Sozialpolitik

Missbrauchsbeauftragter und Betroffenenrat: Reform des Opferentschädigungsgesetzes bleibt hinter Erwartungen zurück

Nachdem der Bundestag eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) beschlossen hat, zieht Missbrachsbeauftragter Rörig gemeinsam mit dem Betroffenenrat eine gemischte Bilanz. Die neue Rechtslage benennt jetzt alle Fälle des Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen sowie von Betroffenen von Kinderpornografie. An verschiedenen Stellen bliebe die Reform allerdings hinter den Erwartungen der Betroffenen zurück.

08.11.2019

Am 7. November 2019 hat der Deutsche Bundestag der Reform des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) zugestimmt. Es soll jetzt überführt werden in das SGB XIV – Soziale Entschädigung. Das Gesetz sieht vor, Gewaltopfer, zum Beispiel von sexualisierter Gewalt oder Terroranschlägen, besser zu unterstützen. Der Runde Tisch „Sexueller Missbrauch“ hatte bereits 2011 auf eine schnelle Reform des OEG gedrängt. Bis zur Reform des OEG wurde ein Ergänzendes Hilfesystem (EHS) beim Bundesfamilienministerium eingerichtet, das seither Betroffenen Unterstützungsleistungen ermöglicht.

Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: „Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam mit dem Betroffenenrat und dem Bundesfamilienministerium hart für diese Reform gekämpft. In den Verhandlungen konnten wir durchsetzen, dass Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs jetzt ganz klar und ausdrücklich anspruchsberechtigt sind. Das bedeutet eine Verbesserung zum bisherigen Stand. Allerdings bleiben die Beweisanforderungen, sowohl was die Taten, aber auch die Tatfolgen angeht, hoch, so dass weiterhin viele Betroffene von Leistungen ausgeschlossen bleiben werden.“

Schnelle Hilfen bringen Fallmanagement und Traumaambulanzen voran

Ausdrücklich benannt im Gesetz sind jetzt alle Fälle des Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen sowie von Betroffenen von sexualisierten Gewaltdarstellungen von Kindern und Jugendlichen (sog. Kinderpornografie). Für den schwierigen Nachweis der Tat werden die bisher in der Praxis erkämpften Standards in das Gesetz aufgenommen, d. h., wenn nach Würdigung aller Umstände mehr für als gegen den Missbrauch spricht, gilt er als nachgewiesen. Erleichtert wurde auch der Nachweis, dass Schädigungen wie etwa psychische Probleme, Folgen eines Missbrauchs sind. Grundsätzlich soll jetzt auch von einer Kausalität ausgegangen werden, wenn mehr für als gegen diesen Zusammenhang spricht. Mit den neuen Leistungen der sog. „Schnellen Hilfen“ wurden zudem das wichtige Fallmanagement und der flächendeckende Ausbau und die Qualitätsentwicklung in Traumaambulanzen vorangebracht. Hier liege die Verantwortung, so Rörig, auch bei den Ländern, diese wichtigen Ansprüche von Betroffenen – gerade für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen – umzusetzen.

Enttäuschend bewerten Rörig und der Betroffenenrat, dass Betroffene der BRD vor 1976, also vor Einführung des OEG, und der DDR vor 1990, nach wie vor von dem Gesetz ausgeschlossen bleiben, wenn sie keinen Schädigungsgrad von mindestens 50 Prozent nachweisen. Dies ist bei den typischen Belastungen nach Missbrauch meist nicht der Fall. Auch die Betroffenen, die nun im Gesetz erstmals Berücksichtigung finden, wie zum Beispiel Betroffene von Missbrauchsdarstellungen, erhalten noch keine Ansprüche. Erst wer ab dem Jahr 2024 Opfer dieser Gewalttaten wird, kann einen Antrag auf Leistungen stellen.

Ausbau und Verbesserung des Ergänzenden Hilfesystems

Rörig: „Wir werden sehr genau hinsehen müssen, was die neuen Veränderungen für Betroffene sexueller Gewalt an Verbesserungen in der praktischen Umsetzung wirklich bringen. Betroffene haben lange um die Reform des OEG gekämpft. Es ist besonders enttäuschend, dass gerade für die älteren Betroffenen, die sich so intensiv für Reformen eingesetzt haben, keine wirklichen Verbesserungen durchgesetzt werden konnten. Es war offenbar kein Konsens mit den Ländern da, mehr für die Opfer von sexueller Gewalt zu tun und eine große und umfassende Lösung anzustreben.“ Das EHS sollte 2011 eigentlich nur eine Interimslösung sein, bis das OEG reformiert ist. Ich zähle jetzt auf Bundesministerin Dr. Giffey, dass das EHS weiter ausgebaut und verbessert wird. Es hat ganz klar weiter seine Berechtigung. Nicht nur weil die Hürden für Leistungen dort sehr viel niedriger sind, sondern auch weil ein solches System wichtige Alltagshilfen bieten kann, wie zum Beispiel eine Therapie, die nicht über die gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden kann. Ich bin aber zuversichtlich, dass Bundesministerin Dr. Giffey den Fonds in den kommenden Monaten auch und gerade durch die jetzigen Reformergebnisse, die für viele Betroffene enttäuschend sind, auf ein stabiles Fundament stellen wird.“

Betroffene mit ihrer Expertise und ihrem Erfahrungswissen beteiligen

Rörig dankt insbesondere dem Betroffenenrat für sein Engagement im Reformprozess: „Es wurde erneut deutlich, wie wichtig es ist, dass Betroffene mit ihrer Expertise und ihrem Erfahrungswissen auch in die politischen Prozesse im Themenfeld ganz konkret eingebunden werden. Erstmals wurde erreicht, dass ein Mitglied des Betroffenenrates als Sachverständige im Parlament zum Gesetz angehört wurde. Diese Erfahrungsexpertise ist unerlässlich, wenn wir die Perspektive von Betroffenen einnehmen wollen und Unterstützung auch ankommen soll!“

Auch der Betroffenenrat begrüßt dass einige zentrale Verbesserungen durchgesetzt werden konnten, zeigt sich aber auch enttäuscht, dass für viele Betroffene nicht mehr erreicht werden konnte: „Mit unserer immer wieder vorgetragenen Kritik konnten wir massive Einschnitte im Bereich des Berufsschadensausgleich aber auch der beruflichen Rehabilitation verhindern. Das ist eine gute Nachricht, da die in Kindheit und Jugend erlittenen Gewalttaten häufig die angestrebten Ausbildungswege verhindern. Für uns als Betroffenenrat ist allerdings unverständlich, warum das Gesetz erst 2024 in Kraft tritt und die Ansprüche auch erst für Taten ab diesem Zeitpunkt bestehen. Es müsste mindestens gesichert sein, dass für Geschädigte, die mit dem neuen Gesetz erstmals Anspruch auf Leistungen bekommen, wie zum Beispiel Betroffene von Missbrauchsdarstellungen, nicht deswegen ohne Anspruch bleiben, weil sich die Taten in den nächsten Jahren aber vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignen. Wir fordern die Bundesregierung auf, über nachhaltige Formen der Evaluierung sicherzustellen, dass die zugesagten Verbesserungen, gerade was die Verfahren angeht, auch tatsächlich erreicht werden. Viele Betroffene haben immer wieder berichtet, wie anstrengend für sie die oft jahrelangen Verfahren zur Anerkennung waren.“

Quelle: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 08.11.2019

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