Jugendpolitik

"Mehr Europa" gewünscht: Zum Verhältnis von nationaler und europäischer Jugendstrategie bis 2018

Jugend für Europa berichtet von der Auftaktveranstaltung zur Jugendstrategie "Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft", die das Bundesjugendministerium in Kooperation mit dem Bundesjugendkuratorium am 09. Juli in Berlin durchführte.

30.07.2015

Eine "Sternstunde dieser Legislaturperiode" nannte es Mike Corsa. In dem Motto 'Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft' läge "Musik drin". Denn nun sei es mit "Sonntagsreden und Prüfbaustein zu Gesetzesvorlagen nicht mehr getan". Gefordert sei Jugendpolitik mit jungen Menschen. Nichts anderes.

Jugendpolitik bekommt eine stärkere Stimme am Kabinettstisch

Anlass für die Euphorie des Bundesjugendkuratoriumsvorsitzenden Corsa, der zuversichtlich glaubt, dass die Jugendpolitik nun "eine stärkere Stimme am Kabinettstisch bekommt", ist der Auftakt für eine neue Jugendstrategie des Bundesjugendministeriums 2015 - 2018. Die wurde unter dem Motto "Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft" am 9. Juli in Berlin präsentiert und – man kann es so sagen – gefeiert.

Jugendgerechte Politik ist Politik für, mit und von Jugendlichen

Bundesjugendministerin Manuela Schwesig formulierte den obersten Anspruch der Strategie, mit der die bisherigen Entwicklungen in der Umsetzung der EU-Jugendstrategie und der Eigenständigen Jugendpolitik nun stärker miteinander verbunden werden sollen: "Jugendgerechte Politik ist Politik für, mit und von Jugendlichen. Nicht die Jugend muss der Politik gerecht werden, wir müssen mit unserer Politik der Jugend gerecht werden", sagte sie. Sie mahnte ein positiveres Bild von Jugendlichen an. Diese seien "nicht das Problem, sondern die Lösung, weil sie die Zukunft sind!"

Zukunftsmusik: Eine ressortübergreifende und kohärente Jugendpolitik rückt näher

Die Zukunft: Jana Schröder von der Koordinierungsstelle "Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft" rückte die Erwartungen zurecht. Noch handele es sich um die Strategie nur eines der Bundesministerien, und bis ein 'Jugendcheck' Eingang in die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung fände, würden mindestens 10 Jahre vergehen, sagte sie.

Dennoch: Die Forderungen des Bundesjugendkuratoriums vom Mai 2009 scheinen in denkbare Nähe gerückt zu sein. Damals hatte das BJK in einer Stellungnahme "Zur Neupositionierung von Jugendpolitik" eine ressortübergreifende, kohärente Jugendpolitik gefordert, "die die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen einbringt". Und mit dem Papier "Partizipation von Kindern und Jugendlichen – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit" vom Juni 2009 wurde eine stärkere Beteiligung von jungen Menschen angemahnt.

Von Pfeilern und Stützen: Demografiepolitik, Internetbeteiligungsplattform, Innovationsfonds und Jugendcheck

Nun wird sich unter anderem eine AG "Jugend gestaltet Zukunft" in die Demografiestrategie der Bundesregierung einbringen und eine neue Internetbeteiligungsplattform soll Jugendbeteiligung erleichtern. Ein Innovationsfonds wird 42 Projekte zur Förderung der Eigenständigen Jugendpolitik unterstützen und mit dem in Aussicht gestellten 'Jugendcheck' sollen unter der Regie der Jugendverbände bundespolitische Vorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit den Belangen der jungen Generation überprüft und dafür "sensibilisiert" werden.

Information und Transfer in Länder und Kommunen und Verzahnung mit der Europäischen Jugendstrategie

Übergreifend gestalten sich zwei weitere Bestandteile der neuen Jugendstrategie. Einmal soll die Koordinierungsstelle als Informations- und Transferstelle die Jugendstrategie bundesweit verbreiten und in der Fläche verankern, unter anderem, indem sie 16 ausgewählte "Kommunen auf dem Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit" begleitet und vernetzt. Und dann gibt es ja da noch die Europäische Jugendstrategie. Auch sie soll Bestandteil der neuen Jugendstrategie des Ministeriums sein und "europäische Ideen und Inhalte in Politik und Praxis" einbringen.

Unterpunkt Europäische Jugendstrategie?

Mit dieser Positionierung der Europäischen Jugendstrategie als eine Art Unterpunkt der nationalen ist so mancher nicht einverstanden. Wie so vieles, was aus Europa kommt, scheint es auch ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Europäische Jugendstrategie maßgeblichen Anteil an der jugendpolitischen Neuausrichtung hatte. Das jedenfalls glaubt mancher der Anwesenden aus Kinder- und Jugendhilfe und -politik.

