Gesundheit und Wohlbefinden

Aktuelle Debatten und Reformen

Anstehende politische Entwicklungen

Kinderbeauftragter im Bundestag 

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ) startete 2015 gemeinsam mit ihren kinder- und jugendmedizinischen Mitgliedsgesellschaften und –verbänden eine Petition für die Einsetzung eines Kinder- und Jugendbeauftragten durch den Deutschen Bundestag.

Seit bald zwei Jahrzehnten setzen sich Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte, aber auch Politikerinnen und Politiker sowie zahlreiche Familien- und Kinderrechtsverbände für einen solchen Kinder- und Jugendbeauftragten ein. Die DAKJ begründet ihre Petition folgendermaßen: „Im eigentlich reichen Deutschland sind nach wie vor zu viele Kinder und Jugendliche von Armut und oft dadurch bedingten schlechteren Gesundheits- und Bildungschancen betroffen. Ein weiteres Beispiel für verletzte Kinderrechte ist die Situation von Flüchtlingski ndern in Deutschland: ihre unangemessenen Lebensbedingungen, ihre eingeschränkte medizinische Versorgung und ihre eingeschränkten sozialen Rechte, ihre unzureichende Integration in unsere Bildungseinrichtungen und fehlende Mindeststandards bei den Altersfestsetzungsverfahren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Kurz, der international geforderte Vorrang des Kindeswohls („best interest of the child“) in allen Bereichen, die Kinder und Jugendliche betreffen, wird bei uns allzu oft nicht respektiert.

Die DAKJ verspricht sich von einem bzw. einer Beauftragten für Kinder und Jugendliche im Bundestag außerdem, dass diese nicht mehr vergessen werden, wenn Gesetze erlassen werden, wie beispielsweise beim letzten Palliativgesetz anfangs der Fall.“

Bundesweit hatten sich der Petition mehr als 116.000 Unterstützer angeschlossen, eine der höchsten Unterstützerzahlen, die jemals von einer Petition beim Deutschen Bundestag erreicht wurde. Das konkrete Petitionsziel, beim Bundestag einen Kinder- und Jugendbeauftragten einzusetzen, konnte nicht erreicht werden. Allerdings haben alle parlamentarischen Gremien in ihrer Diskussion über die Petition die Notwendigkeit betont, das körperliche, geistige und seelische Wohl der Kinder und Jugendlichen zu fördern und bestehende oder zukünftig auftretende Benachteiligungen zu beseitigen oder auszugleichen sind.

Ein Kommissariat für Kinderrechte oder einen Kinderbeauftragten auf Bundesebene gibt es in 
Deutschland bislang nicht. Über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) wacht seit 
November 2015 eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betraute 
und unabhängige Monitoring-Stelle, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt 
ist. Die Finanzierung der Monitoring-Stelle erfolgt als Projekt aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes. Die Monitoring-Stelle berät die Politik und Zivilgesellschaft bei der Auslegung und kindgerechten Umsetzung der UN-KRK, setzt sich für eine kinderrechtsbasierte Forschung ein und informiert zudem den UN-Kinderrechtsausschuss über die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland; sie hat aber nicht die Befugnis, Beschwerden nachzugehen oder in Einzelfällen rechtlich zu beraten – sie nimmt also keine Ombudsfunktion wahr.

Wahlprogramme der Parteien zum Thema Gesundheit

Das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe hat die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl 2021 nach Schlagworten durchsucht, die für die Kinder- und Jugendhilfe im Themenbereich „Gesundheit“ relevant sind.Die Ergebnisse liegen in dem Artikel „Gesundheit“ – Was sagen die Bundestagsfraktionen zu kinder- und jugend(hilfe)politischen Themen?“ vor.

