Medienpädagogik

Medienpädagogische Arbeit genderbewusst gestalten

Warum genderbewusste Medienarbeit relevant ist, worauf es in der medienpädagogischen Arbeit dabei ankommt und was pädagogische Fachkräfte beachten können, darüber berichtet die freiberufliche Medienpädagogin Corinna Schaffranek im Interview mit dem Initiativbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“.

05.09.2023

Wer bin ich? Wie nehme ich mich wahr? Wie möchte ich sein? Gerade im Jugendalter spielen Fragen rund um Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eine große Rolle. Insbesondere in Sozialen Medien wie Instagram, TikTok oder YouTube setzen sich Heranwachsende mit ihrem Körper, ihrem Aussehen und ihrer (sexuellen) Identität auseinander, orientieren sich an ihren Vorbildern, vergleichen sich mit anderen und probieren sich aus. Dabei können junge Menschen auf Inhalte stoßen, die orientierend oder auch desorientierend wirken. „Daher ist es als pädagogische Fachkraft wichtig, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, ein positives und selbstbestimmtes Bild von sich selbst zu entwickeln und sie zu ermutigen, eigenständig zu denken, zu handeln und sich für ein respektvolles Miteinander einzusetzen“, sagt Corinna Schaffranek, die als freiberufliche Medienpädagogin tätig ist. Mit ihr sprach das Initiativbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“ darüber, wie medienpädagogische Arbeit genderbewusst gestaltet werden kann.

Warum genderbewusste Medienarbeit relevant ist

Noch immer gibt es normative, gesellschaftlich geprägte Vorstellungen zu Rollen- und Geschlechterbildern und daran geknüpfte Verhaltensweisen, die auch in (digitalen) Medien vermittelt werden. Auf erfolgreichen Kanälen der Plattform YouTube reproduzieren die Creator*innen stereotype und veraltete Geschlechterdarstellungen, wie eine Studie der MaLisa Stiftung zeigt: Frauen zeigen sich überwiegend im privaten Bereich, geben Tipps zum Schminken und präsentieren ihre Hobbies. Männer sprechen ein breites Themenspektrum an, von Unterhaltung über Musik bis zu Games, Comedy und Politik. Corinna Schaffranek erläutert:

„Ich persönlich finde es wichtig aufzuzeigen, dass diese starren Vorstellungen von „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ und daran geknüpfte Erwartungshaltungen an Verhaltensweisen nicht mehr zeitgemäß sind und die gesellschaftliche Vielfalt mit unterschiedlichen Lebensentwürfen nicht abbilden. Ich versuche meine Projekte und Workshops daher so umzusetzen, dass sie sich an alle interessierten Menschen richten. Das bedeutet einen Raum für individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen und gleichzeitig zur kritischen Reflexion einengender Geschlechtervorstellungen anzuregen.“

Zugleich nimmt die Medienpädagogin bei jungen Menschen in ihren Workshops eine große Neugier im Hinblick auf queere Themen und Lebenswelten wahr.

„Ich finde es immer wieder spannend, wie interessiert Jugendliche und junge Erwachsene sind und stelle fest, dass viele von ihnen sehr reflektiert sind, wenn es um die Themen Identität und Gender geht und hier verbreitete stereotype Darstellungen von Rollen- und Geschlechterbildern auch kritisch interfragen.“

Auf die eigene Haltung kommt es an

Als Voraussetzung für die medienpädagogische Arbeit mit jungen Menschen sieht Corinna Schaffranek die Bildung einer eigenen Haltung:

„Wenn ich als pädagogische Fachkraft in einem Workshop mit Kindern und Jugendlichen über Themen wie Geschlechter- und Rollenbilder, queer sein und sexuelle Identität spreche, ist es zunächst einmal entscheidend, dass ich eine eigene Haltung zu den Themen entwickle. Das bedeutet, sich aktiv selbst mit diesen auseinanderzusetzen, sich zu informieren und gegebenenfalls auch weiterzubilden.“