Deutlicher Zusammenhang zwischen nationaler und europäischer Jugendstrategie erfordert ein einheitliches Konzept

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) und Mitglied der Nationalen Arbeitsgruppe Strukturierter Dialog auf Bundesebene, sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen der nationalen und der europäischen Jugendstrategie, meint aber, dieser sei in der Umsetzung bisher nicht erkennbar. (<link https: www.jugendpolitikineuropa.de beitrag es-kann-eigentlich-gar-keine-nationale-jugendstrategie-mehr-geben-weil-man-die-jugendstrategie-europaeisch-denken-muss.10236 _blank external-link-new-window zum interview mit ina>Interview) Doris Klingenhagen, Referentin für Jugend- und Bildungspolitik der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) und Mitglied des AGJ-Fachausschusses Europa, findet ebenfalls, dass "Europa und die EU-Jugendstrategie mehr als ein Thema" seien. Auch sie vermisst "ein einheitliches Konzept hinter dem Ganzen" (<link https: www.jugendpolitikineuropa.de beitrag aber-die-lebenswirklichkeit-von-jungen-menschen-besteht-nicht-nur-aus-deutschland.10235 _blank external-link-new-window zum interview mit doris>Interview).  

Europa heißt Solidarität, Frieden und gemeinsame Zukunft

Geht es um Europa, dann spricht die Bundesministerin mit ihrem Appell an die Solidarität ("Wir können nicht über Jugend in unserem Land sprechen, wenn wir die Jugend in den anderen Ländern vergessen.") vielen Zuhörerinnen und Zuhörern, an Griechenland denkend, aus dem Herzen. Ansonsten, so der Eindruck, beschwört sie eher formelhaft eine Politik, "die nicht an den Landesgrenzen halt macht", Vorurteile überwinden kann" und eine "gemeinsame Zukunft" und "den Frieden für Europa" zum Ziel hat. Statt einer konkreten Idee spricht aus solchen Worten wohl vorerst nur die Hoffnung, die notwendigen inhaltlichen und strukturellen Verbindungslinien zwischen nationaler und europäischer Politik zu finden.

Europa ist ganz nah – Europapolitik auch

Für die europapolitisch Engagierten unter den Zuhörern ist das eindeutig zu wenig. Elke Wegener und Katharina Teitling vom Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) können sich "Europa nicht mehr wegdenken". "Ich bin damit aufgewachsen", erklärt Katharina Teitling, "und wenn ich mit den Jugendlichen in den IBB-Projekten rede, dann ist das für die auch so." Für sie und die Jugendlichen sei Europapolitik ganz nah: "Die Fragen, die die Jugendlichen zur Politik haben, und das haben sie eigentlich fast alle, sind fast immer auch europäisch. Deswegen kann man das nicht trennen und die Jugendlichen trennen es auch nicht. Da geht es auch nicht um humanitäre Projekte in Griechenland, sondern da geht es eher darum, wie es den Leuten in Griechenland geht und wie die Jugendlichen das mit ihrer eigentlich persönlichen Situation verbinden – mit Arbeitslosigkeit oder Problemen in der Ausbildung." Es sei sehr klar, dass man jugendpolitische Entwicklungen auch aus europäischer Perspektive betrachten müsse.

Europa in der zweiten Reihe?

So klar schien das beim Auftakt am 9. Juli noch nicht zu sein. Um einen konkreteren Eindruck von den europäischen Dimensionen jugendpolitischer Überlegungen zu gewinnen, musste man sich schon in die zweite Veranstaltungsreihe begeben. Hier, in den Workshops von JUGEND für Europa, zogen junge Menschen aus ihren Vor-Ort-Erfahrungen mühelos Verbindungen. Laura Schabbert vom Deutsch-Polnischen Oderjugendrat erzählte von den Aktivitäten im grenznahen Raum, der gar keine Grenze mehr hat. Geleitet von der Frage "Was macht die Politik für mich?" machen sie selbst Politik in der Region. Die reicht oft weit über – vermeintlich – jugendpolitische Fragen hinaus, wenn es zum Beispiel um die Abwanderung von Ärzten geht. Wie stark Europapolitik und nationale Politik miteinander zu tun haben, zeigte auch Svenja Wermter aus dem Projekt "Hier ist Europa" auf. Sie ist eine der "Europabotschafter_innen" des Projekts von aej und Evangelischem Stadtjugenddienst, eine junge Frau, die mit Gleichaltrigen – ganz wie es der programmatische Projekttitel erahnen lässt - über "Europa in Hannover" spricht. Sie sammelt europapolitische Fragen, Ideen und Anregungen in Jugendzentren und Schulklassen und hilft dann mit, den Dialog darüber mit Politikern und Politikerinnen beim Kochen, Kegeln oder im Treff zu strukturieren.

Europäische Ideen als integrale Bestandteile der jugendpolitischen Strategie

Flankiert wurden die Beispiele von Volker Rohde, Stadtjugendpfleger und Bereichsleiter Kinder- und Jugendarbeit in Hannover, und Matthias Hoffmann vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, die den strukturellen Überblick boten. Hoffmann formulierte als Ziel von Landes- und Kommunalpolitik, europäische Ideen und Aspekte zum integralen Bestandteil der jugendpolitischen Strategie zu machen. Die Beispielkommunen in der Aktion "Kommune goes international", eine Teilinitiative des JiVE-Projekts, hätten gezeigt, wie eine Internationalisierung der Kinder- und Jugendarbeit vor Ort gefördert werden kann. Hoffmann: "Ich wünsche mir, dass das selbstverständliche Mitdenken von europäischen Themen auch in der nationalen Jugendstrategie 2015-2018 Wirklichkeit wird."

Quelle: JUGEND für Europa vom 22.07.2015

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