Sozialpolitik

Einmal arm – immer arm: Sozialverbände fordern eine gerechte Familienförderpolitik

Kinder und Jugendliche sind in Deutschland weiterhin am stärksten von Armut bedroht. Deshalb fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, der Kinderschutzbund und VAMV eine konsequente und gerechte Familienförderpolitik, die gleiche Rechte und gleiche Chancen für alle Familien schafft.

18.10.2017

Anlässlich des Internationalen Tags für die Beseitigung der Armut am 17. Oktober 2017 fodern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, der Landesverband alleinerziehender Väter und Mütter und der Kinderschutzbund Landesverband Baden-Württemberg vom Land eine konsequente und gerechte Familienförderpolitik, die gleiche Rechte und gleiche Chancen für alle Familien schafft. Dazu müsse mit Sozialverbänden konsequent und kontinuierlich an Lösungen gearbeitet werden. Nur so könne verhindert werden, dass sich Armut von Generation zu Generation überträgt.

Kinder und Jugendliche sind in Deutschland weiterhin am stärksten von Armut bedroht. Das zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Armutsgefährdungsquote. Demnach ist mehr als jedes fünfte Kind (20,2 Prozent) von Armut bedroht. In Baden-Württemberg sind Alleinerziehende und deren Kinder mit durchschnittlich 46 Prozent und bei drei und mehr Kindern mit 64 Prozent besonders gefährdet.

Zukunftschancen durch Armut eingeschränkt

„Ein Aufwachsen in Armut bedeutet für Kinder eine starke psychische Belastung, die sich negativ auf ihren Gesundheitszustand und ihr Selbstwertgefühl auswirkt“, betont Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. „Der Zusammenhang zwischen Armut und geringen Bildungschancen ist in vielen Studien nachgewiesen. Daher schränkt Armut auch die Chancen von Kindern in der Zukunft ein. So ist die Gefahr groß, dass sich Benachteiligungen über Generationen verfestigen und so aus Kindern armer Eltern die Eltern armer Kinder werden“, so Wolfgramm. Die stärkste Armutsgefährdung gehe für Kinder von den mangelnden Erwerbsmöglichkeiten ihrer Eltern aus. Fehlende Arbeitsplätze, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, ein wachsender Niedriglohnsektor sowie eine nicht ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen für Kinder machten es Eltern – insbesondere alleinerziehenden Frauen – schwer, wieder Fuß im Arbeitsleben zu fassen.

Häufig Familienarmut bei Alleinerziehenden

„Armut von Kindern ist sehr häufig gleichzeitig Familienarmut bei Alleinerziehenden, denn jedes 2. Kind im SGB II-Bezug lebt in einem Ein-Elternhaushalt. Fast 29 Prozent der Alleinerziehenden verfügten 2015 über weniger als 1.300 Euro netto monatlich und jede zehnte Alleinerziehende muss mit weniger als 900 Euro netto monatlich auskommen. Alleinerziehen ist mit über 88% überwiegend weiblich. Es ist notwendig, die Eltern, die sich allein um ihre Kinder kümmern, zu fördern und zu unterstützen. Die Familienform darf nicht darüber entscheiden, dass Kinder in Armut leben müssen“,  erläutert Brigitte Rösiger, Geschäftsführerin vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter Landesverband Baden-Württemberg e.V.

Rechte der Kinder auf Teilhabe und Bildung

"Kinder sind am stärksten von Armut betroffen. Das ist besonders tragisch, da Kinder in keiner Weise für ihre Armut verantwortlich sind. Noch schwerer wiegt aber, dass Kinder selbst auch nichts gegen ihre Armut unternehmen können. Besonders dramatisch ist es, wenn die Eltern trotz Erwerbsarbeit von Unterstützungsleistungen abhängig sind. Eltern wollen ihren Kinder Möglichkeiten bieten und gute Vorbilder sein. Aber gleichzeitig müssen sie für jede zusätzliche Leistung der Kinder, wie Klassenfahrt und Zoobesuch, einen Antrag stellen. Das ist mit sehr viel bürokratischem Aufwand verbunden und bedeutet eine zusätzliche Stigmatisierung. Wir wollen die Rechte der Kinder auf Teilhabe und Bildung, unabhängig von der Herkunftsfamilie bzw. dem Familieneinkommen, stärken. Deswegen setzten wir uns für eine kostenfreie Bildung für alle Kinder ein", erklärt Iris Krämer, die Landesvorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes Baden-Württemberg e.V.

Der PARITÄTISCHE Baden Württemberg und seine Mitgliedsorganisationen VAMV und Kinderschutzbund fordern von der Politik:

  • Ein Arbeitseinkommen, das ein Leben über dem Existenzminimum garantiert, den Abbau der unterschiedlichen Entlohnung von Männern und Frauen und eine familienfreundliche Unternehmenspolitik, die es Müttern und Vätern ermöglicht, Familie und Erwerbsarbeit zu verbinden.
  • Elemente des Ausgleichs, wie die Berücksichtigung im Steuersystem, Solidarleistungen und Beitragsermäßigungen für Familien.
  • Den bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder, sowohl quantitativ als auch qualitativ.
  • Die wirkungsvolle Bekämpfung und Vermeidung von Kinderarmut. Sie erfordert ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft in den verschiedenen tangierten Politikfeldern wie zum Beispiel Soziales, Gesundheit, Bildung, Umwelt, Stadtplanung und Wohnungsbau.
  • Ein abgrenzendes Ressortdenken der Länderministerien muss überwunden werden. Das Kinderland Baden-Württemberg muss zur aktiven und gelebten Querschnittsaufgabe werden!

Hintergrundinformationen

Mit bestimmten Familientypen und Lebensphasen ist ein erhöhtes Armutsrisiko verbunden. Dazu gehören Alleinerziehende, kinderreiche Familien und zugewanderte Familien ebenso wie Familien mit jüngeren Kindern. Betroffen sind auch Eltern, die sich in Studium und Ausbildung befinden. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband sind diejenigen Familien arm, die über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von einer Lebensweise ausgeschlossen sind, die in unserem Land als Mindestmaß gilt. Nach der europäischen Armutsdefinition ist dies dann der Fall, wenn das Einkommen 60 Prozent des Medianeinkommens der Bevölkerung unterschreitet. Der Medianwert ist die Linie, die in Bezug auf das Einkommen die Gesamtbevölkerung exakt halbiert: das Einkommen der einen Hälfte liegt unter und das der anderen über diesem Wert. In Baden-Württemberg gilt ein Paar mit 2 Kindern unter 15 Jahren als armutsgefährdet, wenn das Familiennettoeinkommen unter 1.726 Euro liegt (60 % Schwelle).

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich noch parteipolitisch gebunden. Der Verband steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 850 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 4000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte. Ihm gehören rund 460 Einrichtungen aus dem Bereich Kinder und Familie an.

Quelle: DER PARITÄTISCHE Baden-Württemberg vom 17.10.2017

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