Rumänien

Junge Menschen zwischen Online und Offline

Die Corona-Pandemie hat Rumänien wieder voll im Griff. Die Infektionszahlen steigen täglich rapide und Deutschland hat eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen. Wie geht es den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe dort in der Krise? In dieser Reportage kommen Verantwortliche aus einem Jugendzentrum, einer Kita und einer Begegnungsstätte zu Wort.

12.08.2020

Mihai Adrian Vilcea ist der Vorsitzende des Jugend- und Kulturvereins FITT (Fundația Județeană pentru Tineret Timiș) in Timisoara, einer Stadt im Westen von Rumänien, mit rund 300 000 Einwohnern. Wegen seiner vielen imposanten Gebäude wird Timisoara von einigen auch das „Kleine Wien Rumäniens“ genannt. Das FITT residiert in einem solchen Haus mit rund 11.000 Quadratmeter Nutzfläche. Die müssen allerdings erst einmal bespielt werden. Letztes Jahr wurden daher neue Räume eingerichtet: ein Konzertsaal für maximal 500 Zuschauer, ein Theatersaal mit 70 Sitzplätzen, ein Kunststudio und eine Galerie. Außerdem verfügt das FITT über zahlreiche Schulungsräume, Coworking Spaces, einen Kinosaal mit 404 Plätzen sowie drei Musik- und drei Balletträume.

In der Corona-Krise liegt genau da das Problem. Das FITT lebt hauptsächlich von Einnahmen durch Veranstaltungen und die fallen jetzt weg. „Das beschert uns gravierende finanzielle Einbußen“, sagt Mihai. Er hofft nun auf Unterstützung durch die Europäische Union, zumal das „Haus der Jugend“ wie das FITT auch genannt wird, 2013 vom Europarat als eines der 13 besten Jugendzentren in Europa ausgezeichnet wurde.

Nachbarschaftshilfe durch Jugendliche

Trotzdem bleibt er gelassen. Den Kontakt zu den Jugendlichen hat er während des Lockdown über Social Media gehalten. „Es war extrem wichtig unsere Leute mit den richtigen Informationen über die Corona-Krise zu versorgen“, erklärt Mihai. Eine weitere Aktion, die er mit angeschoben hat, war Plakate in Timisoara aufzuhängen, auf denen die Jugendlichen ihre Unterstützung angeboten und zur Nachbarschaftshilfe aufgerufen haben. So waren sie beschäftigt, indem sie beispielsweise für alte Menschen oder Hilfsbedürftige die Einkäufe übernommen haben. „Wichtig war mir, nicht nur online präsent zu sein“, erklärt Mihai. „Die Jugendlichen sind sowieso schon viel zu oft im Internet.“ Deswegen hat er, sobald es möglich war, die Türen des FITT wieder geöffnet. Jetzt finden seit rund vier Wochen die Aktivitäten unter strenger Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln und nur mit einer jeweiligen Gruppenstärke von maximal 20 Leuten statt. Teilnehmen dürfen alle zwischen 14 und 35 Jahre. Gerade jetzt seien Angebote wichtig, so Mihai, da viele Leute nichts zu tun hätten. Die Universitäten sind geschlossen und die Ferienpläne mussten wegen der Pandemie abgesagt werden. Die Folge: Zu den angebotenen Kursen kommen fast doppelt so viele Teilnehmer wie vor der Corona-Krise.

Freiwillige aus dem Ausland sollen helfen

Eine andere feste Säule des FITT sind die Volunteers, die aus dem In- und  Ausland nach Timisoara kommen, um das Jugendzentrum bei der täglich anfallenden Arbeit zu unterstützen. Bislang waren es acht. Jetzt hat Mihai auf Facebook neue Stellen ausgeschrieben und hofft auf insgesamt 20 neue Freiwillige, die dann auch für ein Jahr bleiben. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa wie beispielsweise Belarus oder Albanien aber auch aus Griechenland und dem Libanon.  Einreisen dürfen sie, so lange in ihrem Land nicht mehr infizierte Fälle auftauchen als in Rumänien. 

Um für das FITT Werbung zu machen, führen die Jugendlichen ein visuelles Tagebuch auf Facebook und zeigen, dass es möglich ist trotz Corona das Zentrum mit Leben zu füllen. „Wir nutzen die Zeit, um das Haus zu renovieren, Räume neu einzurichten, Kontakte zu den Nachbarvierteln zu pflegen, uns zu bewegen und Englisch zu lernen“, sagt Mihai und bleibt erst einmal zuversichtlich.

