Bildungspolitik

Bildungsgewerkschaft zur OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2012“

Als ein „Armutszeugnis für die Bildungspolitik in Deutschland und Alarmsignal“ hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine der Kernaussagen der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2012“ gewertet: Laut der Untersuchung haben 22 Prozent der 25 bis 34jährigen Erwerbstätigen einen niedrigeren Abschluss als ihre Eltern – und nur 20 Prozent einen höheren.

11.09.2012

„Offenbar stagniert das Bildungsniveau in Deutschland. Dabei öffnet sich die Schere zwischen höher und schlechter qualifizierten Menschen immer weiter. Deutschland hat sich damit vom allgemeinen Trend zu formal höheren Abschlüssen in den OECD-Staaten signifikant abgekoppelt“, sagte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne.

Grund dafür sei, dass die Bildungsmobilität durch eine Fehlsteuerung von Mitteln eingeschränkt werde. So würde etwa das Geld für BAföG reduziert und stattdessen ein Stipendiensystem nach dem Lostopf-Prinzip aufgebaut. Die Mittel für die immens wichtigen Sprachförderprogramme seien für Hartz-IV-Maßnahmen verbraucht worden, der Rest werde in lokale Bündnisse für kulturelle Bildung geleitet.

Er wies darauf hin, dass seit vielen Jahren gut 20 Prozent der Menschen eines Jahrgangs die Schulen verließen, ohne ausreichend lesen, schreiben und rechnen zu können. „Fast 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal ersten Ranges. Diesen jungen Männern und Frauen werden Berufs- und Lebenschancen vorenthalten, ihre Potenziale bleiben ungenutzt. Deutschland muss Bildung von Anfang an und aus einem Guss anbieten, um diese Entwicklung umzukehren. Dazu gehören der Ausbau der frühkindlichen Bildung sowie mehr inklusive Ganztagsschulen“, unterstrich Thöne. Dafür müsse die öffentliche Hand deutlich mehr Gelder als in der Vergangenheit bereitstellen. Die Studie belege zum wiederholten Male, dass die Ausgaben der Bundesrepublik für den Bildungsbereich weit unter dem OECD-Schnitt liegen. „Dabei sind die vorgelegten Zahlen wegen der konjunkturellen Entwicklung noch geschönt. Deutschland tritt bei den Bildungsausgaben auf der Stelle. Bildung ist ein Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Staat ist in der Pflicht, für ein qualitativ gutes, für alle Menschen erreichbares Angebot zu sorgen“, betonte der GEW-Vorsitzende.

Die Studie belege, dass Lehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe I weniger verdienten, als vergleichbare Akademiker. Hier bestehe Nachholbedarf. Bei internationalen Vergleichen müsse stets beachtet werden, dass beispielsweise die Lebenshaltungskosten in Deutschland deutlich höher als in den meisten anderen OECD-Ländern sind. Thöne hob weiterhin hervor: „Der Durchschnittsverdienst weist auf ein ernst zu nehmendes Problem hin: Fast 50 Prozent der Lehrkräfte an Schulen sind 50 Jahre und älter.“ Daraus erklärten sich höhere Durchschnittseinkommen, weil der Verdienst mit dem Alter steigt. Es gäbe weitere Gründe für die mangelnde Vergleichbarkeit: So läge die Arbeitszeit deutscher Lehrkräfte klar über dem OECD-Mittel. Hinzu komme, dass - im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten - die Ausbildung zum Lehrer in Deutschland wegen des Referendariats deutlich länger sei. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass in vielen anderen Ländern Leistungen der Lehrkräfte wie Prüfungen, Elternarbeit oder Klassenfahrten zusätzlich entlohnt werden, dies jedoch nicht in die OECD-Berechnung der Durchschnittslöhne einfließt. „Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Lehrkräfte müssen verbessert werden, um den Beruf attraktiver zu machen. Schon heute fehlen tausende voll qualifizierte Lehrkräfte an den Schulen. Der Bedarf wird in den nächsten Jahren, wenn die Pensionierungswelle voll weiter rollt, noch größer“, sagte der GEW-Vorsitzende.

Er wies ausdrücklich auf die Grenzen der OECD-Studie hin: „Bildung ist mehr als eine Zugangsvoraussetzung zum Arbeitsmarkt. Die OECD muss ihren Blick weitaus stärker darauf richten, dass Bildung ein Menschenrecht ist. Nur mit guter Bildung haben die Menschen eine Chance auf soziale, politische und wirtschaftliche Teilhabe.“ Die Perspektive der OECD sei zu sehr darauf gerichtet, wie die Fähig- und Fertigkeiten der Menschen ökonomisch verwertet werden können. „Wir brauchen Chancengleichheit und Perspektiven für alle: Kinder, Jugendliche und Erwachsene jeden Alters. Die Frage, welchen Anspruch auf Bildung und Teilhabe beispielsweise Hartz-IV-Empfänger haben, ließe sich auf Grundlage der Annahmen der OECD gar nicht beantworten“, unterstrich Thöne.

Quelle: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vom 11.09.2012

Redaktion: Kerstin Boller

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