Präventionspolitik

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) hat in einer Stellungnahme von März 2017 zu Prävention, Kinderschutz und Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen (PDF 154 KB) die Möglichkeiten und Grenzen der Prävention aufgezeigt. Die BJK-Erklärung befasst sich mit aktuellen Gesetzen und Konzepten zur Förderung der Prävention bei Kindern und Jugendlichen. Das BJK erkennt Prävention dort an, wo sie pragmatisch umsetzbar ist, und hinterfragt Prävention, wo Erwartungen überzogen erscheinen. Anstatt den Präventionsbegriff extensiv in den Vordergrund zu stellen, sei es zielführender, die Förderung von Gesundheit und Wohlergehen bei Kindern und Jugendlichen allgemein in den Fokus zu rücken.
Für diese gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, gesundes und sicheres Aufwachsen junger Menschen zu ermöglichen, regt das BJK eine breit angelegte, grenzüberschreitende Verantwortungsübernahme an, die nicht nur auf den Bereich der Gesundheitspolitik und der Kinder- und Jugendhilfe begrenzt bleiben darf.

Laufende Diskussionen

Gesundes Essen für alle

Die Fraktion Die Linke fordert in einem Antrag vom Januar 2019 eine „zukunftsweisende und soziale Ernährungspolitik - Besonders für Kinder" (PDF, 145 KB). Die Abgeordneten legen dazu einen Antrag vor, der unter Beteiligung des Bundes eine kostenfreie Verpflegung in allen Schulen und Kindertagesstätten fordert, die den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprechen soll. Die Kinder und Jugendlichen sollen zudem in den Einrichtungen durch gemeinsames Kochen und Zubereiten der Mahlzeiten sowie den Anbau von Nahrungsmitteln in Schulgärten einbezogen werden, um eine anwendungsorientierte Ernährungsbildung zu gewährleisten. Die Linksfraktion möchte außerdem eine verbindliche Reduktionsstrategie für Zucker-, ungesättigte Fettsäure- und Salzanteile in Fertiglebensmitteln festschreiben lassen, die sicherstellt, dass es zu keinem Austausch von wertgebenden hin zu billigen Inhalts- oder Zusatzstoffen kommt, sondern eine Qualitätssteigerung das Ziel ist. Die Bundesregierung soll zudem ein Verbot für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung und für zucker- und kalorienreiche Fertiglebensmittel, Fastfood, Süßwaren, salzige Snacks und Softdrinks im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) gesetzlich verankern.

Die FDP-Fraktion fordert in einem Antrag vom Mai 2019 (PDF, 129 KB) die Bundesregierung dazu auf, für mehr Bildung, Bewegung und besseres Essen zu sorgen. Die Abgeordneten plädieren darin für eine Bildungsoffensive in Kindertagesstätten und Schulen, um frühzeitig Ernährungswissen zu vermitteln. In diese Bildungsoffensive soll auch die Erwachsenenbildung einbezogen werden, weil Eltern Vorbilder seien. Die FDP empfiehlt ferner, das EU-Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch auszuweiten und finanziell aufzustocken.

Der Bundestag hat am 22.05.2020 eine Entschließung zum Ernährungspolitischen Bericht 2020 (19/19430, 19/20213) beschlossen. In der verabschiedeten Entschließung wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel Organisation und Zusammenarbeit der Institutionen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit Bezug zur Ernährung zu überprüfen. Bestehende Initiativen zur Ernährungsbildung sollen zusammen mit Ländern und Kommunen sowie allen relevanten Akteuren gestärkt werden. Neue, zielgruppengerechte und praktikable Konzepte sollen dafür entwickelt werden. Vulnerable Gruppen, vor allem Kinder und Jugendliche, die an Fehlernährung oder Übergewicht leiden, sollen ernährungspolitisch besonders berücksichtigt werden, heißt es weiter.

Seit Herbst 2020 können Lebensmittelhersteller in Deutschland freiwillig den sogenannten Nutri-Score verwenden. Der Nutri-Score nutzt eine 5-stufige Farbskala von A bis E, die von unabhängigen Wissenschaftler/-innen entwickelt wurde. Sie ist auf der Vorderseite der Produktverpackung zu finden. Die Skala zeigt den Nährwert eines Lebensmittels an. Das System wurde in Frankreich entwickelt und soll dazu beitragen, Lebensmittel anhand ihrer Zusammensetzung für den Verbraucher in Kategorien einzuordnen. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) begrüßt die Einführung des Labels, fordert aber, dieses nicht als freiwillige Markierung, sondern als verbindlichen Standard in Deutschland einzuführen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) nimmt ebenfalls Stellung und fordert über den Nutri-Score hinaus: „Wir brauchen so schnell wie möglich ein Werbeverbot für speziell an Kinder gerichtete Lebensmittel, weiterhin darf es den Verkauf von zuckerhaltigen Getränken in Schulen nicht mehr geben, außerdem wünschen wir uns eine Zuckersteuer. Von Adipositas sind hauptsächlich Kinder und Jugendliche aus armen und bildungsfernen Familien betroffen. Hier müssen wir mit gezielter Prävention ansetzen. Wir brauchen explizite Qualitätsstandards für Kita- und Schulessen und auch eine kostenlose Schulverpflegung."