Dagegen war Susanne Büddemann mehr als drei Monate lang darauf angewiesen ihre Kinder ausschließlich online bei der Stange zu halten. Seit November 2019 leitet sie die Kita der Deutschen Schule in Bukarest. Fast 70 Prozent der Kinder sind Rumänen. Für einige Eltern ist es hier eine Kraftanstrengung die Beiträge zu zahlen. Sie machen das, weil sie möchten, dass ihre Kinder Deutsch lernen. „Deswegen war es besonders wichtig, niemanden zu verlieren.“ sagt Susanne.

Eins zu Eins Betreuung per Video

Ihr Team hat vieles über Videoplattformen ausprobiert, um ziemlich schnell festzustellen, dass man nicht mit mehreren kleinen Kindern im Alter zwischen ein und sechs Jahren gleichzeitig vor dem Bildschirm kommunizieren kann. „Also haben wir die Betreuung auf eins zu eins umgestellt“, sagt sie. Die Erzieher/-innen haben jeden Tag jeweils sechs Kinder einzeln nacheinander für 45 Minuten pro Person virtuell in einem abwechselnden Turnus betreut“, erklärt Susanne. „Das war ganz schön anstrengend. Aber so konnten wir den Kontakt zu den Kindern halten und die Eltern, die im Homeoffice waren unterstützen sowie mit Rat und Tat zur Seite stehen.“

Zusätzlich haben die Mitarbeiter/-innen Videos gedreht und den Kindern und Eltern diese über eine Online-Plattform zur Verfügung gestellt. Ein Erzieher hat vorgeführt wie man Kartoffelsalat oder Pizza selber herstellt und eine andere Mitarbeiterin, die auch Landwirtschaftsgärtnerin ist, hat Videos über Frühblüher gedreht. „Jeder hat einfach das gemacht, was er am besten konnte. Da war es egal, ob im Hintergrund vielleicht die Fenster nicht geputzt waren. Hauptsache wir waren für die Kinder da“, sagt Susanne. Wer keinen Computer zu Hause hatte, konnte sich ein Tablet über die Schule ausleihen.

Ferienfreizeiten ersatzlos gestrichen

Als die Ausgangssperre dann endlich gelockert wurde, ist sie mit den Kindern in reduzierten Gruppen in den Park gegangen. „Aber kleine Kinder halten sich nicht an Abstandsvorgaben. Die haben sich so gefreut uns wieder zu sehen, die umarmen sich trotzdem“, sagt sie. Das war auch deswegen nicht leicht, weil die Erzieherinnen Angst davor hatten von der Polizei angezeigt zu werden, die auch hier in den Grünanlagen die Einhaltung der Corona-Regeln regelmäßig kontrolliert.

Selbst wenn die Zeit für ihr Team sehr anstrengend war, gewinnt Susanne der neuen Situation etwas Positives ab: „Es hat uns mehr zusammengeschweißt. Meine Mitarbeiter/-innen haben Unfassbares geleistet. Dafür danke ich ihnen und wir haben unseren Urlaub jetzt wirklich verdient.“ Natürlich hofft Susanne, dass nach den Sommerferien der Regelbetrieb in der Kita in Bukarest wie gewohnt aufgenommen werden kann.

Klare Konsequenzen zieht dagegen die Peter Maffay Stiftung, die verschiedene Ferienhäuser für Kinder und Jugendliche in dem osteuropäischen Land unterhält. Eins davon steht in dem kleinen Dorf Radeln in Siebenbürgen. Hier in dem ehemaligen Pfarrhaus nehmen pro Jahr rund 300 teils traumatisierte oder aus armen Verhältnissen stammende Kinder und Jugendliche Urlaub vom Alltag. Sie dürfen hier normalerweise in der freien Natur toben und spielen, basteln oder mit der Kutsche Ausfahrten in die Umgebung unternehmen.

„Wir dürfen momentan keine Gruppenaufenthalte oder ähnliche Projekte in Rumänien durchführen.“ erklärt der Geschäftsführer der Stiftung Albert Luppart. „Die Einschränkungen wegen der Corona-Krise gelten noch bis zum 31. August 2020. Daran halten wir uns und deswegen haben wir alles abgesagt.“ Außerdem sei selbst die Anreise unsicher. Gebuchte Flüge werden zurzeit kurzfristig abgesagt, gibt Luppart zu bedenken. „Das wäre viel zu unsicher. Dann würden wir unter Umständen die Gruppen nicht wieder zurück nach Deutschland bekommen.“ Für die Stiftung bedeutet das zum Teil auf Kurzarbeit umzustellen. Gleichzeitig müssen die Gebäude und das Gelände in Radeln trotzdem betreut werden. Der Rasen muss gemäht und die Tiere müssen gefüttert werden. „Wir planen jetzt von Woche zu Woche. Man muss sich den Dingen fügen und auch die Mitarbeiter schützen“, so der Geschäftsführer. „Letztlich gehen in dieser Zeit Sicherheit und Gesundheit der Menschen vor.“

Autorin: Caroline Schmidt-Gross

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