Offener Brief

Zivilgesellschaft fordert substanzielle Soforthilfen für die Ärmsten

In einem offenen Brief fordern zahlreiche Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Jugendorganisationen die Bundsregierung zu zügigen, gezielten und substantiellen Hilfen für arme Menschen auf. Die insgesamt 17 Organisationen erinnern an das Versprechen der neuen Koalition für einen Kinder-Sofortzuschlag. Schon vor der Pandemie fehlten Kindern in der Grundsicherung durchschnittlich 78 Euro, coronabedingte Mehrausgaben und Inflation kommen jetzt noch hinzu.

18.02.2022

Angesichts dauerhaft hoher Preissteigerungsraten und pandemiebedingter Mehrausgaben appellieren Vertreter*innen von 17 bundesweiten Organisationen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund, Wohlfahrts- und Sozialverbände wie der Paritätischen Gesamtverband und die Diakonie Deutschland und Kinderrechts- und Jugendorganisationen wie der Deutsche Kinderschutzbund und der Deutsche Bundesjugendring, in einem offenen Brief an die Ampel-Koalition, zügig gezielte und substanzielle Hilfen für die Ärmsten zu beschließen.

In dem Brief, den auch die Jusos und Grüne Jugend unterzeichnet haben, erinnern die Verfasser*innen die Bundesregierung an ihr Versprechen eines Sofortzuschlags für von Armut betroffene Kinder im Koalitionsvertrag und weisen auf die ohnehin unzureichenden Regelsätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den Systemen der Grundsicherung wie Hartz IV hin.

Armutspolitisch gegensteuern und die Ärmsten wirksam entlasten

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Inflation und finanziellen Belastungen durch die Pandemie verschärfe sich „die Not von Menschen, die auf existenzsichernde Leistungen wie Hartz IV angewiesen sind”, heißt es in dem Brief. Daher sei es „allerhöchste Zeit, armutspolitisch gegenzusteuern”. „Mit großer Sorge” nehme man wahr, „dass der im Koalitionsvertrag angekündigte Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder auf sich warten lässt und bisher keine Schritte unternommen wurden, um alle Beziehenden von Grundsicherungsleistungen zu unterstützen”. Es könne „nicht sein, dass ausgerechnet die Ärmsten wieder einmal auf der Strecke bleiben”.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, erläutert zur Initiative für den Brief: „Wer Kinderarmut den Kampf ansagt und Soforthilfe verspricht, muss auch genau das liefern: Leistungen, die umgehend und wirklich substanziell helfen. Wir werden diese Bundesregierung auch und besonders daran messen, dass sie endlich armutspolitisch in die Offensive geht. Dazu gehört es zwingend, Geld in die Hand zu nehmen, um die Ärmsten in dieser Gesellschaft wirksam zu entlasten.”

Sofortzuschlag für Kinder zügig und in substantieller Höhe umsetzen

Auch die AWO sieht die sich verschärfende soziale Lage mit großer Sorge und fordert, die Situation von armutsbetroffenen Menschen, auch vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation, stärker in den Blick zu nehmen. Dazu erklärt Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt: „Preisentwicklung und Pandemie setzen viele Menschen finanziell stark unter Druck. Für Menschen in der Grundsicherung und in prekären Lebenslagen werden die zusätzlichen Kosten schnell zu einer existenziellen Frage. Das gegenwärtige Niveau der Grundsicherung ist aber ohnehin schon auf Kante genäht und reicht nicht aus, um die gegenwärtigen Mehrbelastungen abzusichern.“ Notwendig seinen schnelle Sofortmaßnahmen in Form eines pauschalen Zuschlages auf die Grundsicherung. Der angekündigte Sofortzuschlag für Kinder müsse zügig und in substantieller Höhe umgesetzt werden.

Michael Groß fordert darüber hinaus eine Gesamtstrategie, wie vor dem Hintergrund der sozialen Folgen der Pandemie und großer, gemeinsamer Transformationsaufgaben wieder mehr sozialer Zusammenhalt organisierert werden kann. „Das ist eine zutiefst soziale Frage und ein Handlungsauftrag an die Sozialpolitik. Wir müssen dazu Armutsrisiken besser absichern, ökonomische und soziale Ungleichheiten abbauen und gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen sicherstellen. Daran werden wir die Vorhaben im Koalitionsvertrag und ihre gesetzgeberische Umsetzung messen,“ betont der Präsident der Arbeiterwohlfahrt.

Geld fehlt für das Nötigste: Schulmaterial, Kleidung und gesundes Essen

Auch Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland äußert sich zu dem offenen Brief der Zivilgesellschaft und stellt klar: „Durchschnittlich 78 Euro fehlten Kindern in der Grundsicherung schon vor der Pandemie, coronabedingte Mehrausgaben und Inflation kommen hinzu. Dieses Loch in der Haushaltskasse wird von Monat zu Monat größer. Geld fehlt für das Nötigste wie Schulmaterial, Kleidung oder gesundes Essen. Dieses Problem darf die Bundesregierung nicht weiter ignorieren und Kinder länger auf Hilfe warten lassen. Sie muss jetzt ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag einlösen und deutlich spürbar Abhilfe schaffen.“

Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes fügt hinzu: „Der Sofortzuschlag für arme Kinder droht zum vielleicht-später-Zuschlag zu verkommen. Wenn die Bundesregierung es ernst meint mit der Bekämpfung der Kinderarmut, muss das Thema auf die Tagesordnung des nächsten Koalitionsausschusses.“

Der offene Brief im Wortlaut an Bundeskanzler, Bundesarbeitsminister, Bundesjugendministerin und Bundesfinanzminister steht unter anderem beim Deutschen Bundesjugendring zur Verfügung. Neben zahlreichen Wohfahrts- und Sozialverbänden und Gewerkschaften haben sich auch mehrere Kinderrechtsorganisationen und politische Jugendverbände beteiligt. 

Hintergrund

Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es, dass bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung von Armut betroffene Kinder, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II, SGB XII oder Kinderzuschlag haben, mit einem Sofortzuschlag abgesichert werden sollen. Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck hatte zudem Anfang des Jahres Unterstützungszahlungen beim Wohngeld und Hartz IV angekündigt. Mit dem Kabinettsbeschluss eines Heizkostenzuschusses vom 2. Februar wurde diese Ankündigung für Beziehende von Wohngeld umgesetzt. Weitere armutspolitische Maßnahmen wurden durch die Bundesregierung bisher nicht beschlossen.

Quelle: Der Paritätische Gesamtverband, AWO Bundesverband e.V., Diakonie Deutschland, Deutscher Kinderschutzbund e.V., Deutscher Bundesjugendring vom 15.02.2022

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