Bildungspolitik

DGB-Expertise erklärt Bildungsrepublik zur Fata Morgana

Fast drei Jahre nach dem Dresdner Bildungsgipfel ziehen DGB, ver.di und GEW eine ernüchternde Bilanz. Ob bei den zusätzlichen Milliarden für das Bildungswesen, dem Ausbau der Krippenplätze oder dem Senken der Zahl der jungen Menschen ohne Schulabschluss und ohne abgeschlossene Ausbildung – die Fortschritte seien kaum messbar.

19.10.2011

„Bund und Länder setzen ihre Bildungsgipfelversprechen nur schleppend um. Gleichzeitig greifen viele Bundesländer bei Kitas, Schulen und Hochschulen zum Rotstift. Die Bildungsrepublik wird so zur Fata Morgana“, erklärte Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende, mit Blick auf die am Mittwoch in Berlin vorgestellte „<link http: www.jugendhilfeportal.de db2 materialien eintrag drei-jahre-nach-dem-bildungsgipfel-eine-bilanz external-link-new-window external link in new>Bildungsgipfel-Bilanz“, die der Essener Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm im Auftrag des DGB erarbeitet hat.

Ziele
Vor drei Jahren, im Oktober 2008, hatten Bund und Länder auf dem Dresdner Bildungsgipfel gemeinsam bildungspolitische Ziele verkündet, die erreicht werden sollten. Damals wurde insbesondere vereinbart:

  • eine  Steigerung der Bildungsausgaben auf 10% des Bruttoinlandsprodukts (BIP),
  • bis 2013 ein Ausbau der Kindertagesbetreuung für 35% aller unter dreijährigen Kinder,
  • eine Halbierung der Quote der Schulabgänger ohne Schulabschluss von damals 8% auf 4%,
  • eine Halbierung der Quote junger Erwachsener ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung von damals 17% auf 8,5%,
  • eine Erhöhung der Quote der Studienanfänger auf 40% eines Altersjahrgangs,
  • eine Steigerung der Weiterbildungsbeteiligungsquote von 43% auf 50% der Erwerbsbevölkerung.

Bilanz
<link http: www.jugendhilfeportal.de db2 materialien eintrag drei-jahre-nach-dem-bildungsgipfel-eine-bilanz external-link-new-window external link in new>Cover der PublikationLaut Analyse des Bildungsforschers Klemm liegt bei den Bildungsausgaben das 10%-Ziel in weiter Ferne. Zwar scheine man sich diesem Ziel auf den ersten Blick im Jahr 2009 genähert zu haben. Berücksichtige man allerdings die Tatsache, dass die Bezugsgröße, das Bruttoinlandsprodukt, durch die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 deutlich geschrumpft sei und dass zugleich im damaligen Konjunkturpaket II Bildungsausgaben zeitlich befristet gesteigert wurden, so bleibe von 2008 nach 2009 nur noch eine Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 8,6 auf 8,7%.
Beim Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen sei Deutschland im Betreuungsjahr 2009/10 mit einem Platzangebot von 23% noch weit hinter dem für 2013 angesteuertem Ziel von 35% zurück, wie Klemm konstatiert. Insgesamt fehlten noch 273.000 Plätze. Eine Deckung des durch den Ausbau entstehenden Personalbedarfs sei nicht in Sicht. Allein bis 2013 würde bundesweit in den Kindertageseinrichtungen etwa 8.800 und in der Kindertagespflege etwa 32.400 Personen fehlen.
Die angestrebte Halbierung der Quote der Absolventen allgemein bildender Schulen ohne Hauptschulabschluss ist laut Klemm nicht einmal ansatzweise erkennbar. In den Jahren von 2000 bis 2009 sei diese Quote um gerade einmal 2,4 Prozentpunkte gesunken – von 9,4 auf 7,0 Prozent.
Auch die gleichfalls angestrebte Halbierung der Quote junger Erwachsener, die keinen Berufsabschluss erwerben, sei nicht in Sicht: Für das zurückligende Jahr 2010 weist die Analyse eine gleichgebliebene Quote von nach wie vor 17,2% aus.
Einzig das Ziel der Anhebung der Quote der Studienanfänger auf 40% sei inzwischen mit 46,0% (2010) übertroffen worden: 2010 nahmen demnach 442.600 ein Studium auf. Allerdings mache diese Entwicklung deutlich, dass die die Nachfrage nach Studienplätzen im Zuge der Ausbauplanung der Hochschulen, wie sie im Hochschulpakt vereinbart wurde, erheblich unterschätzt worden sei.
In Bezug auf die Weiterbildungsquote verweist die Analyse auf eine mangelhafte statistische Grundlage, aufgrund derer sich dieser Punkt einer Beurteilbarkeit entziehe.
 
Starke Chancenungleichheit zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte 
Unter Berücksichtigung migrationsspezifischer Ausprägungen offenbart der Blick auf die im Dresdner Gipfel fokussierten Handlungsfelder laut der Untersuchung von Prof. Klaus Klemm ein hohes Maß an Ungleichheit:

  • 2010 hatten 27,7% der unter dreijährigen Kinder ohne Migrationshintergrund einen Krippenplatz; bei den Kindern mit Migrationsgeschichte waren dies nur 12,2%.
  • Während 6,5% der jungen Deutschen 2009 die Schulen ohne einen Hauptschulabschluss verließen, waren dies bei ausländischen Jugendlichen 14,0% (diese Daten beziehen sich auf die Staatsbürgerschaft, da die Migrationsgeschichte für diese Gruppe bisher nicht erhoben wurde).
  • Auch bei den jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss findet sich dieser Chancenunterschied: Bei denen ohne Migrationshintergrund haben 12,9% keinen Berufsabschluss, bei denen mit einer Migrationsgeschichte sind dies 30,7% (2008).

„Eine verfehlte Steuerpolitik entzieht den öffentlichen Haushalten die Handlungsspielräume, auch für Investitionen in Bildung. Gerechte Steuerpolitik geht anders, allein eine Vermögensteuer von nur einem Prozent würde dem Staat 20 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen bringen. Bildung hat ihren Preis, aber sie ist diesen Preis auch wert“, erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske im Rahmen der Vorstellung der Bildungsgipfel-Bilanz.
 
Der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne forderte, die öffentlichen Bildungsangebote auszubauen und ihre Qualität zu verbessern. "Es ist Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen endlich gemeinsam verbindlich zu regeln, dass deutlich mehr Geld aus öffentlichen Kassen in öffentliche Bildungseinrichtungen und in alle Bildungsbereiche investiert wird. Sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bleiben das Ziel, der Ausbau der frühkindlichen Bildung, flächendeckende Ganztagsangebote, die soziale Öffnung der Hochschulen und eine deutlich verbesserte Situation in der Weiterbildung die Aufgabe“, betonte Thöne.
 
„Die Länder alleine sind mit der Finanzierung eines zukunftsfähigen Bildungswesens schlicht überfordert. Dieser Trend wird sich durch die Schuldenbremse noch verschärfen. Doch ausgerechnet nach der Föderalismus-Reform bleibt der potenteste Geldgeber auf seinen Mitteln sitzen - der Bund. Deshalb muss das Kooperationsverbot abgeschafft werden", sagte Ingrid Sehrbrock.

Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund

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