben im Folgenden zentrale Aussagen aus der Erhebung des DJI wider. 

Zentrale Befunde zu Jugendverbänden in Deutschland 

Die Ergebnisse der vorliegenden Jugendverbandserhebung zeigen: Jugendverbände sind ein unverzichtbarer und wichtiger Pfeiler im System der Kinder- und Jugendhilfe und ein bedeutsames Feld der Sozialisation für Kinder und Jugendliche. Die Mitarbeitenden in Jugendverbänden und allein die Verfasstheit der Verbände als Ort selbstorganisierter Aktivitäten stellen ein großes Potenzial für Jugendliche dar. Die Zusammenarbeit mit Schulen, neue rechtliche Regelungen zum Kinderschutz und die interkulturelle Öffnung sind Beispiele für Herausforderungen, auf die die Jugendverbände Antworten finden müssen. Wie gut es den Jugendverbänden gelingen wird, mit diesen Herausforderungen umzugehen, hängt auch davon ab, mit welchen Rahmenbedingungen sie zurechtkommen müssen. Ein Ort, an dem die Jugendverbände sich für geeignete Rahmenbedingungen einsetzen können, ist der Kinder- und Jugendhilfeausschuss. Im Folgenden werden – gegliedert nach den Personalressourcen und Organisationsformen, aktuellen Herausforderungen sowie den Rahmenbedingungen – die Befunde der vorliegenden Erhebung dargestellt. 

Stabiles und vielfältiges Engagement in Jugendverbänden 

Jugendverbände sind Organisationen, in denen sich viele Jugendliche engagieren und Verantwortung auch für gemeinnützige und gesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Entgegen der in der öffentlichen Diskussion immer wieder thematisierten Abnahme jugendlichen Engagements zeigt sich bei den Jugendverbänden über einen Zeitraum von sieben Jahren keine entsprechende negative Entwicklung. Die Anzahl der Ehrenamtlichen und die von ihnen geleistete Arbeitsmenge bleibt im Großen und Ganzen konstant. 

Selbstorganisation von Jugendlichen als zentrales Element? 

Die Mitgliedsorganisationen der Jugendringe reichen über das große Spektrum der Jugendverbände hinaus. Es haben sich inzwischen – nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Projektförderung und den Besonderheiten in Ostdeutschland – auch Träger als Mitglieder von Jugendringen etabliert, die man dort nicht vermuten würde. Diese von uns als „untypische“ Jugendverbände bezeichneten Organisationen haben durchaus das Potenzial, zu nachhaltigen Veränderungen der Jugendarbeit beizutragen, denn sie sind wesentlich stärker angebotsorientiert. 
Sie binden weniger ehrenamtlich Aktive und tragen nicht unbedingt zu einer Förderung der Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen bei. 

Der Sog der Schule – Risiko oder Chance? 

Die Ergebnisse zur Zusammenarbeit von Jugendverbänden mit schulischen Partnern belegen, dass viele Jugendverbände ihre Aktivitäten auch auf Angebote an Schulen ausgedehnt haben und damit ein wichtiger Partner für den Ausbau der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern geworden sind. Wird die Zusammenarbeit durch eine Kooperationsvereinbarung abgesichert, dann gibt es in der Regel auch eine höhere Aktivität an der Schule. Die Frage, ob Jugendverbände durch die Zusammenarbeit mit Schulen einen Verlust an Identität und Eigenständigkeit zu befürchten haben, lässt sich mit den Ergebnissen dieser Erhebung nicht beantworten, da die Befunde nicht eindeutig sind. 

Kinderschutz – Gesetze mit beschränkter Reichweite 

Die Regelungen der §§ 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) und 72a (Persönliche Eignung) SGB VIII greifen insbesondere bei den rein ehrenamtlichen Jugendverbänden kaum. Nur wenige von ihnen haben entsprechende Vereinbarungen mit dem Jugendamt getroffen (20 %) oder Verfahren bei der Einstellung ihres Personals (haupt- oder ehrenamtlich) festgelegt (38 %). Trotzdem ist auch bei Jugendverbänden die Sensibilität für Kinderschutzfragen gestiegen. 

