Jugendpolitik

Fachveranstaltung "Große Lösung, Kleine Lösung - Keine Lösung"

"Nicht die Personen müssen wandern, sondern die Akten!" lautet nur eine wichtige Erkenntnis des Fachtages des Paritätischen Berlin, der am 26. Juni in der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin stattfand.

03.07.2015

Am 26. Juni fand in der Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) die Fachveranstaltung des Paritätischen Berlin statt, die die Ergebnisse der VERSUKI-Studie (Versorgungs- und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen in Berlin) präsentierte.

Ausgehend von Wünschen und Forderungen der Mitgliedsorganisationen haben sich die beiden Referate Jugendhilfe und Behindertenhilfe des Paritätischen Berlin in den vergangenen zwei Jahren verstärkt dem Thema angenommen und waren sich einig, dass es zunächst darum gehen muss, die Ausgangslage/derzeitige Situation in Berlin abzubilden. Das war Ziel der Studie, die das Institut für Soziale Gesundheit der KHSB durchführte.

Auszüge aus dem Bericht der Forschungsgruppe

Die quantitative Datenlage zur Eingliederungshilfe nach SGB VIII ist weitaus umfassender als zur Eingliederungshilfe nach SGB XII. Unter sozialraumorientierten Gesichtspunkten, vor allem für die Jugendhilfeplanung, ist das Datenmaterial eher unzureichend, da nicht immer für die Bezirke und nirgends für die Bezirksregionen Aussagen zu den jeweiligen Versorgungslagen möglich sind. Jungen nehmen häufiger Eingliederungshilfe nach SGB VIII und SGB XII in Anspruch als Mädchen. Auffallend ist der hohe Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Hilfeform nach SGB VIII im Land Berlin. Neben diesem Indikator für soziale und gesundheitliche Ungleichheit spielt ebenso das niedrige Einkommen (Transferleistungen und soziale Situation) in der Eingliederungshilfe nach SGB VIII im Land Berlin eine bedeutende Rolle. Im Land Berlin ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg der Kinder und Jugendlichen mit  "Entwicklungsauffälligkeiten/seelischen Problemen" zu verzeichnen. Die Institution Schule spielt eine bedeutende Rolle in der Eingliederungshilfe. Diese Gruppe mit den höchsten Inanspruchnahmewerten nimmt vor allem Hilfen für eine angemessene Schulbildung in Anspruch. Die Zugangswege und Zuständigkeiten für Eingliederungshilfen nach SGB XII und SGB VIII sind in den Bezirken uneinheitlich. Leistungen der Eingliederungshilfen sind somit für Hilfesuchende schwer zu erschließen.

Herausforderungen für die Verbesserung der Versorgungs- und Unterstützungsangebote

Auf der Basis der Datenanalyse lassen sich folgende Herausforderungen für die Verbesserung der Versorgungs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen in Berlin festgehalten:

  • Zugangswege verbessern
  • Soziale Benachteiligung in den Blick nehmen
  • Versorgung und Unterstützung altersspezifisch entwickeln
  • Honorierung einheitlich regeln
  • Innovative Projekte fördern
  • Datenlage verbessern
  • Forschung intensivieren 

Versorgungssituation aus Sicht freier Träger und Betroffener

Diana Naumann, Bereichsleiterin Eingliederungshilfe für Kinder/Jugendliche mit Behinderung bei SEHstern e.V., sprach über die Versorgungssituation aus Sicht freier Träger und Betroffener. Ihre Themen waren vor allem die unterschiedliche und unterdurchschnittliche Bezahlung der Fachräfte, die es schwer mache, MitarbeiterInnen zu finden, des weiteren die variierenden Modalitäten nach SGB XII in den Bezirken: Es gäbe z.B. keine bezirksweite Leistungbeschreibung und keine einheitlichen Qualitätsstandards. Das mache es für die Träger sehr schwer, bezirksübergreifend zu arbeiten, und für die Betroffenen sei es jedes Mal ein Dilemma, wenn sie innerhalb Berlins von einem Bezirk in einen anderen umzögen. Manche Leistungen seien dann plötzlich nicht mehr möglich. Außerdem sei es den Betroffenen kaum vermittelbar, warum manche Leistungen, die ins SGB XII fallen, zuzahlungspflichtig seien, und jene nach SGB VIII nicht. Und warum manchen Kindern mit Behinderungen keine Jugendhilfeleistungen genehmigt werden würden.