Zugleich sieht die Medienpädagogin es als wesentlich an, die eigene Arbeit stets zu reflektieren und mögliche stereotype Einstellungen oder Bilder immer wieder kritisch zu überdenken und sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden sowie diese zu reflektieren, um medienpädagogische Arbeit so zu gestalten, dass sie Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen zulässt. „Nur dann kann ich als Pädagog*in junge Menschen dabei unterstützen, selbstbestimmt eine geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung zu entwickeln.“

Wie pädagogische Fachkräfte genderbewusste Medienarbeit durchführen können

„Für die Durchführung medienpädagogischer Projekte braucht es keine Hightech-Ausstattung an technischen Geräten. Zudem müssen pädagogische Fachkräfte auch keine absoluten Technikprofis sein. Wichtig ist es vor allem, Interesse und Neugier an der Lebenswelt junger Menschen zu haben und sie dort abzuholen“, sagt Corinna Schaffranek. In Bezug auf die Durchführung genderbewusster Medienarbeit ist es insbesondere von Bedeutung, einen sicheren Raum – eine Art Safe Spcae – zu haben, in dem die Teilnehmenden frei sprechen können, ihre Diskriminierungserfahrungen teilen – wenn ihnen welche widerfahren sind und sie diese berichten wollen – und sich gegenseitig empowern (Englisch = befähigen/ermächtigen) können.

Wichtig ist zudem, keine Berührungsängste mit der Thematik um Geschlecht, Identität und Vielfalt zu haben. Corinna Schaffranek schildert:

„Ich nehme hier zum Teil auch Überforderung, Verunsicherung oder Unwissenheit bei Fachkräften wahr, weil sich, was alternative Lebensentwürfe und Vorstellungen von Geschlechtsidentität angeht, in den letzten Jahren auch einiges entwickelt und verändert hat. Ich sehe es als Aufgabe pädagogischer Fachkräfte an, hier mit der Zeit zu gehen und sich reflektiert mit dem Prozess auseinanderzusetzen. Dazu gehört es natürlich auch, einen Austausch zuzulassen, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, was auch sehr spannend sein kann. Eine Grenze sehe ich dann erreicht, wenn diskriminierende Aussagen und Zuschreibungen getroffen werden. Hier muss es ganz klar eine 'Null-Toleranz-Philosophie' – auch in pädagogischen Einrichtungen – geben.“

Das bedeutet, diskriminierende Aussagen – gleich ob eine Person selbst betroffen ist oder nicht – nicht einfach stehen zu lassen und zu ignorieren, sondern auf die Problematik hinzuweisen.

„Schließlich wollen wir ein respektvolles miteinander und dazu gehört es, die Vielfalt verschiedener Lebensweisen und Ausdrucksweisen zuzulassen und im besten Fall Diskriminierungen – gleich aus welchen Gründen – entgegenzutreten. Das ist auch mein persönlicher Antrieb als Frau in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebend.“

Außerdem sollten medienpädagogische Workshops immer an die Bedarfe der Zielgruppen ausgerichtet sein. Corinna Schaffranek sagt:

„Ich sollte mir also in der Konzeption überlegen, welche Ziele ich in den Workshops verfolge – zum Beispiel um für die Lebenswelt queerer junger Menschen zu sensibilisieren – und mit welchen Methoden ich diese erreichen kann. In der Vorbereitung meiner Workshops ist es mir grundsätzlich wichtig, vorher in einen Austausch mit den Personen einer Einrichtung zu gehen, in der ich dann einen Workshop durchführe, damit ich gut an deren Bedarfe anknüpfen kann.“

Auch kann die Bezeichnung von Workshops von Bedeutung sein, um Menschen zu erreichen.

„Ich habe mich bewusst dafür entschieden, gendersensible Sprache zu verwenden, auch in der Ausschreibung meiner Workshops. Zum Beispiel biete ich einen Workshop zum Thema Schönheitsideale und Geschlechterrollenbilder in Sozialen Medien mit dem Titel '#Instagirls*' an, um dadurch auch Personen, die sich unter der Bezeichnung 'Mädchen/Frauen' definieren, anzusprechen.“

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