Hilfen zur Erziehung

LWL-Dokumentation zeigt frühere Missstände bei der Heimerziehung auf

Im Rahmen einer Tagung hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) heute in Münster eine wissenschaftliche Dokumentation zur Heimerziehung zwischen 1945 und 1980 vorgestellt.

14.12.2010

"Ich bitte alle ehemaligen Heimkinder, die in westfälischen Heimen statt einer geschützten Kindheit Gewalt und Erziehung durch Arbeit erfahren haben, um Entschuldigung", sagte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch vor 120 Teilnehmern der Tagung. Rund die Hälfte der Teilnehmer waren ehemalige Heimkinder. 

Die Vorwürfe der ehemaligen Heimkinder über Misshandlungen, Arbeit ohne Lohn, fehlende Bildung, Lieblosigkeit und nichtige Einweisungsgründe wurden in den vergangenen Jahren immer lauter. Sie betreffen den LWL gleich dreifach: der LWL war als "Maßnahmeträger" erzieherisch und finanziell für rund die Hälfte (6.000 bis 9.000 Minderjährige jährlich) aller in Westfalen untergebrachten Kinder und Jugendlichen allein zuständig, er betrieb eigene Erziehungsheime und er war ab 1962 Träger der neu eingeführten Heimaufsicht. Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, hat der LWL 2007 die wissenschaftliche Dokumentation "Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945 - 1980" beim LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte in Auftrag gegeben. 

"In den 1950er und 1960 Jahren herrschte in den Heimen ein autoritärer Erziehungsstil. Statt einer pädagogischen Betreuung, die auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet war, gab es oft eine bloße Massenabfertigung mit den Schwerpunkten Arbeit, Disziplinierung, Zucht und Ordnung", nennt Prof. Dr. Bernd Walter, Leiter des LWL-Institutes für westfälische Regionalgeschichte, die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung. "Die Einrichtungen, die überwiegend in konfessioneller Trägerschaft waren, litten zum großen Teil unter Personalmangel und schlechter finanzieller Ausstattung, das Betreuungspersonal hatte in der Regel keine pädagogische Ausbildung. Gemessen an heutigen Maßstäben waren die körperlichen Züchtigungen und andere Erziehungsmethoden wie Einsperren, Essensentzug und Zurschaustellung von Bettnässern ebenso unhaltbar wie die harte Arbeit, für die keine Rentenbeiträge abgeführt wurden und für die Jugendlichen keinen Lohn bekamen." Zum Vergleich: Während sich heute 4,5 Fachkräfte um eine Gruppe mit neun Minderjährigen kümmern, war 1945 ein Betreuer für eine Gruppe mit bis zu 40 Heimkindern rund um die Uhr zuständig, 1960 hatte sich der Schlüssel erst auf 1:20 verbessert. 

Da das damalige Landesjugendamt nur über rund 120 eigene Heimplätze verfügt habe, sei es gleichzeitig auf die gute Zusammenarbeit mit den freien Trägern angewiesen gewesen. Daher dauerte es viele Jahre, bis sich eine unabhängige Heimaufsicht entwickelt hatte. Auch in den LWL-Heimen, in denen vor allem so genannte "schwierige Jugendliche" untergebracht waren, sei der Alltag durch Strenge, körperliche Züchtigung, militärische Umgangsformen und Arbeit geprägt gewesen, so Walter weiter. 

"Es muss verhindert werden, dass sich derartige Zustände in den Erziehungseinrichtungen auch nur annähernd wiederholen können. Deshalb wird das LWL-Landesjugendamt, das heute die Betriebserlaubnisse erteilt, seine Vorgehensweise nochmals überprüfen. Dabei geht es darum, die Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen weiter zu verbessern, die Eignung der Betreuer zu überprüfen, die Sorgeberechtigten stärker einzubeziehen und Möglichkeiten für unangekündigte Besuche in den Einrichtungen zu schaffen", sagte LWL-Direktor Kirsch. 

Die Dokumentation "Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945 - 1980 - Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse aus der Quellenarbeit" findet sich im Quellenpool des Fachkräfteportals.

Herausgeber: Landschaftsverband Westfalen-Lippe - Landesjugendamt Westfalen

 

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