Jugendverbände – kein Spiegel der Migrationsgesellschaft 

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Diskussionen über die Möglichkeiten von Jugendverbänden zur interkulturellen Öffnung. Die eine Seite sieht darin eine für das Überleben von Jugendverbänden notwendige Weiterentwicklung, die andere hingegen empfindet solche Anforderungen als paradox, denn schließlich sei das zentrale Kennzeichen eines Verbandes seine Milieubezogenheit. Ist das Milieu monoethnisch, dann würde es der Verband eben auch sein. 
Trotz dieser kontroversen Debatte gibt es auf den verschiedenen Ebenen der Jugendverbände inzwischen eindeutige programmatische Aussagen zur Notwendigkeit interkultureller Öffnung in einer multiethnischen, kulturell vielfältigen Gesellschaft. Dies hat in den Orts- und Kreisgruppen bisher nur bedingt Widerhall gefunden. Interkulturelle Öffnung ist zwar in vielen Verbänden zu einem Thema geworden, mit dem man sich auseinandersetzt, und eine Reihe von Verbänden hat mit ihren Angeboten in den letzten Jahren mehr Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund erreicht als früher. Dennoch sind Jugendliche mit einem Migrationshintergrund in der Regel in den etablierten Jugendverbänden unterrepräsentiert. 

Fort- und Weiterbildung 

Die Anforderungen an Jugendverbände werden komplexer, der Verweis auf interkulturelle Öffnung als gesellschaftspolitische Aufgabe, Kinderschutz und die Diskussion um informelle und non-formale Bildung (Zertifizierung ehrenamtlichen Engagements, Europäischer Qualifikationsrahmen) mögen an dieser Stelle als Belege für diese These ausreichen. Im Sinne einer guten Personalentwicklung sollte deshalb auch der Stellenwert von Fort- und Weiterbildungen steigen. Die Ergebnisse der Befragung können zwar nicht als ein Beleg für eine wachsende Bedeutung von Fort- und Weiterbildung gelesen werden, aber es wird deutlich, dass Fort- und Weiterbildung sowohl für Ehrenamtliche als auch für Hauptamtliche ihren bisherigen Stellenwert erhalten konnten. 

Jugendringe sind eine wichtige Stütze der Jugendverbände 

Jugendringe bieten die Chance, den Austausch zwischen den Verbänden zu fördern, Interessen verbandsübergreifend zu bündeln und die Anliegen der Jugendverbände in die öffentliche Diskussion zu tragen. Viele Jugendverbände attestieren den Jugendringen, diese Aufgaben zu erfüllen. Die Unterstützung durch den Jugendring wird von den Jugendverbänden insgesamt als positiv gewertet. Dies spricht dafür, dass ein funktionierender Jugendring mit Blick auf die Jugendverbände eine wichtige jugendpolitische Funktion erfüllt. Aber nicht alle Jugendverbände können auf eine solche Unterstützung bauen. Denn in einem Fünftel der Jugendamtsbezirke gibt es keine Jugendringe. 

Jugendverbände verzichten auf Einflussmöglichkeiten 

Die meisten der Jugendverbände sind im Kinder- und Jugendhilfeausschuss selbst vertreten oder werden durch andere Verbände repräsentiert. Sie nehmen den Ausschuss als einen Ort wahr, an dem kritische Diskussionen geführt werden und Jugendhilfe gestaltet wird. Die Anzahl der Jugendverbände, die ihre Vertretung im Kinder- und Jugendhilfeausschuss für diese Gremienarbeit qualifiziert, ist im Westen gegenüber der Erhebung im Jahr 2001 etwas angestiegen. Der Kinder- und Jugendhilfeausschusses wird von vielen Jugendverbänden durchaus als ein jugendpolitisch bedeutsamer Ort eingeschätzt. 
Trotzdem fühlt sich ein Drittel der Verbände in diesem Gremium nicht repräsentiert. 

Jugendverbandsarbeit ohne Sparpotenziale 

Viele der in den letzten Jahren getroffenen jugendhilfepolitischen Entscheidungen geben Anlass zu der Sorge, dass die Ausgaben für Jugendverbände gekürzt und die hierdurch freiwerdenden Mittel in andere Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe gesteckt werden. Schließlich gab es in dem vergangenen Jahrzehnt deutliche Ausgabensteigerungen bei der Kindertagesbetreuung. Bei vielen Entscheidungsträgern ist wohl auch der Eindruck entstanden, dass als „demografische Dividende“ Mittel in der Jugendarbeit eingespart werden können, und dies, obwohl es fachlich eindeutig belegt ist, dass der Mittelbedarf sich auf keinen Fall direkt proportional mit der Bevölkerungszahl entwickelt und zudem neue Anforderungen an die Jugendverbände herangetragen werden. Die amtliche Statistik und die Auswertung der in der Befragung erhoben Finanzdaten zeigen eindeutig: Die finanzielle Ausstattung hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert. Die Analyse auf der Ebene der einzelnen Jugendverbände kommt zu dem Ergebnis, dass sich für einen großen Teil der Jugendverbände die Finanzausstattung langfristig deutlich verschlechtert hat, mehr als es die aggregierten Daten der amtlichen Statistik vermuten lassen.

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