Digitalisierung und Medien

Digitale Medien in Familien: „Viele Eltern fühlen sich überfordert“

Professorin Dr. Nadia Kutscher hat eine viel beachtete Studie zur Nutzung digitaler Medien in Familien verfasst. Im Interview mit der Universität zu Köln erklärt sie, warum Eltern ihre Kinder an Entscheidungen beteiligen sollten und warum Konflikt und Verhandlung nicht immer zu vermeiden sind. Dennoch ist sie überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit digitalen Medien in Familien möglich ist.

22.08.2019

Frau Kutscher, Sie sehen das massenhafte posten von Familienfotos in den Sozialen Medien kritisch. Gehen Eltern zu sorglos mit den Fotos ihrer Kinder um?

Im Allgemeinen: ja. Es gehört ja zur ganz normalen Praxis in vielen Familien, Fotos zu machen – oft auch, wenn die Kinder eigentlich keine Lust haben. Über WhatsApp und ähnliche Dienste und die große Verbreitung von Smartphones liegt es einfach nahe, diese Fotos mit anderen mal eben schnell zu teilen. Dass da aber oft Daten der Kinder preisgegeben werden, die auch in Zukunft Folgen für sie haben können, gerät schnell in Vergessenheit: Im Zeitalter von Big Data und Algorithmen speichern und nutzen die sozialen Netzwerken diese Daten langfristig.

Wären Kinder beim Teilen ihrer Fotos in sozialen Netzwerken vorsichtiger?

Die Kinder werden beim „Fotos machen und mit anderen teilen“ in der Regel nicht gefragt. Viele Fotos würden sie mehr schützen als ihre Eltern es tun, und nicht mit anderen teilen. Kinder und Eltern haben teils unterschiedliche Kriterien dafür, wann sie ein Foto okay finden und wann nicht. Selbst ab dem Alter von sechs Jahren können Kinder gut benennen, wer welche Fotos von ihnen sehen darf und wer nicht. Eltern sind – obwohl es ihnen nicht egal ist – an vielen Stellen überfordert die Daten ihrer Kinder gut zu schützen. Das liegt an den vielen Möglichkeiten der digitalen Medien und daran, dass wir uns an viele Dinge bereits als „normal“ gewöhnt haben. Damit verletzen Eltern aber unreflektiert an vielen Stellen die Persönlichkeitsrechte der Kinder.

Die andere Seite des Problems betrifft den Wunsch von Kindern, eigenständig soziale Medien zu nutzen. Wie verhalten sich Eltern im Spannungsfeld von „Die anderen dürfen das aber auch“ und dem Wunsch ihr Kind zu schützen?

Viele Eltern erlauben ihren Kindern beispielsweise, WhatsApp zu nutzen – auch in unserer Studie haben fast alle Kinder unter dem in den AGBs festgeschriebenen Mindestalter diesen Dienst genutzt. Gleichzeitig fühlen die Eltern sich verantwortlich und versuchen ihrer elterlichen Erziehungsverantwortung gerecht zu werden. Das sieht dann so aus, dass die Kinder zwar WhatsApp erlaubt bekommen, die Eltern aber teils von ihnen verlangen, dass sie abends das Handy abgeben und die Eltern dann Chatverläufe und Anderes im Handy durchsuchen, um mitzubekommen, was die Kinder in diesem schwer kontrollierbaren Raum so machen. Damit greifen Eltern aber sehr stark in die Privatsphäre der Kinder ein – aus dem Bedürfnis heraus, sie zu schützen.

Sie haben festgestellt, dass sich durch die Digitale Welt Handlungs- und Verantwortungsdimensionen verändert haben. Haben Sie ein Beispiel?

Viele der befragten Eltern versuchen mit der eigenen Verantwortung für ihre Kinder unter Digitalisierungsbedingungen umzugehen, ihre Kinder zu schützen, ihnen aber auch Freiräume zuzugestehen. Viele fühlen sich dabei aber überfordert, weil sie nicht genau wissen, wo und wie sie die Kinder schützen müssten. Sie kennen sich schlichtweg nicht aus. Einige der Eltern sagten, sie würden ihren Kindern, die teils erst zehn Jahre alt waren, voll vertrauen, dass diese schon wissen, was sie da mit den digitalen Medien machen. Damit geben sie aber die elterliche Verantwortung an ihre Kinder ab – und das in einem Zusammenhang, in dem sie selbst als Eltern überfordert sind. Es gibt keinen Grund, weshalb die Kinder das nicht auch sein sollten. Andere Eltern „lösen“ das Problem über Apps, die zeitlich steuern, wie lange die Kinder ein digitales Medium nutzen dürfen. Damit umgehen die Eltern aber etwas, das anstrengenderweise auch zu Erziehung gehört: Auseinandersetzung, Konflikt, Verhandeln.

