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Pöbeln im Internet: Antisemitismus wird öffentlich sichtbar

Online-Reaktionen während des European Song Contest und nach der israelischen Militäraktion vor der Küste von Gaza dokumentieren antisemitische Strömungen in der deutschen Gesellschaft

04.06.2010

Pädagogische Konzepte gegen Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft

Der Reader "Pädagogische Konzepte gegen Anisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft" kann bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus kostenlos heruntergeladen werden.
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Die Stimmung in Deutschland ist gut am 29. Mai. Die Sängerin Lena Meyer-Landrut liegt beim European Song Contest mit einem guten Vorsprung an Punkten fast uneinholbar vorne. Dann kommt das Voting aus Israel: 0 Punkte für die deutsche Sängerin. Das schlägt einigen Fans auf den Magen, beim Microblogging-Dienst twitter machen sie ihrem Unmut Luft: „Die Juden sind sehr nachtragend“ findet Userin KleinerMensch. Noch deutlicher wird AkkPrinzessin: „scheiß Juden eh“. Im Sekundentakt rauschen ähnliche Statements durch den Cyberspace und sie beschränken sich nicht nur auf twitter. Bei ZeitOnline sieht sich die Redaktion gezwungen, Kommentare zu löschen. „Bitte tragen Sie mit Argumenten möglichst konstruktiv zur Diskussion bei und verzichten Sie auf Kommentare, die als antisemitisch aufgefasst werden können“ schreiben die Redakteure. Es sind keineswegs alte Nazis, die sich bemerkbar machen. Die Benutzerbilder lassen darauf schließen, dass es vorwiegend junge Leute sind, die ihr antisemitisches Gedankengut öffentlich machen. Der Blogger Jörg Marx hat viele dieser Äußerungen dokumentiert (http://marx-blog.de/2010/05/null-punkte-aus-israel/). Reaktionen auf seinen Artikel bekam er postwendend: Er musste Kommentare löschen, weil sie „extrem rassistische Beschimpfungen oder bloß persönliche Beleidigungen“ enthielten.

Als am Montag darauf die israelische Armee vor der Küste von Gaza einen Schiffskonvoi stoppt und 9 Menschen ihr Leben verlieren, wird der Ton beim „user generated content“ noch einmal schärfer. Diesmal sind es vor allem junge Deutschtürken, die offenen Judenhass vortragen. 

Antisemitische Kommentare bei Facebook

Nachverfolgen lassen sich die Beschimpfungen über den Service Openbook, der öffentlich geschaltete Beiträge im Sozialen Online-Netzwerk Facebook durchsucht und ausgibt. Der Suchbegriff „Juden“ führt zu erschütternden Statements (http://youropenbook.org/?q=juden&x=43&y=7&gender=any). Weit oben in der Hitliste der Pöbeleien steht neben einem Video des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der „den führenden Juden endlich die Wahrheit ins Gesicht gesagt“ habe, ein angebliches Hitler-Zitat, wonach künftige Generationen Hitler noch verfluchen würden, weil er nicht alle Juden umgebracht habe. Bis zu Unkenntlichkeit verstümmelt durch Übersetzungstools geistert dieses Zitat auch durch twitter. 

Neu ist das Phänomen Antisemitismus bei jugendlichen Migranten nicht, aber es dürfte durch die jüngsten Ereignisse neue Nahrung erhalten. Und: Es wird erstmalig in voller Breite öffentlich sichtbar. Bei der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ beschäftigt man sich seit Jahren mit antisemitischen Strömungen bei arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen in Berlin. Dort verweist man darauf, dass antisemitische Verschwörungstheorien in den Herkunftsländern der Jugendlichen keineswegs nur auf radikale Nationalisten beschränkt seien, sondern allgemein hohe Popularität genießen. Die Kreuzberger Initiative hat pädagogische Konzepte entwickelt, wie in der schulischen und außerschulischen Jugendbildung damit umgegangen werden kann. Solche Konzepte werden künftig wohl mehr gebraucht und das keineswegs nur für jugendliche Migranten. 

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