Kreativität und Kultur

Allgemeiner Rahmen

Es herrscht bereichsübergreifend Konsens darüber, dass kulturelle Kinder- und Jugendbildung ein unverzichtbarer Bildungsfaktor ist (vgl. KMK 2013). Damit einher gehen weitgehende Erwartungen an ihre Bildungswirkungen, wie die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung junger Menschen und ihre gesellschaftliche, insbesondere soziale und kulturelle Teilhabe (vgl. BKJ 2011a) (PDF 3,6 MB).

Die Förderung von Teilhabe an kulturellen Aktivitäten und die Förderung der Kreativität junger Menschen sind Ziele, die in Deutschland

a)    gesellschaftlicher Konsens sind,
b)    in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und
c)    mit Unterstützung aus verschiedenen Politikbereichen stattfinden (vgl. BMFSFJ 2020) (PDF 6,8 MB).

Haupttrends in den Bereichen Kreativität und kulturelle Beteiligung Jugendlicher

In den vergangenen Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, um allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu kultureller Bildung zu erleichtern und entsprechende Angebote zu entwickeln und zu verbreiten (vgl. Keuchel 2013) (PDF 17,5 MB). Dafür wurden zahlreiche Sonderprogramme auf Bundes- und Länderebene aufgelegt. Insbesondere der seit 2003 vorangetriebene Ganztagsschulausbau in Deutschland hat zu einer verstärkten Integration außerschulischer kultureller Bildung in das Schulsystem geführt. Kooperationen zwischen außerschulischer kultureller Bildung und Schulen wurden seither systematisch gefördert und bis hin zu umfassenden Bildungsnetzwerken, den sogenannten lokalen Bildungslandschaften weiterentwickelt.

So bekennt z. B. der Deutsche Städtetag (2019): „Die kulturelle Bildung ist integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses. Sie ist in den Bildungsplänen der Kindertageseinrichtungen und der Schulen verankert. Daneben gibt es eine Vielzahl außerschulischer Einrichtungen und Institutionen, die sich im Bereich der kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche engagieren.“

Nicht zuletzt aufgrund des finanziellen Aufwuchses für kulturelle Bildung in den vergangenen Jahren wird immer wieder die Frage nach der Qualität der Angebote sowie nach Wirkungsnachweisen gestellt. In Bezug auf letztere sind jedoch sowohl Möglichkeiten als auch Notwendigkeiten im Rahmen der Forschung umstritten (vgl. Reinwand-Weiss 2015). Um die Qualität der kulturellen Bildung vor allem auch im schulischen Kontext zu wahren bzw. zu befördern, wurden verschiedene Qualitätsentwicklungsinstrumente erarbeitet (vgl. BKJ 2018) (PDF 2,0 MB). Zwar kommen die Studien aus dem Forschungsfonds Kulturelle Bildung zu dem Ergebnis, dass sich kulturelle Bildung positiv auf das Lernverhalten auswirken und die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen unterstützen kann (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2017a) (PDF 3,5 MB). Die Studie des Rats für Kulturelle Bildung aus dem Jahr 2017 zeigt allerdings auch, dass im hoch regulierten Umfeld der Schule Qualitätsmerkmale oder Instrumente der Qualitätssicherung der kulturellen Bildung mit Blick auf die künstlerischen Fächer, die Ganztagsangebote oder als Querschnittsthema nicht eindeutig sind. Hier besteht ein deutlicher Forschungs-Entwicklungsbedarf (vgl. ebd. 2017b) (PDF 3,5 MB).