Welche Risiken sehen Sie?

Das größte Risiko, das Vielen nicht ausdrücklich bewusst ist, ist dass über die Nutzung von Diensten wie WhatsApp, Instagram, Facebook oder YouTube Daten der Kinder an Dritte geraten, die diese Daten für andere Zwecke nutzen – und die dann für die Kinder in der Zukunft Folgen haben. Metadaten werden genutzt, um algorithmenbasiert Kundenprofile zu berechnen. Der Zugang zu Informationen beispielsweise bei Suchmaschinen oder auch in sozialen Netzwerken wird auf diese Weise vorgefiltert. In weiterer Zukunft kann damit auch die gesellschaftliche Teilhabe berührt werden, etwa wenn jemand der Zugang zu Krediten verweigert wird, oder er oder sie automatisiert in der Schublade „riskantes Verhalten“ landet und damit Probleme bei Versicherungen bekommt. Dafür werden Daten in unvorstellbaren Mengen gesammelt, und scheinbar unproblematische Teilinformationen werden Bestandteile von umfassenden Persönlichkeitsprofilen, in denen es um politische oder sexuelle Einstellungen, die wirtschaftliche Situation und mehr geht. Kurz gesagt: Es geht um die künftigen Freiheiten dieser Kinder, die eingeschränkt werden, indem ihre Eltern unwissend diese Daten preisgeben, ohne dass die Kinder selbst darüber entscheiden können.

Haben Sie einen Rat, wie Familien eine verantwortungsbewusste aber Alle zufriedenstellende Nutzung des Digitalen organisieren können?

Kinder sollten immer gefragt werden, ob es okay ist, wenn ein Foto von ihnen gemacht wird, ob sie das Foto in Ordnung finden und wer das Foto sehen darf. Auch wenn sie noch nicht unbedingt überblicken, was es heißt, wenn das Foto über soziale Netzwerke geteilt wird. Eltern sollten sich informieren, beispielsweise über klicksafe.de oder digitalcourage.de, welche Daten wie geschützt werden können. Sie stehen in der Verantwortung und können sie nicht delegieren. Gleichzeitig ist der umfassende Schutz von Daten angesichts der globalen Konzerne wie Google, Facebook, Amazon & Co. heute für alle eine große Herausforderung. Daher brauchen wir darüber hinaus Institutionen, die Familien dabei unterstützen, zum Beispiel in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Schule, und eine stärkere politische Steuerung und Verantwortlichmachung der Anbieterkonzerne, die in die Pflicht genommen werden müssen, die Daten der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Klicksafe.de und digitalcourage.de – Beide Portale bieten Informationen für Eltern, Kinder und Jugendliche an. Bei „klicksafe“ liegt der Fokus auf dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Cybermobbing und Gefahren wie etwa der Verherrlichung von Essstörungen im Netz. Das Portal „digitalcourage“ befasst sich vorrangig mit allgemeinen Fragen des Datenschutzes und digitaler Selbstbestimmung.

Zur Person

Nadia Kutscher ist Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit an der Humanwissenschaftlichen Fakultät. Sie lehrt und forscht zu Themen wie Bildungsteilhabe Geflüchteter im Kontext digitalisierter Bildungsarrangements, Organisationales Handeln in non-formalen Bildungseinrichtungen und Digitale Medien in der frühkindlichen Bildung. Sie ist Mitglied im Bundesjugendkuratorium, das die Bundesregierung in Fragen der Kinder- und Jugendhilfe berät.

Zur Untersuchung

Die Wissenschaftlerinnen befragten in 37 Interviews Kinder und Eltern aus 12 Familien dazu, wie sie im Alltag mit digitalen Medien umgehen. Dabei war von besonderem Interesse, wie Kinder wahrnehmen, was mit ihren Daten passiert und wie sie beteiligt werden beziehungsweise beteiligt werden möchten. Außerdem haben die Wissenschaftlerinnen erforscht, wie Eltern beim „Sharenting“ (das Teilen von Fotos und anderen Daten der Kinder über soziale Netzwerke) mit den Persönlichkeitsrechten der Kinder umgehen und welche Medienerziehung sie praktizieren.

Weitere Informationen

Nadia Kutscher, Ramona Bouillon: „Kinder. Bilder. Rechte – Studie zu Persönlichkeitsrechten von Kindern im Kontext digitaler Mediennutzung in Familien“, abrufbar unter: www.dkhw.de/kinder-bilder-rechte

Quelle: Universität zu Köln vom 15.08.2019

Redaktion: Kerstin Boller

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