Sexueller Kindesmissbrauch

Wie kann die Beteiligung von Betroffenen in Aufarbeitungsprozessen gelingen?

Am 03.11.2023 startete der Dialogprozess zu Standards der Betroffenenbeteiligung im Kontext institutioneller Aufarbeitung. Initiiert wurde der Dialogprozess durch die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Kerstin Claus, den Betroffenenrat bei der UBSKM und die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

09.11.2023

Rund 150 Betroffene, Vertreter*innen von Institutionen sowie unabhängige Expert*innen, die bereits Aufarbeitungsprozesse begleitet haben, werden bis Mitte 2025 gemeinsam Standards und notwendige Rahmenbedingungen für die Beteiligung von Betroffenen an institutionellen Aufarbeitungsprozessen diskutieren und erarbeiten. Auf der Grundlage dieses von Anfang an sehr breit und partizipativ angelegten Prozesses werden konkrete Ansätze entwickelt, die Institutionen künftig als Richtschnur und Verpflichtung dienen, wenn sie Aufarbeitungsprozesse initiieren oder an solchen Prozessen beteiligt werden.

Kerstin Claus, Missbrauchsbeauftragte:

„Bisherige Aufarbeitungsprozesse haben immer wieder gezeigt, welche Konflikte entstehen, wenn weder Kriterien der Zusammenarbeit von Betroffenen und Institutionen noch die erforderlichen Prozessschritte gemeinsam transparent, klar und verbindlich festgelegt wurden. Mit dem Dialogprozess wollen wir sicherstellen, dass die Perspektiven von Betroffenen von Anfang an gleichberechtigt eingebracht und zudem Entscheidungen zum weiteren Vorgehen auch gemeinsam getroffen werden. Gelingende Aufarbeitungsprozesse brauchen diese breite Basis und umfassende Mitgestaltung durch Betroffene. Die fachlich gute Einbeziehung von Betroffenen ist zentrale Voraussetzung. Damit dies gelingt, braucht es Transparenz, verlässliche Kriterien sowie klare Regeln. Diese gemeinsam zu erarbeiten ist das Ziel des heute startenden Dialogprozesses.“

Austausch über Potentiale und Grenzen

Im Rahmen der Auftaktveranstaltung werden sich Betroffene, Vertreter*innen von Institutionen und Aufarbeitungs-Expert*innen über Erwartungen, Potentiale und auch Grenzen des Dialogprozesses austauschen. Als Grundlage des Prozesses werden erste Fragestellungen erörtert, die dann in verschiedenen Arbeitsgruppen bis 2025 weiter diskutiert werden. Es sind komplexe Fragestellungen: Was lernen wir aus bisherigen Prozessen der Betroffenenbeteiligung? Was sind strukturelle Anforderungen an Institutionen? Wie gelingt ein Auswahlverfahren von Betroffenen für Aufarbeitungsprozesse? Was brauchen solche gemeinsamen Arbeitsprozesse, damit sie gelingen können? Wie können zeitliche Ressourcen gerade im Ehrenamt in solchen Beteiligungsprozessen angemessen finanziell entschädigt werden?

Der Betroffenenrat bei der UBSKM begrüßt den Prozess. Angela Marquardt, Mitglied im Betroffenenrat:

„Wir haben uns nicht ausgesucht, betroffen zu sein. Dieser Dialogprozess wird für alle Beteiligten und insbesondere für uns eine Herausforderung. Aber diese haben wir uns bewusst gesucht, denn ein solcher Prozess ist längst überfällig. Mitglieder des Betroffenenrates und viele andere Betroffene sind auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen institutionellen Kontexten an Aufarbeitungsprozessen beteiligt. Die Erfahrungen könnten nicht vielfältiger sein und zeigen deutlich, dass wir Standards der Betroffenenbeteiligung benötigen. Ehrliche und konsequente Aufarbeitung bezieht Betroffene als Expertinnen und Experten ein und benutzt uns nicht als Alibi.“

Prof. Dr. Julia Gebrande, Mitglied der Aufarbeitungskommission:

„Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat bereits 2019 Empfehlungen für Aufarbeitungsprozesse in Institutionen veröffentlicht, an denen sich viele Aufarbeitungsprojekte in ganz Deutschland orientieren. Sie umfassen auch Kriterien für Betroffenenbeteiligung. Aus unserer Erfahrung hat sich jedoch gezeigt, dass die Partizipation Betroffener in Aufarbeitungsprozessen in der Praxis oft nicht ernst genommen und angemessen umgesetzt wurde oder sogar scheiterte. Darum braucht es eine zusätzliche Handreichung für Institutionen, wie eine gute Beteiligung Betroffener sichergestellt werden kann. Für das Gelingen eines Aufarbeitungsprozesses ist das aus unserer Sicht zentral.“

Die Ergebnisse des Dialogprozesses werden Mitte 2025 vorgestellt und veröffentlicht.

Quelle: Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 02.11.2023

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