Eine foodwatch-Studie, die im August 2021 veröffentlicht wurde, zeigt dass mehr als 85 Prozent der an Kinder beworbenen Lebensmittel ungesund sind. Die freiwillige Selbstregulierung der Lebensmittelindustrie für ein verantwortungsvolleres Kindermarketing sei somit laut foodwatch gescheitert. Die aktuelle Studie umfasst Produkte von insgesamt 16 Lebensmittelkonzernen, die schon 2007 eine Selbstverpflichtung zu verantwortungsvollerem Kindermarketing („EU Pledge“), unterschrieben haben – darunter Nestlé, Danone und Unilever. Darin hatten alle Konzerne erklärt, ihr Kindermarketing verantwortungsvoller zu gestalten. Foodwatch fordert Gesetze, um die Lebensmittelkonzerne zur Zuckerreduktion zu bewegen. Außerdem fordern sie, dass nur für gesunde Lebensmittel an Kinder gerichtetes Marketing erlaubt sein sollte. Neben foodwatch setzen sich zahlreiche medizinische Fachgesellschaften und die WHO für solche Werbebeschränkungen ein und fordern, dass diese im Koalitionsvertrag verankert werden.

Das Recht junger Menschen auf Schutz vor Gewalt

Der Schutz junger Menschen vor Gewalt und die Notwendigkeit institutioneller Schutzkonzepte sind Gegenstand einer Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums (BJK). Das BJK fordert darin über das neue „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG)“ vom 07. Mai 2021 hinaus eine gesetzliche Regulierung, die festlegt, dass alle Institutionen, in denen der Alltag von Kindern und Jugendlichen stattfindet oder in denen über diesen entschieden wird, über entsprechende Gewaltschutzkonzepte verfügen müssen. Das Recht auf Schutz vor physischer (körperlicher), psychischer (seelischer) und sexualisierter Gewalt bedeutete jedoch nicht nur Konzepte für den präventiven, intervenierenden oder aufarbeitenden Umgang mit von Gewalt bedrohten oder betroffenen jungen Menschen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr seien der Schutzauftrag und die damit verbundenen Konzepte in der Praxis unter der Berücksichtigung der Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen auszugestalten. Im Sinne der Inklusion kämen institutionelle Schutzkonzepte nicht ohne die Berücksichtigung der Diversität junger Menschen und ihrer Schutzbedarfe aus. Um diesen Anspruch gerecht werden zu können, betont das BJK die Notwendigkeit intersektional und diskriminierungsfrei ausgestalteter Hilfsangebote sowie barrierefreie Zugänge zu Unterstützungsleistungen für junge Betroffene. Ebenso brauche es umfassende Weiterbildungsangebote für Fachkräfte und eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung für die Thematik.

Einfluss der Medien auf die Entwicklung 

Digitale Medien als fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind heute im Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Kindheit und Jugend bedeutet aufzuwachsen zwischen Realität und Virtualität. Die gängige Sichtweise zur Mediennutzung lautet, dass der häufige Gebrauch von Tablet, PC, Smartphone & Co. bei Kindern zu verminderter Konzentrationsfähigkeit, motorischer Ungeschicklichkeit, Bindungsstörung und sozialen Störungsmustern überhaupt führen kann, wie die Blikk-Medien-Studie 2017 zeigt. Das Projekt BLIKK‐Medien hat 5.573 Eltern und deren Kinder zum Umgang mit digitalen Medien befragt und gleichzeitig im Rahmen der üblichen Früherkennungsuntersuchungen die körperliche, entwicklungsneurologische und psychosoziale Verfassung dokumentiert. Die Studie zeigt die gesundheitlichen Risiken übermäßigen Medienkonsums für Kinder auf. Sie reichen von Fütter- und Einschlafstörungen bei Babys über Sprachentwicklungsstörungen bei Kleinkindern bis zu Konzentrationsstörungen im Grundschulalter. Wenn der Medienkonsum bei Kind oder Eltern auffallend hoch ist, stellen Kinder- und Jugendärzte weit überdurchschnittlich entsprechende Auffälligkeiten fest. 