Tendenzen

Grundsätzlich konsumieren Jugendliche mehr Kunst und Kultur, als dass sie selbst kreativ aktiv sind (vgl. EACEA 2008) (PDF 964 KB). Dabei – so zeigt die Studie vom Rat für Kulturelle Bildung (2015) (PDF 1,1 MB) – geben etwa 19 Prozent der Jugendlichen an, überhaupt ein besonderes Kulturinteresse zu haben, rund 50 Prozent zumindest ein geringes. Keinerlei Interesse haben 27 Prozent der Befragten. Als Gründe geben junge Menschen an, Kultur sei langweilig, wenig spannend und nicht altersgemäß. Eher eine Minderheit (13 %) unter den Kulturinteressierten widmet sich der „klassischen“ Kunst wie Malerei, Theater, klassische Musik, Oper oder auch Architektur und Bildhauerei, insbesondere aber dem Theater (40 %). Für sie haben wiederum die Sozialen Medien oder auch digitale Angebote einen eher geringen Stellenwert.

Durchschnittlich 55 Prozent aller Jugendlichen sind allerdings an Sozialen Medien besonders interessiert. Daneben beschäftigt sich die Mehrheit von ihnen vor allem mit Filmen, Rock- und Popmusik, YouTube-Clips oder Video- und Computerspielen (vgl. EACEA 2008) (PDF 964 KB). So spielt auch außerhalb des Unterrichts und schulischer Nachmittagsangebote Rock- und Popmusik die mit Abstand wichtigste Rolle (für 64 %). Allerdings ordnen die jungen Konsumentinnen und Konsumenten ihr Interesse keineswegs der Kultur zu.

Lediglich 17 Prozent der Jugendlichen sind außerhalb der Schule mit klassischer Musik, 14 Prozent mit Ballett und noch weniger mit Oper oder Bildhauerei in Berührung gekommen. Jugendliche mit verstärktem Kulturinteresse hingegen beschäftigen sich häufiger in ihrer Freizeit mit verschiedenen Kunstsparten: 57 Prozent mit Theater (weniger Interessierte 35 %), 50 Prozent mit Malerei (gegenüber 28 %), 40 Prozent mit klassischer Musik (17 %), 19 Prozent mit Poetry Slams (10 %). So halten 68 Prozent die kulturellen Angebote mit Blick auf ihre Interessen für ausreichend, nur 21 Prozent der Jugendlichen bemängeln das Fehlen von Angeboten.

Etwa 13 Prozent setzen sich in der Freizeit mit kreativen Dingen auseinander, dabei steht Tanzen bei 29 Prozent der 15- bis 24-Jährigen ganz oben (vgl. Statista 2019). Darüber hinaus lässt sich eine besondere Bedeutung audiovisueller Formate herausstellen, vor allem jugendkulturelle Videos wie Mode- und Musikvideos: Knapp 80 Prozent der Jugendlichen nutzen YouTube mehrmals in der Woche, 75 Prozent der Zwölf- bis 13-Jährigen und 93 Prozent der 18- bis 19-Jährigen. Durch die Rezeption von Webvideos werden Jugendliche dazu animiert, selbst kulturell aktiv zu werden (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2019) (PDF 1,2 MB). Auch mit TikTok, der Video-Sharing-App, können Jugendliche eigene kurze, ca. 15 Sekunden lange Tanzvideos produzieren.

Auch das Gaming, vor allem von Handy- und Konsolenspielen, nimmt in der Freizeit von Jugendlichen reichlich Raum ein. 60 Prozent spielen mehrmals pro Woche, durchschnittlich 103 Minuten täglich, wobei die männlichen Jugendlichen mit 73 Prozent häufiger spielen als die weiblichen Altersgenossinnen (43 %). Neben Unterhaltung kommt das Gaming auch immer mehr für die formale, non-formale oder informelle Bildung zu Einsatz. Audiovisuelle Lernformate (wie Online- und Erklärvideos) werden derzeit stark nachgefragt (vgl. BMFSFJ 2020) (PDF 6,8 MB).

