Flucht und Migration

Good Practice: Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge

Kurz vor Weihnachten wird im Kiez eine Sporthalle als Notunterkunft für bis zu 250 Flüchtlinge eingerichtet. Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz in Berlin, hat seine ganz persönlichen Eindrücke in einem Beitrag zusammengefasst.

05.03.2015

Geschrieben von Thomas Mampel

Eigentlich sollte das Jahr 2014 ruhig ausklingen und die Zeit zwischen den Jahren eine ganz ruhige und entspannte sein. Die meisten Mitarbeitenden des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. waren im Urlaub, die meisten Einrichtungen geschlossen, die Geschäftsstelle im "Winterschlaf". Alles war auf Weihnachten und den Jahreswechsel ausgerichtet... Ist alles nichts geworden, alles ist anders gekommen.

Einen Tag vor Weihnachten sind wir mit der Information überrascht worden, dass hier bei uns im Kiez eine Sporthalle als Notunterkunft für bis zu 250 Flüchtlinge eingerichtet wird. Die freien Tage waren fortan mit viel Aktivität gut gefüllt. Am 1. Weihnachtsfeiertag und an den den folgenden Tagen haben wir Kleidung und dringend benötigte Sachspenden eingesammelt und in der Sporthalle an Flüchtlinge ausgegeben. Tagsüber waren wir mehr am telefonieren und mailen, als an manchen "normalen Bürotagen": Abstimmung mit der Integrationsbeauftragten des Bezirks, die auch als Verbindungsfrau zum Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf fungierte, Telefonate mit Kooperationspartnern, Helfern und Menschen, die was spenden wollten. Berichte schreiben für den Blog des Stadtteilzentrums und für unsere Facebook-Seite, damit alle auf dem aktuellen Stand sind. Wir waren fast rund um die Uhr im Einsatz.

Mich hat das alles sehr bewegt. Ich war vorher noch nie "so nah" an Flüchtlingen, war noch nie so intensiv mit so vielen von ihnen im Kontakt und habe noch nie vorher so hautnah gespürt, wie es diesen Mitmenschen geht. Ich habe Kinder an Weihnachten gesehen, deren ganzes Glück für diesen Augenblick in einem Spiderman-Rucksack und einem kleinen deutschen Polizeiauto bestand. Ich habe kleine Mädchen gesehen, die an Weihnachten auf Doppelstockbetten in einer riesigen Sporthalle saßen und in sich versunken (und für den Moment sehr glücklich aussehend) Barbiepuppen kämmten. Ich habe (fast mit Tränen in den Augen) gesehen, wie sich ein älterer Mann über eine originalverpackte Zahnbürste gefreut hat. Ich habe eine Frau erlebt, die eine Kollegin von mir umarmte und drückte, weil ihrer kleinen Tochter die schönsten Winterschuhe, die wir da hatten, passten. Nachts habe ich sehr schlecht geschlafen. So viele Bilder. So viele Eindrücke.

Zeichen setzen gegen PEGIDA und Co.

Die Nachrichtenmeldungen, die die Flüchtlingsnot beschreiben, die Bilder von "PEGIDA"-Demonstrationen: Alles erscheint in einem anderen, weil persönlichen Licht. Die Not der Flüchtlinge hat – für mich – ein Gesicht bekommen. Viele Gesichter. Gesichter von Menschen, die nun mitten unter uns leben, und uns brauchen. Ich bin und war überwältigt von der enormen Hilfs- und Spendenbereitschaft der Menschen hier im Bezirk. Das war auch ein sehr eindrucksvolles und bewegendes Erlebnis. Ganze Familien, die mit Kleidung und Spielsachen, mit Klopapier, Windeln, Alltagsuntensilien im KiJuNa auftauchten und ihre Hilfe anboten. Auch dieses Erlebnis wird sich in unsere Erinnerung "einbrennen".

Mittlerweile gehen wir davon aus, dass die Sporthalle noch bis mindestens Mitte April als Notunterkunft gebraucht wird. Das stellt besondere Herausforderungen an den Betreiber (den Arbeiter-Samariter-Bund ASB) und an uns, die wir mit Ehrenamtlichen Hilfe und Unterstützung für die neuen Nachbarn – v.a. natürlich auch für die Familien und die Kinder – organisieren wollen.

Enormes bürgerschaftliches Engagement

Zwar ist die Belegungszahl etwas gesunken (aktuell leben rund 200 Flüchtlinge in der Halle), dennoch bleibt die Situation für die Menschen dort schwierig. Die Ausstattung der Halle - vor allem die sanitärtechnische Infrastruktur - stößt an ihre Grenzen. Eine stabile Gruppe von rund 45 bis 50 Ehrenamtlichen organisiert neben der Spendenannahme und -ausgabe mittlerweile auch einige Aktivitäten für die Flüchtlinge. Unter anderem wird ein stark nachgefragter Deutschkurs angeboten, Flüchtlinge werden bei Arzt- oder Behördengängen begleitet und es fand ein erster "Ausflug" in den "kieztref" des Stadtteilzentrum Steglitz in der Celsiusstrasse statt, wo die Stamm-Besucher der Einrichtung zusammen mit Ehrenamtlichen Kuchen, Tee und Kaffee mit rund 30 Flüchtlingen genossen haben, während die Kinder malten und spielten. Einige Tage später kamen die Menschen aus der Sporthalle dann wieder in den "kieztreff" – und und es wurde gemeinsam gekocht und gegessen. Seither besuchen viele Flüchtlinge regelmäßig die sozialen Einrichtungen im Kiez. Gelebte Nachbarschaft.

Am 28.2. begleiten Ehrenamtliche eine Gruppe von 30 Flüchtlingen zu einem Heimspiel von Hertha BSC ins Berliner Olympiastadion. Die Karten hierfür wurden von Hertha BSC gespendet.

Voraussichtlich im Mai 2015 wird auf dem gleichen Gelände, auf dem sich auch die Sporthalle befindet, eins von berlinweit sechs sogenannten "Containerdörfern" erreichtet. Das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. ist im Rahmen des Stadtteilzentrums-Vertrages mit dem Aufbau und der Unterstützung von Willkommensprojekten vor Ort beauftragt. Diese Aufgabe nehmen wir gerne an. Die Menschen in Lichterfelde – und nicht nur dort – zeigen eindrucksvoll, dass wir weltoffen und solidarisch sind. Flüchtlinge sind bei uns willkommen! Pegida und Co. sind nicht das Volk. Das Volk engagiert sich und unterstützt die Menschen, die in höchster Not zu uns kommen. Das macht mich froh und glücklich. Und für diese Erfahrung "opfere" ich auch gerne mal einen Weihnachtsurlaub.

 

Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung der Redaktion dem Blog jugendhilfe-bewegt-berlin des PARITÄTISCHEN Landesverbandes Berlin e.V. entnommen.

Sie finden den Blog unter: <link http: www.jugendhilfe-bewegt-berlin.de startseite.html external-link-new-window>www.jugendhilfe-bewegt-berlin.de

Quelle: Deutscher PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e. V.

 

Redaktion: Kerstin Boller

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