Die Folgen für Träger und Familien fasste Naumann zusammen:

  • Die Qualität der Arbeit kann nicht entsprechend vergütet werden
  • kaum Neueinstellung von qualifiziertem Fachpersonal möglich (Hilfen können nicht ersetzt werden)
  • Personalfluktuation (Beziehungskontinuitiät als Grundlage für gute Förderung leidet)
  • Förderung, Unterstützung der Kinder wird qualitativ schlechter

Bis größere Reformen Übergangslösung gefordert

In einer Podiumsdiskussion stellten sich Sigrid Klebba, Staatssekretärin für Jugend und Familie, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin, Dr. Sandra Obermeyer, Stadträtin für Jugend und Gesundheit, Bezirksamt Lichtenberg, Oliver Schworck, Stadtrat für Jugend, Ordnung, Bürgerdienste, Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, Nils Franke, Leiter Wirtschaftliche Hilfen Jugendhilfe/Eingliederungshilfe, Bezirksamt Pankow und Prof. Dr. Karlheinz Ortmann, Leiter des Instituts für Soziale Gesundheit der KHS, den Fragen aus dem Publikum und legten ihren Standpunkt dar.

Einig war man sich vor allem darin, dass die Informationsweise für Betroffene verbessert werden müsse, besonders die Zugangswege. Es sei schwierig, wenn alle Jugendämter verschiedene Auftritte im Internet hätten, Informationen unterschiedlich aufbereiteten (zum Teil auch schwer verständlich) und es uneinheitliche Regelungen gäbe. "Nicht die Personen müssen wandern, sondern die Akten!" Zusammenfassend wurde vor allem ein Problembewusstsein geschaffen, dass bis zu größeren Reformen ("große Lösung"), eine Übergangslösung geschaffen werden müsse, die vor allem regional in den Bezirken in Gang gebracht wird.

Einschätzungen und Forderungen des Paritätischen Berlin

Andreas Schulz, Referent Jugendhilfe, und Reinald Purmann, Referent Behindertenhilfe, präsentierten am Ende des Fachtages die <link https: www.paritaet-berlin.de fileadmin user_upload dokumente aktuelles versuki_final_pdf.pdf external-link-new-window zu den empfehlungen des paritätischen berlin als>Einschätzungen und Forderungen des Paritätischen Berlin (PDF, 550 KB):

"Unser Verband nimmt sich diesen Fragestellungen in verschiedenen Referaten an, u.a. auch deshalb, da für die Jüngsten in unserer Gesellschaft unterschiedliche Sozialgesetzbücher zuständig sind. So ist die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) geregelt, während Kinder und Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen sich im SGB XII (Sozialhilfe) wiederfinden. Diese Unterschiedlichkeit sorgt für eine Umsetzung in der Praxis, die alle Beteiligten, zuvörderst den jungen Menschen und ihren Familien, aber auch den freien Trägern und den Mitarbeitern beim öffentlichen Träger eine Menge abverlangt: unterschiedliche Bewilligungspraxen und Honorarsätze in den Bezirken, langwierige Diagnoseverfahren und eine praktische Umsetzung, die manche optimale Förderung nicht gewährleisten kann."

Dieser Beitrag erschien im Original (mit zusätzlichem Bildmaterial) auf dem Blog http://www.jugendhilfe-bewegt-berlin.de

Redaktion: Andreas Schulz

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