Studien zeigen, dass das Kulturinteresse deutlich vom familiären Hintergrund abhängt. So ist für Jugendliche aus sozial schwachen Familien nach wie vor der Zugang zu Kunst und Kultur erschwert, etwa durch Zeit- und Geldmangel oder geografische Einschränkungen. Die Eltern sind aber auch bei mehr als der Hälfte der an Kultur interessierten Kindern und Jugendlichen Impulsgeber. Bei 36 Prozent sind es die Lehrerinnen und Lehrer, bei nur 22 Prozent die Freunde. Darüber hinaus entscheidet die Schulform über kulturelle Interessen: Im Vergleich zu Sekundarschulen treten Gymnasiastinnen und Gymnasiasten häufiger in Kontakt mit Kunst und Kultur. Auch der Besuch außerschulischer Kulturveranstaltungen steht hier häufiger auf dem Programm. Im Nachmittagsbereich kommen kulturelle Angebote nach Angaben der Befragten deutlich mehr vor als in der Sekundarschule (vgl. EACEA 2008) (PDF 964 KB).

Wichtige Konzepte

„Kulturelle Bildung“ bezeichnet kein festes Konzept, sondern wird als Oberbegriff für zahlreiche verschiedene Zugänge zu kulturellen Angeboten bis hin zu fachlich avancierten, pädagogischen Angeboten für eigene kulturell-künstlerische Aktivitäten gebraucht. Diese Begriffsvielfalt spiegelt sich auch in offiziellen Dokumenten, hier als Beispiel im 12. Kinder- und Jugendbericht (vgl. BMFSFJ 2005) (PDF 6 MB)wider. Die Begriffsverwendung des Berichts ist uneinheitlich und wird nicht problematisiert („Kulturarbeit“, Jugendkulturarbeit“, „kulturelle Jugendbildung“, „kulturell-musische Bildung“, „kulturell-ästhetische Bildung“ „Jugendkultur“, „Alltagskultur“, „Interkultur“).

Doch haben Akteure der kulturellen Bildung – je mit Fokus auf Kinder und Jugendliche, auf Kultur und/oder auf Bildung – Konzepte entwickelt. Zu den Akteuren zählen etwa die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V., der Deutscher Kulturrat e. V., die Kulturpolitische Gesellschaft e. V., der Deutsche Städtetag, die Bundesakademien für Kulturelle Bildung e. V. sowie die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) (vgl. Deutscher Bundestag 2007) (PDF 6,4 MB).

Die BKJ, der Dachverband für Kulturelle Bildung in Deutschland, definiert kulturelle Bildung etwa wie folgt: „Kulturelle Bildung ist Persönlichkeitsbildung mit kulturellen Ausdrucksformen, mit Künsten und im Spiel. Sie ist Voraussetzung für kulturelle Teilhabe. Sie ist Allgemeinbildung, weil sie Kinder und Jugendliche dazu befähigt, sich mit Spiel, Kunst und Kultur zu sich selbst und zur Welt zu verhalten.“ (BKJ 2020b, S. 5) (PDF 977 KB) Kulturelle Bildung impliziert unterschiedliche Kunstsparten (Bildende Kunst, Literatur, Theater, Medien, Museum, Musik, Spiel, Tanz, Zirkus), findet an unterschiedlichen Orten statt (in Kunst- und Musikschulen, Kulturzentren und -vereinen, Museen und Bibliotheken, Opernhäusern, Theatern, Spielmobilen und in Mitmach-Zirkussen, aber auch in Jugendzentren, Kindertagesstätten, Schulen und sozialen Einrichtungen) (vgl. ebd. 2020c) (PDF 3,4 MB). Entsprechend vielfältig können die Formate sein, in denen kulturelle Bildung angeboten wird: von Schreibwerkstatt und dem Erstellen eines Audioguides fürs Museum über ein Skulpturen-Atelier und ein Tanztheater-Atelier bis hin zu Akrobatik-Workshop und Stadtrallye.

Der Deutsche Kulturrat hat im Jahr eine umfängliche „Konzeption Kulturelle Bildung“ in drei Bänden herausgegeben. Der zuletzt erschienene Band aus dem Jahr 2005 formuliert Positionen, die gegenüber der Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit vertreten werden (vgl. Deutscher Kulturrat 2005) (PDF 8,6 MB).