Das Thema Digitalisierung, Mediennutzung und Medienkonsum von Kindern ist im Jahr 2020 durch die Corona-Pandemie noch stärker in den Vordergrund gerückt. Der Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen scheint in der Corona-Pandemie angestiegen zu sein. Die meisten Freizeitbeschäftigungen waren nicht möglich, Schulen waren über Wochen und Monate geschlossen und es wurde teilweise im Fernunterricht gelernt. Dies ließ entsprechend auch Änderungen im Medienverhalten von Jugendlichen erwarten. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass sich die Zeit, die junge Menschen täglich insbesondere mit digitalen Medien verbringen, erhöht hat. Die JIM-Studie 2020 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger zeigt eine Steigerung der täglichen Online-Zeit – von 205 Minuten 2019 auf 258 Minuten 2020.

Medien bergen Risiken für die gesunde Entwicklung von Kindern. Doch grundsätzliche Medienverbote können keine Lösung sein, so schreibt es die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Vielmehr gelte für mögliche Risiken dasselbe wie für die Chancen durch die Nutzung moderner Medien: Es komme auf das Was und das Wieviel an. Die Beschäftigung mit den Medien solle immer nur eine von möglichst vielen verschiedenen Aktivitäten des Kindes und zeitlich klar begrenzt sein und von Eltern sinnvoll begleitet werden.

Kinder- und Jugendärzte empfehlen – wie auch die BZgA – Eltern, Großeltern und anderen Bezugspersonen, die Mediennutzung der ihnen anvertrauten Kinder zu begleiten. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor gefährdenden Medien wird zwar durch das Jugendschutzgesetz (Videos, DVD, Computerspiele) und den Jugendschutz-Staatsvertrag (Fernsehen) geregelt, die entsprechende Kennzeichnung werde aber von vielen Eltern unzureichend überwacht und reize gefährdete Kinder und Jugendliche zum Konsum. Zur Verhältnisprävention werden politische Maßnahmen gefordert. Als bedeutsamer Schritt wird ein Werbeverbot im Fernsehen für kommerzielle Angebote und Nahrungsmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richten benannt. Dies würde die Erziehung zu gesundheitsförderlichem Ernährungs- und Bewegungsverhalten erleichtern.

Verbesserung der ärztlichen Versorgung und Arzneimittelsicherheit

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands e.V. (BVKJ), die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ) unter dem Dach der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ) haben im März 2017 das gemeinsame Positionspapier Gleiche gesundheitliche Chancen für Kinder und Jugendliche in Deutschland – Handlungsempfehlungen (PDF, 314 KB) verabschiedet. Es benennt Chancen zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen und ihrer Familien und formuliert konkrete Handlungsempfehlungen für die nächste Legislaturperiode. Es wird außerdem unterstützt durch den Verband leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands e.V. (VLKKD).

Auch in 2021 machen weiterhin der BVKJ, die DGKJ und die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKinD) mit Positionspapieren und Pressemeldungen darauf aufmerksam, dass die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen immer schwieriger wird und politisches Handeln dringend nötig ist. Prioritäres Ziel ist die bestmögliche medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sowie deren gesundheitliche Chancengleichheit. Das Gesundheitssystem sei immer stärker an Gewinnmaximierung, Steigerung der Fallzahlen und Personaldeckelung orientiert, weshalb eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zunehmend schwerer gewährleistet werden könne.

