Jugendpolitik

"Der richtige Mix": Der dritte Europäische Jugendbericht bietet aufschlussreiche Lektüre zur Situation der Jugend und zum Stand der Jugendpolitik in Europa

Die Bilanz des zweiten Arbeitszyklus der EU-Jugendstrategie zeigt: Jugendpolitische Belange liegen quer zu verschiedenen Politikfeldern. Die einzelnen Berichte der Mitgliedstaaten bestätigen darüber hinaus, dass die Strategie eine solide Basis der Jugendpolitik und der jugendpolitischen Kooperation in der EU darstellt.

22.09.2015

Während der Umsetzung der EU-Jugendstrategie wird nach jedem dreijährigen Arbeitszyklus bilanziert. Die Jugendberichterstattung 2015 tut dies für den zweiten Arbeitszyklus 2013–2015 und stellt sich dabei als umfangreiche und interessante Lektüre heraus.

Sie besteht aus zwei Paketen von Arbeitsdokumenten der Europäischen Kommission – ein sechsteiliger Bericht zur Situation der 90 Mio. (!) junger Menschen in der EU und einer zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie mit einer ausführlichen Zusammenfassung der auf nationaler und EU-Ebene getroffenen Maßnahmen – sowie einer in Zusammenarbeit mit dem Rat vorbereiteten Mitteilung der Kommission, in der die wichtigsten Ergebnisse zusammenfasst und Prioritäten für den nächsten Arbeitszyklus vorgeschlagen werden. Grundlage für die Berichterstattung sind Antworten der EU-Länder zu einem Fragekatalog der Kommission, der alle acht strategischen Aktionsbereiche abdeckt, sowie Befragungen junger Menschen in den einzelnen EU-Ländern.

Wer einen Überblick über die Programme und Aktivitäten in Deutschland bekommen möchte, sollte sich dazu den aufschlussreichen Nationalen Fragebogen ansehen.

Zur Situation junger Menschen

Seit 2013, dem Zeitpunkt des letzten Berichts, gibt es zunächst Gutes zu berichten. So wuchs die Rate der jungen Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen zwischen 15 und 29 Jahren von 33,8% auf 37,9%. 82% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen beteiligen sich in sozialen Online-Netzwerken, viele engagieren sich in neuen politischen Partizipationsformen, 50% sind Mitglied in einer Organisation und 25% leisten freiwillige Arbeit.

Für andere junge Menschen allerdings haben sich die Auswirkungen der ökonomischen Krise noch verschärft. Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit geringer Bildung oder gesundheitlichen Problemen bergen eine höhere Wahrscheinlichkeit, zur Gruppe der 13,7 Mio. NEETs (weder in Arbeit noch in Bildungs- oder Ausbildungsmaßnahmen) zu zählen. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind von Arbeitslosigkeit fast 50% mehr betroffen als andere junge Menschen. Dies hat Auswirkungen auf das soziale und politische Leben. Denn diese Jugendlichen finden es auch schwierig, ihren politischen Willen zu artikulieren. Und je weniger sie gebildet sind, desto weniger gehen sie wählen oder beteiligen sich an Freiwilligen- oder Kulturaktivitäten.

So beschreibt der Bericht eine große Schere, die sich durch die Krisensituation weiter geöffnet hat. Die Verhältnisse teilen die jungen Menschen zwischen 15 bis 29 Jahren in die Gruppe derjenigen, die studieren, die sicher sind, einen Job zu finden, die sich im sozialen, politischen oder kulturellen Leben engagieren, und derjenigen, die kaum Hoffnung auf ein erfüllendes Leben haben und denen Ausgrenzung und Marginalisierung droht.

Allround-Politik ist gefordert

Nicht ein einziger Politikbereich, sondern nur mehrere gemeinsam können diese Situation verbessern, appelliert die Kommission. Und sie gibt damit die Begründung, warum sie sich keineswegs mehr nur auf die jugendpolitischen Maßnahmen, abgedeckt durch nationale Programme und europäische wie ERASMUS+ – JUGEND in Aktion bezieht, sondern einen Bogen von arbeitsmarkt- über bildungs- zu jugendpolitischen Maßnahmen schlägt. EU und Mitgliedstaaten müssten die Jugendgarantie, den Europäischen Sozialfonds und den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) nutzen, um Beschäftigung und Wachstum zu fördern und damit auch qualifizierte Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen. Bildungs- und Ausbildungspolitik soll helfen, das Potenzial der Jugendlichen und damit deren sozialen Aufstieg ("soziale Mobilität nach oben") zu ermöglichen. Und Jugendpolitik könne Jugendlichen helfen, "den richtigen Mix" von Fähigkeiten zu erlangen, der für das Leben und die Arbeit vorbereite.

Bei diesem Mix sind wohl auch gesellschaftliche – europäische –Werte mitgedacht, die nach langer Zeit einmal wieder Erwähnung finden. Unter dem Eindruck der Anschläge von Paris und Kopenhagen wird beschworen, dass junge Menschen auf der Basis demokratischer Werte, in integrativen und pluralistischen Gesellschaften, zu Toleranz, Diversität und gegenseitigem Respekt angehalten werden, um Radikalisierung und Gewalt zu verhindern.

