Eurochild

Armut und Angst prägen Kinder in der Pandemie

#PuttingChildrenFirst: Coverausschnitt des Eurochild-Reports "Growing up in lockdown: Europe’s children in the age of COVID-19"

Junge Menschen sind in der Pandemie extremen Belastungen ausgesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt der umfassende Bericht des europäischen Netzwerks Eurochild für das Jahr 2020. Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche reicht von häuslicher Gewalt bis hin zu mangelnder Bildung. Der aktuelle Bericht liefert zudem Empfehlungen für die einzelnen Mitgliedsstaaten, um junge Menschen und ihre Familien in der Corona-Krise besser schützen zu können.

11.12.2020

Der Bericht basiert auf den Beiträgen von insgesamt 43 Eurochild-Mitgliedern aus insgesamt 25 europäischen Staaten. Sie haben haben in den Monaten August und September 2020 zahlreiche Informationen an Eurochild geschickt. Aus Deutschland hat sich auch in diesem Jahr die Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe - AGJ beteiligt. Der Bericht macht deutlich, dass im Jahr 2020 Kinder auf dem ganzen Kontinent aufgrund der Pandemie zunehmend von Armut bedroht sind, weil ihre Eltern die Familie nicht mehr ausreichend versorgen können. Grund hierfür sind unter anderem Gehaltskürzungen oder Arbeitslosigkeit. Zudem ist in einigen Ländern wie Griechenland, Ungarn, Rumänien und der Slowakei die Zahl der Kinder in alternativer Pflege um bis zu 30 Prozent gestiegen.

„Ich glaube, dass es keine nachhaltige Erholung und Zukunft gibt, ohne unsere Kinder in den Mittelpunkt zu stellen“, machte die Präsidentin von Eurochild Marie-Louise Coleiro Preca deutlich. Somit empfiehlt der Bericht fünf vorrangige Maßnahmen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Dazu gehört die Kinderarmut zu verringern; die Europäische Kindergarantie umzusetzen; Investitionen zu stärken; finanzielle EU-Ressourcen zu nutzen, um bedürftige Kinder zu erreichen sowie Kindern eine Teilnahme an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen.

Raubüberfälle auf Supermärkte

Die Situation der insgesamt 25 Länder wird in dem 160 Seiten starken Bericht jeweils einzeln aufgeführt. In der Zusammenfassung von Eurochild heißt es, dass der Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund der Pandemie viele Familien in Zypern, Dänemark, Finnland, Italien und Slowenien schwer belastet. Insbesondere die Nahrungsmittelarmut verschärfte sich, ein Problem, das im italienischen Bericht deutlich wird, der die Situation in einem Bezirk von Palermo mit einer zunehmenden Anzahl von Raubüberfällen in örtlichen Supermärkten durch Menschen beschreibt, deren Kinder ernsthaft vom Hunger bedroht waren.

Während des Lockdown kam es unweigerlich zu vermehrten Angstzuständen und psychischen Problemen, was in den Ländern Bulgarien, Dänemark, England, Estland, Finnland, Frankreich, Rumänien, Slowenien und Portugal Anlass zur Sorge gab. Der Bericht beschreibt, wie Kinder ohne bisherige Verhaltensprobleme Schlafstörungen haben und zunehmend aggressiv werden. In Lettland wurde festgestellt, dass während des Lockdown keine Gesundheitsdienste für Kinder verfügbar waren, selbst in den schwerwiegendsten Situationen.

Leider führte dieser Druck zu einer Zunahme häuslicher Gewalt, wie aus vielen Ländern berichtet wurde, darunter Bulgarien, Zypern, die Tschechische Republik, Estland Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Portugal und Slowenien.

Hunger wegen fehlender Schulmahlzeit

Schulschließungen verursachten zusätzlichen Stress für Kinder, die den sozialen Kontakt und die Struktur der Schule vermissten. Für Kinder, die bereits in Armut leben, bedeutete dies zudem, dass sie Hunger litten, weil sie nicht mehr an den kostenlosen Schulmahlzeiten teilnehmen konnten. Kinder im schulpflichtigen Alter mussten von ihren Eltern zu Hause unterrichtet werden.

Im Homeschooling verstärkte sich die gesellschaftliche Kluft. Grund hierfür war der unterschiedliche Zugang zu Bildung und digitaler Unterstützung. Viele Eltern hatten in dieser Situation Schwierigkeiten, das Lernen ihrer Kinder zu unterstützen, insbesondere diejenigen mit niedrigem Bildungsniveau. Der größte Teil des Unterrichts wurde online angeboten, während die Schulen geschlossen waren. Aber viele Familien mit niedrigem Einkommen sind nicht mit Computern ausgestattet, und oft verfügen die Eltern nicht über die erforderlichen technischen Fähigkeiten. Die Lehrer mussten sich auch darauf einstellen, Online-Unterricht zu erteilen, und ihre eigenen technischen Fähigkeiten und die Unterstützung, die sie erhielten, waren sehr unterschiedlich.

Schulen waren nicht vorbereitet

Laut Lettland waren die Schulen einfach nicht auf Fernunterricht vorbereitet, während in Rumänien 32 Prozent der Kinder keinen Zugang zum Online-Unterricht hatten. Slowenien und Spanien berichteten von ähnlichen Problemen. Die Arbeit von Organisationen der Zivilgesellschaft (CSOs), die Kinder in gefährdeten Situationen unterstützen, wurde schwieriger.

Wie der Bericht von Eurochild (PDF, 15.3 MB) hervorhebt, behinderte der Lockdown die Möglichkeit von Fachleuten, Kinder in den am stärksten gefährdeten Situationen zu erreichen. Gleichzeitig sahen sich CSOs häufig mit reduzierten Finanzmitteln konfrontiert, während der Bedarf an ihren Dienstleistungen zunahm. Zypern, die Tschechische Republik, Dänemark, Lettland, Frankreich, Italien und Spanien waren unter den Ländern, die Probleme dieser Art erwähnten.

Fahrplan für künftige Krisen entwickeln

Für Deutschland lauteten die Empfehlungen, um die Situation von Kindern, Jugendlichen und Familien während der Pandemie zu verbessern, unter anderem von der AGJ konkret: Die Regierung sollte in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft einen Fahrplan für bevorstehende weitere Wellen der aktuellen Pandemie und für künftige Krisen entwickeln. Es sollten auch Unterstützungsdienste für Kinder und Familien im Falle eines erneuten Lockdown eingerichtet werden. Kinder und Jugendliche sollten an politischen Prozessen in Krisenzeiten beteiligt werden. Es sollte NRO ermöglicht werden, ihre Dienste für alle Kinder und Jugendlichen anzubieten. Zudem sollten die Fachkräfte mit angemessenen Schutzmaßnahmen und größerer Flexibilität bei der Bereitstellung von Diensten unterstützt werden.

Die länderspezifische Empfehlung besagt, dass Deutschland in digitale Kompetenzen und eine digitale Infrastruktur investieren sollte. Die AGJ unterstützt diese Aussage und betont, dass Deutschland mehr in gleiche Lebensbedingungen in ländlichen und städtischen Gebieten investieren muss. Die „digitale Kluft“ muss angegangen werden. Darüber hinaus müssen die digitalen Fähigkeiten der jungen Generation sowie der Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, verbessert werden, was weitere finanzielle Unterstützung erforderlich macht.

Quelle: Eurochild vom 17.11.2020

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