Derzeit fehle es hierfür vor allem an ausreichend flexiblen finanziellen Mitteln und qualifiziertem Personal. Wichtig sei die Finanzierung des tatsächlichen Mehraufwands bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen, eingeschlossen die erhöhten zeitlichen, personellen und räumlichen Aufwendungen im ambulanten und im stationären Bereich.
Der BVKJ berichtet, dass es heute schon häufig dazu kommt, dass Kinder- und Jugendärzte Patienten abweisen müssen. Sie fordern mehr Medizinstudienplätze und einen Bürokratieabbau, um die Niederlassung attraktiver zu machen. Sollte dies nicht geschehen – so prognostiziert es der BVKJ – würden Eltern und Kinder in Zukunft noch längere Wartezeiten und vor allem auf dem Land noch weitere Wege bis zur nächsten Praxis bewältigen müssen. Vor allem für chronisch kranke Kinder und Jugendliche sei diese Entwicklung ein erhebliches Problem. 
Kinder- und Jugendärzte begrüßen in diesem Zusammenhang den aktuellen SPD-Präsidiumsbeschluss für eine verbesserte Gesundheitsversorgung von Kindern.

Bezüglich der Arzneimittelvergabe an Kinder und Jugendliche wurde 2006 eine Expertenkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gebildet. Die Aufgabe der Kommission ist es, Entscheidungen der Bundesoberbehörde zur Zulassung von Arzneimitteln für den pädiatrischen Gebrauch vorzubereiten. Zudem soll sie bewerten, unter welchen Voraussetzungen Medikamente, die für Erwachsene zugelassen worden sind, auch bei Kindern und Jugendlichen zum Einsatz kommen können. Diese arbeitet jedoch auf ehrenamtlicher Basis und reaktiv, indem sie Anfragen bearbeitet. Im Bereich Kinder- und Jugendmedizin ist zudem eine Kommission einberufen worden (KAKJ), die ebenfalls nur auf Anfrage und ehrenamtlich tätig ist. Deshalb – so eine weitere Forderung der DGKJ – sollten diese Kommissionen durch operative Kompetenzen gestärkt werden. Nur so könne die Arzneimittelsicherheit insbesondere für Kinder langfristig erhöht werden.

Inklusive Lösung

Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) im Juni 2021 wird in § 1 SGB VIII geregelt, dass die Kinder- und Jugendhilfe zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere […] „jungen Menschen ermöglichen oder erleichtern [soll], entsprechend ihrem Alter und ihrer individuellen Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können […]“. Damit wird nicht nur eine Vorgabe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) übernommen, sondern eine neue für alle Praxisfelder und Verwaltungen weitreichende Vorgabe formuliert: Kinder- und Jugendhilfe muss inklusive Angebote und Maßnahmen ermöglichen. Während sie bisher schon für die Kinder und Jugendlichen mit seelischer Behinderung bzw. von seelischer Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche zuständig war, gilt dies nun auch im zunächst beschränkten Umfang für Kinder und Jugendliche mit geistiger und körperlicher Behinderung. Die neuen Regelungen beziehen sich vor allem auf die allgemeinen Normen, die inklusive Ausgestaltung der Leistungen (z. B. in der Kindertagesbetreuung, der Jugendarbeit und den Hilfen zur Erziehung), die Planung entsprechender Angebote, die Qualitätsentwicklung sowie die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken von Kinder- und Jugendhilfe einerseits und Eingliederungshilfe andererseits. Dabei sind die Jugendämter dafür verantwortlich, dass die zur Erfüllung der (inklusiven) Aufgaben des SGB VIII vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem im Rahmen der Jugendhilfeplanung (§ 80 SGB VIII) „ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden“ (§ 79 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII).

Die im Jahr 2021 in das SGB VIII aufgenommenen Regelungen sind jedoch nur der erste Schritt. In der Sache bleibt es zunächst für die getrennten Verantwortlichkeiten. Die Eingliederungshilfe ist zuständig für die Kinder und Jugendlichen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die Kinder- und Jugendhilfe für die Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen und alle anderen Kinder und Jugendlichen. Es ist aber politischer Wille, dass zukünftig alle Hilfen für alle Kinder und Jugendliche aus einer Hand, und zwar vonseiten der Kinder- und Jugendhilfe, erfolgen sollen. Genau diese Zusammenführung der Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene für alle Kinder und Jugendlichen wird als „inklusive Lösung“ bezeichnet (früher sprach man von „großer Lösung“). Dazu bedarf es allerdings noch weitergehender gesetzlicher Regelungen.

