Jugendpolitik

Die Diakonie Bayern in Sorge wegen der Verkürzung des Zivildienstes

Die Diakonie Bayern teilt die Sorgen anderer Wohlfahrtsverbände wegen der bevorstehenden Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate. „Doch gleichzeitig steckt darin auch die Chance, endlich die eigentlichen Probleme im sozialen Bereich ins Zentrum der politischen Diskussion zu rücken“, gibt Dr. Ludwig Markert, Präsident des Diakonischen Werks Bayern, zu bedenken.

17.11.2009

Als „Add on“ zum Fachkräfteeinsatz bezeichnete Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer bei der Eröffnung der ConSozial in Nürnberg die Mitarbeit von Zivildienstleistenden in sozialen Einrichtungen. Diese sollen nicht Fachkräfte ersetzen, die Sozialunternehmen hätten keinen Anspruch auf diesen Dienst. Eine Verkürzung des Zivildienstes von neun auf sechs Monate sei daher durchaus als eine Herausforderung zu sehen, Jugendliche für Sozialberufe zu begeistern. Als „Add on“ wird in der IT-Branche ein optionales Modul, welches bestehende Hard- oder Software ergänzt, bezeichnet. Bleibt man nun bei dieser Metapher, so ist festzustellen, dass viele Sozialunternehmen Zivildienstleistende ganz und gar nicht als „Add on“ sehen, sondern längst als „Plug-In“, also als Erweiterungsmodul in die Dienstgemeinschaften eingebunden haben.

„Nicht nachvollziehbar“ sind für Rektor Hermann Schoenauer (Diakonie Neuendettelsau), Landesvorsitzenden Dr. Thomas Beyer (AWO) und Diakonie-Präsident Ludwig Markert die Ausführungen der Sozialministerin. „Es gibt keinen Anspruch auf Zivildienst“ hatte diese bei der Eröffnung der ConSozial in Nürnberg betont. Bayernweit leisten aktuell rund 1.000 junge Männer in den sozialen Einrichtungen der Diakonie Zivildienst und auch die AWO beschäftigt derzeit in Bayern über 400 Zivis.

In den letzten 25 Jahren wurde die Zivildienstzeit immer weiter verkürzt von maximal 24 Monaten Dienstzeit bis zum jetzigen Tiefstand, wo ab 2011 nur noch 6 Monate Dienstzeit zu leisten sein werden. Die Verkürzung des Zivildienstes ist auch aus Sicht der Diakonie Bayern insoweit problematisch, als junge Männer dadurch keinen intensiven Einblick in die soziale Arbeit erhalten. „Das schadet dem gesellschaftlichen Klima und womöglich auch der Persönlichkeitsentwicklung einiger junger Männer“, unterstreicht Diakoniepräsident Ludwig Markert.

Zivildienst ist wichtiges Portal für eine Karriere im sozialen Bereich

Rektor Hermann Schoenauer von der Diakonie Neuendettelsau weiß um die Wichtigkeit dieses Dienstes: „Gerade der Zivildienst ist ein Lernfeld für junge Menschen. Viele leitende Mitarbeitende unseres Werks haben als Zivildienstleistende erstmals Einblick in die soziale Arbeit bekommen und nun interessante Karrieren durchlaufen. Leider finden inzwischen immer weniger Zivis diesen Einstieg. Die persönliche Verbundenheit mit der Aufgabe lässt mit schwindender Verweildauer nach.“ Das sei an vielen Beispielen ablesbar, wie Schoenauer illustriert: „Zu Menschen mit Behinderung kann eine gelingende Beziehung in wenigen Wochen kaum mehr aufgebaut werden. In der ambulanten Pflege oder im Fahrdienst wird es noch mehr dazu kommen, dass die Einarbeitungszeit in keiner Relation mehr zur eigentlich selbstständigen Arbeit im Unternehmen steht. Das bindet die Arbeitszeit der Fachkräfte zusätzlich. Aus interessierten, selbstständigen und kreativen Mitarbeitern, werden so junge Menschen, die nur noch einen Job absolvieren.“

Bei einer Verkürzung des Zivildienstes wäre es speziell im Betreuungsdienst äußerst problematisch, Zivildienstleistende einzusetzen, warnt Gisela Heinzeller, Referentin für Zivildienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Die lange Einarbeitungszeit und der ständige Wechsel der Bezugsperson für die Betreuten würde einen Einsatz in diesem Bereich nahezu unmöglich machen.“ Der Paritätische möchte dennoch nicht auf den Zivildienst verzichten. "Brechen Stellen weg, ist das vor allem für kleine Einrichtungen schmerzhaft, in denen der - möglicherweise einzige - Zivildienstleistende eine wichtige Stütze darstellt."