Das Sozialgesetzbuch (SGB) VIII umfasst den gesetzlichen Grundstein für die Aktivitäten von Bund, Ländern, Städten und Kreisen zur Kinder- und Jugendhilfe. Es definiert kulturelle Jugendbildung in §11 (3) als einen Schwerpunkt von Jugendarbeit und einen Leistungsbereich der Kinder- und Jugendhilfe. Als handlungsleitende Zielsetzung für die Verbände der kulturellen Bildung gilt es, die Teilhabemöglichkeiten an Kunst und Kultur für alle Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Die Umsetzung dieses Ziels gelingt jedoch nach wie vor nur begrenzt. Teilhabe hängt deutlich vom Bildungsmilieu und dem familiären Hintergrund ab; Teilhabe ist entsprechend in der Gesellschaft ungleich verteilt (vgl. EACEA 2008 (PDF 964 KB); Bertelsmann Stiftung 2018 (PDF 2,6 MB)).

Wie „Kulturelle Bildung für Alle“ umgesetzt werden kann, dazu hat die Deutsche UNESCO-Kommission 2008 (PDF 267 KB) auf ihrer Weltkonferenz in Lissabon in ihrer „Road Map for Arts Education“ einen gleichnamigen Leitfaden herausgegeben. Darin sind die Zuständigkeiten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in den Bereichen Jugend, Bildung, Kultur und Medien formuliert.
Darüber hinaus arbeiten Akteure kultureller Bildung an eigenen Konzepten, in denen ihre sparten-, disziplin- oder themenspezifischen Ziele formuliert sind.

Kulturelles Erbe

„Kulturdenkmäler, orale Traditionen, altes Handwerk – die kulturelle Anthropologie definiert das kulturelle Erbe als alle beweglichen und unbeweglichen Güter, geistige Werte sowie historische und gesellschaftliche Begebenheiten, die aufgrund der allgemein bekannten und akzeptierten historischen, patriotischen, religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Werte zum Wohle der Menschheit für zukünftige Generationen bewahrt und unter rechtlichen Schutz gestellt wird. Eine der bekanntesten schützenden Institutionen ist die UNESCO, aber auch staatliche Institutionen, private Initiativen und Stiftungen sind damit betraut.“ (BKJ 2012, S. 7) In Deutschland zählen 38 Objekte zum Weltkulturerbe, darunter die Zeche Zollverein in Essen oder die alten Buchenwälder, Schlösser und Parks (vgl. ebd.). Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege liegen in Deutschland in der Obhut der Bundesländer.

Initiativen und Institutionen zum Schutz des Kulturerbes bieten für Jugendliche pädagogische Programme an, so gibt es beispielsweise die UNESCO-Programme zur Welterbepädagogik und Unterrichtsgestaltung. Durch Angebote von Museen und Institutionen aus dem Natur- und Denkmalschutz, etwa durch Spiele, Wettbewerbe und Workshops zum Tag des offenen Denkmals, entdecken Jugendliche verschiedene Kulturstätten (vgl. ebd.). Bei der Vermittlung (Führungen und Kulturveranstaltungen) stehen insbesondere das sinnliche und affektive Erfahren und Erforschen statt der rein kognitiven Wissensvermittlung im Vordergrund. Aber auch Kunstformen, z. B. Comics, zählen zum kulturellen Erbe ebenso wie digitales Kulturerbe, das heißt das Verfügbarmachen von Kulturwissen digital.

Zwar sind historische Kulturgüter Gegenstand kultureller Bildung. Es wird in Deutschland allerdings nicht von „kulturellem Erbe“ im Zusammenhang mit einer Vermittlung für junge Menschen gesprochen. Institutionen, die historische Kulturgüter bewahren, Kulturvermittlung betreiben und im öffentlichen Auftrag arbeiten, wie Theater oder Museen, haben auch einen kulturellen Bildungsauftrag. Diesen kann man laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und nach Artikel 35 Art. Abs. 1 Satz 4 des Einigungsvertrags, in dem Deutschland explizit als „Kulturstaat" bezeichnet wird, ableiten.

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Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

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