Im neuen § 107 SGB VIII ist deshalb vorgesehen, dass es eine zweite Stufe der Gesetzgebung geben soll. Dabei müssen vorrangig der leistungsberechtigte Personenkreis, die Art und der Umfang der Leistungen, die Ausgestaltung der Kostenbeteiligung bei diesen Leistungen und die Ausgestaltung des Verfahrens näher bestimmt werden. Der gleiche Paragraf schreibt dabei vor, dass dieses neue Bundesgesetz am 31.12.2027 vorliegen soll, um dann am 01.01.2028 in Kraft zu treten. In dem aktuellen Koalitionsvertrag zwischen SPD, GRÜNE und FDP für die aktuelle Legislaturperiode (PDF 2,11 MB) haben sich Verhandlungspartner darüber hinaus darauf verständig, dass dieses Gesetz noch in der aktuellen Legislaturperiode verabschiedet werden soll, also vor Mitte 2025. In diesem Sinne wurde im Rahmen einer Online-Auftaktveranstaltung am 27.06.2022 zu dem neuen Gesetzgebungsprozess und den ihn vorbereitenden Beteiligungsprozess bekannt, dass die Bundesregierung plant, den neuen Gesetzentwurf rechtzeitig vorzulegen.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche

Der Bundestag hat sich im März 2021 erstmals mit vier Anträgen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen zum Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Bildung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Die FDP forderte einen „Hilfeplan für die physische und psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen“ (19/27810) sowie ein „Chancen-Aufholprogramm“, um „Lernrückstände zu beheben und Corona-Nachteile für Kinder und Jugendliche zu verhindern“ (19/27808) (PDF 257 KB).

Die Grünen haben Anträge mit den Titeln „Wege aus der Bildungskrise – Zukunftsperspektiven für unsere Kinder“ (19/27826) (PDF 274 KB) und „Jugend in der Krise – Perspektiven für junge Menschen in Zeiten der Covid-19-Pandemie“ (19/27825) (PDF 272 KB) eingebracht. Den letztgenannten Antrag sowie den ersten Antrag der FDP überwies das Parlament zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die beiden anderen Anträge in den federführenden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Einen Antrag der AfD „für eine Kindheit ohne Abstand und Maske“ (19/23129) (PDF 242 KB) lehnte der Bundestag mit den Stimmen der übrigen Fraktionen auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Familienausschusses (19/27893) (PDF 280 KB) ab.

Den Debatten entsprechend – und wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen dies – gibt es nicht wenige Kinder, deren Lebenssituation sich wegen der corona-bedingten Einschränkungen verschlechterten. Kinder und Jugendliche haben zuhause vermehrt Gewalt erlebt, sowohl psychisch als auch physisch. Sie haben ihre schulischen Leistungen nicht halten können und sie wurden in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt. Auch Bewegungsmangel und Fehlernährung sind bei Kindern verstärkt aufgetreten. 

Die Bundesregierung hat am 5. Mai 2021 das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ in Höhe von zwei Milliarden Euro in den Jahren 2021 und 2022 gestartet. Es besteht aus einem Nachholprogramm für pandemiebedingte Lernrückstände und einem umfangreichen Maßnahmenpaket zur Unterstützung der sozialen Kompetenzen und der allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen.

Um die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche länger zu beobachten, hat die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe eingerichtet – unter dem Vorsitz des Bundesgesundheits- und des Bundesfamilienministeriums. Die interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ weist in ihrem Bericht vom 15.09.2021 darauf hin, dass Kinder und Jugendliche auch in der Pandemie offene Schulen und Kitas sowie Sportangebote in der Freizeit brauchen. Dafür müssten die vorhandenen Schutzkonzepte umgesetzt und die jungen Menschen regelmäßig getestet werden, bevorzugt mit gepoolten PCR-Lollitests. Außerdem sei es wichtig, dass für alle Kinder und Jugendliche Präventionsangebote zugänglich sind und besonders belastete junge Menschen gezielter unterstützt werden.