„Paradox“ sei daher die Äußerung Haderthauers, die bekräftigte, dass nach der Kürzung des Zivildienstes auf andere Weise dafür gesorgt werden müsse, dass junge Menschen in den Sozialdienst 'reinschnuppern'. Deshalb müsse das Freiwillige Soziale Jahr besser koordiniert und organisiert werden.

„Der Zivildienst als wichtiges Portal für eine Karriere im sozialen Bereich ist damit nur noch einen Spalt breit geöffnet“ meint Hermann Schoenauer. Und es ist absehbar, dass damit noch weniger junge Menschen diesen Durchgang passieren werden und eine Karriere im sozialen Bereich anstreben.“

Wie die Sozialministerin bescheinigte, gäbe es für das Freiwillige Soziale Jahr jedoch mehr Bewerber als freie Stellen. Schoenauer: „Das Gegenteil ist der Fall! Wir können laufend Bewerber aufnehmen. Gerade in der Altenpflege und in der Behindertenhilfe sind Zivildienstleistende und junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr nicht wegzudenken.“

Sozialunternehmen verlieren Kontakt zu hochqualifizierten Nachwuchskräften

Empathie, Konfliktkompetenz, Kritikkompetenz, intra- und interkulturelle Kompetenz, Menschenkenntnis, Motivierungsvermögen, Networking, Teamfähigkeit und Sensibilität - all diese sozialen Kompetenzen können Zivildienstleistende und FSJler in ihrer Dienstzeit erlangen. Die Vorsitzenden der großen bayerischen Sozialunternehmen aber konkretisieren: „Junge Menschen machen im Zivildienst erste Erfahrungen mit sozialer Arbeit und erhalten eine Chance, in dieser Zeit persönlich zu reifen. Hierfür reichen sechs Monate nicht aus!“ Je mehr Chancen man den jungen Leuten gäbe, diese erlernten Soft Skills zu erproben, umso größer werden die Karrierechancen im sozialen Bereich, sicher aber auch in der Wirtschaft, so die Einschätzung der Experten. Viele Zivildienstleistende unterstützen ihre Organisationen als ehrenamtliche Mitarbeiter viele Jahre weiter.

Pflegekräfte brennen aus

„Eine Verkürzung des Zivildienstes bedeutet für uns als große soziale Träger ein enormes Problem. Selbstverständlich wird die professionelle Arbeit unserer Fachkräfte davon nicht tangiert, aber wir verlieren Kontakt zu hochqualifizierten Nachwuchskräften. Dies wird durch das Freiwillige Soziale Jahr bzw. das Freiwillige Diakonische Jahr nicht aufgefangen, “ sind sich Beyer, Schoenauer und Markert einig.

Um die entstehenden Lücken zu füllen, drängt der Paritätische beispielsweise auf eine Stärkung freiwilliger Dienste. Doch nicht nur Geld soll die Stellen attraktiv machen: „Man müsste Anreize schaffen, zum Beispiel bei der Studienplatz- oder Lehrstellenvergabe“, sagt Heinzeller. Diakoniepräsident Ludwig Markert benennt ein weiteres Problem „Soziale Arbeit wird nicht nur über die Verkürzung des Zivildienstes unattraktiv, sondern vor allem durch die Unterbezahlung der Fachkräfte“.

Ein weiterer gewichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Überlastung des Personals: „Angesichts der Arbeitsverdichtung in der Pflege sind Zivis natürlich eine Entlastung. Aber eigentlich müsste die Kostendeckung so hoch sein, dass ein Personalschlüssel finanzierbar wird, der verhindert, dass die Pflegekräfte nach wenigen Jahren ausbrennen“, fordert der Präsident der bayerischen Diakonie.

Markerts Folgerung: „Wir müssen endlich ohne Ausflüchte und Hintertürchen darüber diskutieren, welche Pflege wir in Zukunft in unserer Gesellschaft haben wollen und wie viel diese Leistung kostet. Das ist nicht nur angesichts der demografischen Entwicklung eine der entscheidenden Debatten für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft. Je früher wir damit beginnen desto besser.“

Quelle: Diakonisches Werk Bayern

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