Sozialpolitik

Kinderschutzbund Bayern und BLLV fordern: "Schulen dürfen Armut nicht zementieren"

In einer gemeinsamen Presseerklärung appellieren der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, Landesverband Bayern e.V., Ekkehard Mutschler, und der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel, an die Bayerische Staatsregierung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Diskriminierung armer Kinder in Bayern nicht zu zulassen.

17.02.2010

München, 17.02.2010 "Diejenigen, die heute arm sind, dürfen nicht arm bleiben. Vielmehr muss dafür Sorge getragen werden, dass alle jungen Menschen beste Bildung erhalten", erklärten beide heute in München.

Derzeit sei dies nicht der Fall: "Wer arm und obendrein noch ausländischer Herkunft ist, dem bleibt in der Regel die Tür zu höheren Bildungsabschlüssen versperrt. Das ist nicht nur ungerecht, sondern sozialpolitisch unverantwortlich, denn Jugendliche, die keinen Abschluss schaffen oder nur gering qualifiziert sind, belasten die Sozialsysteme dauerhaft. In einem ersten und wichtigen Schritt müssen alle öffentlichen Schulen und Kindertagesstätten so gut ausgestattet werden, dass privat zu bezahlender Förderunterricht überflüssig wird." 

Kinderarmut in Deutschland verbreitet sich rasch: Während 1965 lediglich jedes 75. Kind von Armut betroffen war, ist es 2006 jedes sechste. Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung waren im Jahr 2008 durchschnittlich 1,82 Millionen Kinder unter 15 Jahren auf staatliche Unterstützung angewiesen. Im zweiten Bericht der Bayerischen Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern 2009 heißt es, dass 8,8% aller bayerischen Kinder unter 15 Jahren ein Armutsrisiko haben, bei den 15- bis 25-Jährigen sind es 12,4%. Insgesamt beträgt die Armutsrisikoquote in Bayern 10,9%. Weil absehbar sei, dass die Zahlen durch die Folgen der Wirtschaftskrise weiter steigen werden, müssten die Schulen schnell auf diesen alarmierenden Trend reagieren, sind sich Mutschler und Wenzel einig.

Armut bleibt nicht ohne Wirkung: Wie das Kinder- Panel des Deutschen Jugendinstituts ermittelt hat, sind die Leistungen armer Kinder im Lesen und Rechnen deutlich schlechter, nachweisbar ist am Ende der Grundschulzeit auch eine erhöhte motorische Unruhe und Nervosität, es gibt außerdem deutliche Tendenzen zur Resignation. "Diese Defizite erfordern spezielle Bildungskonzepte und Fördermaßnahmen", erklärten Mutschler und Wenzel. Keinesfalls dürften kognitive und psychische Entwicklungsrückstände mit schlechten Noten bestraft werden. Kernaufgabe zeitgemäßer Schul- und Bildungspolitik sei es, den in zahlreichen Studien nachgewiesenen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen zu durchbrechen. "Schulen sind die besten Orte dafür", betonten beide. "Wir dürfen nicht länger zulassen, dass Schulen die Reproduktion von Armut zementieren."

Es sei ein "skandalöser Missstand", dass sich in den vergangenen Jahren privat finanzierte Nachhilfe und Ergänzungsunterricht zum wichtigen Baustein des bayerischen und deutschen Bildungssystems entwickeln konnten. "Hier werden Defizite öffentlicher Schulen deutlich, die es umgehend zu beseitigen gilt." Erst im Januar hatte die von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie der Bildungsforscher Klaus und Annemarie Klemm zur Nachhilfesituation in Deutschland auf diesen Trend aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass Eltern jährlich 1,5 Milliarden Euro für privaten Nachhilfeunterricht bezahlen. "Diese gigantische Summe führt uns drastisch vor Augen, wie konkret die Ausgrenzung armer Kinder und Jugendlicher an den Schulen mittlerweile ist", kritisierten Mutschler und Wenzel. Hinzu kommt die eklatante Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, die besonders häufig von Armut betroffen sind: So wechselten 66% aller ausländischen Kinder nach der vierten Klasse in die Hauptschule, nur 19% in ein Gymnasium und nur 11% in eine Realschule.

Kinder, die von Armut betroffen sind, brauchen:

* materielle Unterstützung

* frühe und gezielte Förderung, um Defizite auszugleichen

* Unterstützung der Eltern - niederschwellige Angebote helfen ihnen, sich besser zu integrieren und sozialisieren (z.B. Sprachkurse)

* Unterrichtsinhalte, die armutsspezifische Probleme aufgreifen, z.B. im Bereich Gesundheitserziehung, Ernährung, Freizeitgestaltung oder Berufsorientierung

* Anregungen, die der kommunikativen und interaktiven Ausgrenzung entgegen wirken

* professionelle Stärkung ihres Selbstbewusstseins, Selbstwertgefühls sowie Ganztagsangebote an Schulen.

Quelle: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV)

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