Kinder- und jugendpolitische Positionen zur Situation von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie sind vielfältig. Beispielhaft werden hier einige Stellungnahmen aufgeführt:

  • Prof. Dr. Karin Böllert (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ), Lorenz Bahr (BAG Landesjugendämter) und Prof. Dr. Wolfgang Schröer (Bundesjugendkuratorium) haben sich in einem offenen Brief „Junge Zukunft trotz(t) Corona – Chancenpaket für junge Menschen“ zum geplanten Maßnahmenpaket des Bundes, das pandemiebedingte Nachteile für junge Menschen ausgleichen soll, geäußert. Sie betonen, dass Kinder und Jugendliche mehr sind als Kita-Kinder und Schüler/-innen, und es deswegen ein umfangreiches Maßnahmenpaket für alle Felder der Kinder- und Jugendhilfe von Bund, Ländern und Kommunen braucht. Zum Maßnahmenpaket der Bundesregierung stellen sie sieben Forderungen auf. Offener Brief der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe vom 23.04.2021
  • In einer Stellungnahme diskutiert das Bundesjugendkuratorium, was aus der Corona-Krise für die zukünftige Kinder- und Jugendpolitik und die Infrastrukturen von Kindheit und Jugend jetzt und nachhaltig gelernt werden kann. Das Bundesjugendkuratorium gibt Empfehlungen für ein nachhaltiges kinder- und jugendpolitisches Programm, mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen, das Erfahrungen der jungen Menschen während der Covid-19-Pandemie anerkennt und sozialen Ausgleich schafft. 
    Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums vom 12.05.2021
  • Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf) fordert, die Situation der Familien mit Nachdruck in den Fokus zu nehmen. eaf fordert außerdem mehr gesellschaftliche Solidarität für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. 
    Pressemitteilung der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf) vom 03.09.2021
  • Auf seiner Mitgliederversammlung verfasste der Bundesverband einen Zwischenruf mit dem Titel „Rechte, Gesundheit und Schutz von Kindern endlich priorisieren“. „Die Respektlosigkeit gegenüber unseren Kindern und Jugendlichen in der Pandemie muss ein Ende haben“, fordert der Kinderschutzbund in einem Zwischenruf. Gleichzeitig kritisiert der Kinderschutzbund den fehlenden Willen politisch Verantwortlicher, sich offensiv und prioritär für Kinder und Jugendliche einzusetzen.
    Zwischenruf des Kinderschutzbunds vom 04.09.2021
  • Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ), die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. (DGPI) sprechen sich für das Offenhalten der Bildungseinrichtungen aus und nennen Voraussetzungen dafür.
    Pressemitteilung des BVKJ vom 10.09.2021
  • Das Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF) fordert nachhaltige Konzepte zur Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien sowie die Gewährleistung von verlässlichem Schulbetrieb und Hortbetreuung.“ 
    Stellungnahme des ZFF vom 13.09.2021

Neben den Folgen der Einschränkungen, die junge Menschen zu tragen haben, ist auch eine öffentliche Diskussion um den gesundheitlichen Schutz von Kindern vor Corona entbrannt. In der Debatte um Coronaimpfungen für Kinder und Jugendliche sind die Empfehlungen der Ständigen Impf­kommission (STIKO) ausschlaggebend. Zunächst hatte die STIKO die Corona-Schutzimpfung bei Personen ab 12 Jahren nur für Kinder und Jugendliche mit bestimmten Vorerkrankungen, einem erhöhten Ansteckungsrisiko oder mit engem Kontakt zu Personen, die sich nicht selbst schützen können, empfohlen. Gleichwohl war eine Impfung auch darüber hinaus schon nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Jugendlichen bzw. des oder der Sorgeberechtigten möglich. Am 19. August 2021 hat die STIKO ihre Empfehlung aktualisiert: Auf Basis aktueller Daten und einer gründlichen Risiko-Nutzen-Abwägung empfiehlt sie die COVID-19-Impfung mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs (Comirnaty® oder Spikevax®) für alle Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Diskussionen über Impfmöglichkeiten jüngerer Kinder werden fortgeführt. Nach positiven Studienergebnissen haben BioNTech und Pfizer eine Zulassung ihres Covid-19-Impfstoffs zum Einsatz bei Kindern beantragt. Ende 2021 wurde die Zulassung für Kinder im Alter von 5-12 Jahren genehmigt.

Gesundheitsminister Spahn rechnet für Anfang 2022 mit einer Zulassung.

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Dieser Artikel wurde auf www.youthwiki.eu in englischer Sprache erstveröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung der Übernahme.

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