EU-Jugendstrategie als Katalysator

Folgerichtig zum politischen Rundumschlag umfasst auch die Bilanz zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie nicht nur jugendpolitische Maßnahmen im engeren Sinn. So werden bildungspolitische Maßnahmen gelobt, z.B. gegen Schulabbruch und für eine höhere Beteiligung an weiterführender Bildung, aber auch die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Validierung nicht formaler und informeller Bildungserfahrungen. Außerdem sollen die mithilfe des ESF vorangetriebenen Modernisierung der Arbeitsverwaltung und die Initiativen für Unternehmensgründungen einen Beitrag leisten. Mittel aus der Young Enterprise Initiative (YEi) konnten dafür eingesetzt werden, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen und Anlaufstellen für NEETs zu verbessern. Inklusion, Citizenship und interkultureller Dialog sind besondere Schwerpunkte im Erasmus+-Programm – neben „Empowerment“ und politischer Partizipation.

Jugendarbeit, die hierzu besonders beiträgt, stehe, so der Bericht, ganz oben auf der EU-Agenda. Entsprechend wird hervorgehoben, dass 80% der Mitgliedstaaten Jugendarbeit und Jugendzentren fördern, 27 Mitgliedstaaten denSstrukturierten Dialog umsetzen und 25 Jugendorganisationen öffentlich fördern. 23 Mitgliedstaaten loben den Arbeitsplan für Jugendarbeit (2014-2015) als förderlich. Das alles kann aber nicht darüber hinwegtrösten, dass gleichzeitig Mittel gekürzt und Jugendliche in prekären Lebenssituationen nur unzureichend erreicht werden. Den jungen Menschen mehr und besser zuzuhören wäre daher sowohl für die Politik als auch für die Kommission eine Herausforderung, wobei sich letztere rühmt, mit dem Jugendportal inzwischen 1,5 Mio. Jugendliche zu erreichen.

Vielversprechende Zwischenbilanz

Die Berichte der Mitgliedstaaten zeigen, dass die EU-Strategie eine solide Basis der Jugendpolitik und der jugendpolitischen Kooperation in der EU darstellt. Fast alle Mitgliedstaaten haben seit 2010 neue jugendpolitische Initiativen und Maßnahmen eingeführt, zwei Drittel setzten neue nationale jugendpolitische Schwerpunkte und bei einem Drittel beeinflusste die EU-Jugendstrategie die lokale und regionale Ebene. 11 Mitgliedstaaten richteten sogar ihre nationale Jugendpolitik neu entlang der europäischen Themen aus. Immer mehr Mitgliedstaaten nutzen außerdem die 41 Indikatoren für die Situation der Jugend bei eigenen Datenerhebungen.

Noch effektiver könnte die Zusammenarbeit nach Ansicht der Kommission sein, wenn die Mitgliedstaaten verstärkt Daten und Erfahrungen austauschen würden. Peer-Learning-Aktivitäten, Expertengruppen, Studien – der nächste Arbeitsplan sollte vorsehen, die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit besser zu sammeln und zu verbreiten. Neben Eurostat, Eurofound und die Partnerschaft von Kommission und Europarat sollen der neue Jugendmonitor und ab 2016 ein „Jugend Wiki“ sowie das Monitoring der Jugendgarantie aktuelle Daten liefern. „Mehr Evidenz“ könne helfen, auch die nationale Jugendpolitik zielorientierter zu gestalten und Jugendbelange in anderen Politikbereichen zu berücksichtigen.

Viel vor bis 2018

Für die Jahr 2016 bis 2018 schlagen Rat und Kommission folgende Schwerpunkte vor:

  • Verbesserung der sozialen Integration aller jungen Menschen, vor allem von NEETs und mit Migrationshintergrund,
  • Verstärkung der Partizipation aller, besonders der marginalisierten jungen Menschen,
  • Erleichterung der Integration in den Arbeitsmarkt für alle jungen Menschen, besonders von Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen im Übergang,

Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollen Maßnahmen ergreifen,

  • um die Beteiligung aller jungen Menschen an sozialen und politischen Aktivitäten zu sichern,
  • um die Kapazitäten der Jugendarbeit, der Jugendorganisationen und Netzwerke zu stärken, die als Integrationskräfte wirken,
  • um die Qualität der Jugendarbeit anzuerkennen und deren Möglichkeiten, auf soziale und technologische Anforderungen zu reagieren, zu erhöhen,
  • um neue Formen der Offline- und Online-Partizipation in demokratischen Prozessen und bei der politischen Entscheidungsfindung zu etablieren,
  • um Citizenship, Medienkompetenz, kritische Urteilsfähigkeit und interkulturelle Verständigung zu fördern,
  • um junge Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Grundrechte wahrzunehmen sowie Nicht-Diskriminierung und interkulturelle Verständigung zu vertreten
  • und um Freiwilligenarbeit, inklusive EFD, sowie die Komplementarität zwischen nationalen und internationalen Akteuren zu fördern.

Es gäbe eine "ultimative, dringende Notwendigkeit, die Bemühungen zu verstärken", so der Bericht, ein "umfassender Ansatz" sei nötig, um die Herausforderungen zu meistern, wo immer möglich müssten nationale und regionale Ressourcen die europäischen Bemühungen ergänzen. In jeder Beziehung sucht man nach dem richtigen Mix.

Der Bericht mit seinen einzelnen Dokumenten und den jeweiligen nationalen Beiträgen ist zu finden unter: <link http: ec.europa.eu youth news _blank external-link-new-window zum stand der>ec.europa.eu/youth/news/2015/0915-eu-youth-report-2015_en.htm.

Quelle: JUGEND für Europa / www.jugendpolitikineuropa.de

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