Kindertagesbetreuung

Interview: "Wir müssen die KiTa-Qualität zum Thema machen"

Nach dem massiven quantitativen Ausbau der KiTas in Deutschland rücken zunehmend auch Fragen der Qualität in den Fokus. Antworten gab auf dem Kongress "Bewegte Kindheit" Prof. Dr. Wolfgang Tietze von der Freien Universität Berlin.

23.03.2015

Grundsätzlich schickte Prof. Dr. Wolfgang Tietze der Qualitätsfrage voraus, dass sich bildungsökonomische Investitionen in der frühen Kindheit am meisten auszahlen. Kinder, die eine qualitativ gute KiTa besuchen, hätten bis zu einem Jahr Entwicklungsvorsprung vor anderen Kindern und die positiven Effekte zeigten sich in verschiedenen Studien über die Schullaufbahn bis hin zur späteren Berufstätigkeit und der Höhe des Einkommens.

Allerdings habe die von ihm geleitete "NUBBEK"-Studie erwiesen, dass rund zwei Drittel der deutschen KiTas im Bereich der mittleren Qualität lägen und rund 10 Prozent nur im unzureichenden Bereich. Seit den 1990er Jahren habe sich die Qualität in den KiTas somit nicht verbessert. Verantwortlich machte Tietze dafür auch nicht nachhaltige politische Reformprozesse. So sei die Einführung von 16 verschiedenen Bildungs- und Orientierungsplänen nach dem Top-Down-Prinzip und ohne begleitende Qualifizierungsmaßnahmen für ErzieherInnen "in den meisten Bundesländern ohne Effekte geblieben".

Im Interview mit Karsten Herrmann erläutert Prof. Dr. Wolfgang Tietze die entscheidenden Faktoren für eine Qualitätsverbesserung in deutschen KiTas und plädiert dabei für einen ganzheitlichen pädagogischen Ansatz sowie verbindliche Qualitätsstandards.

Herr Professor Tietze, kommt nach der Quantität jetzt die Qualität in die deutsche KiTa-Landschaft?

Zunächst einmal möchte ich die gewaltigen Anstrengungen beim Ausbau der Krippenplätze würdigen. Der hatte in den letzten Jahren aufgrund des eingeführten Rechtsanspruches verständlicherweise oberste Priorität. Die Verbesserung der Qualität wird aber in den nächsten zehn Jahren einen ähnlichen Kraftakt mit ähnlichen Ressourcen erfordern. Wir müssen die Qualität zum zentralen gesellschaftlichen Thema machen.

Was sind die entscheidenden Dimensionen der Qualitätsverbesserung?

Wir müssen verschiedene Qualitätsdimensionen unterscheiden. Zunächst einmal ist da die Strukturqualität mit 'harten' Faktoren wie Ausbildung des Personals, der Personalschlüssel, Vor- und Nachbereitungszeiten usw. Zweitens gibt es die Orientierungsqualität hinter der sich die pädagogische Konzeption, sozusagen das mentale Gerüst einer KiTa verbirgt – also  ihr Bild vom Kind oder auch die Partizipation von Eltern. Drittens gibt es die Qualität der pädagogischen Prozesse: Wie ist der Umgang mit dem Kind? Welche Anregungen bekommen Kinder in sozialer, motorischer oder kognitiver Hinsicht, wie läuft also der pädagogische Alltag. Hier spielt die Interaktionsqualität zwischen Erzieherin und Kind einen Schlüsselrolle: Wie setze ich beispielsweise Sprache ein, wie rege ich Kommunikation an und erweitere die Kommunikationsmöglichkeiten des Kindes?

Eine weitere Dimension, die immer stärker in den Fokus rückt,  ist die Qualität des Familienbezugs. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass nach wie vor die Familie den größten Einfluss auf die Bildung des Kindes hat. Viele KiTas reagieren hierauf schon und beziehen verstärkt das familiäre Umfeld mit ein und nutzen und fördern den Bildungseinfluss von Eltern auf ihre Kinder. Hier machen sich viele Bundesländer, Landkreise, Städte oder auch einzelne KiTas auch schon auf den viel versprechenden Weg zu Familienzentren oder "Eltern-Kind-Zentren".

Kann unter den vorhandenen Rahmenbedingungen Qualität verbessert werden?

Natürlich brauchen wir perspektivisch weitaus bessere Rahmenbedingungen. Eine entscheidende Variabel ist hier der Personalschlüssel, der ja auch im Hinblick auf den Zeit-Faktor viel mit der Interaktionsqualität zu tun hat. Aber die Rahmenbedingungen dürfen nicht als Ausrede gelten. Es gibt KiTas, die Spielräume und Ressourcen zur Qualitätsverbesserung tatsächlich ausnutzen und andere tun das nicht hinreichend. Stichworte sind hier kluge pädagogische Konzeptionen, Einrichtungs- und Zeitmanagement oder Personalentwicklung. Dringend in den Blick zu nehmen ist auch die Frage der Fortbildung: Wenn wir in der KiTa tatsächlich etwas verändern wollen, müssen wir das ganze Team in Form einer Inhouse-Schulung fortbilden, sonst werfen wir nur einen Stein ins Wasser, dessen Wellen schnellen verebben. Eine noch nicht ausreichend genutzte und geförderte Ressource sind auch die Peer-Interaktionen in der KiTa, denn Kinder können unglaublich viel von- und miteinander lernen.

In die Kitas ziehen immer mehr Programme und Fachdidaktiken ein – von früher naturwissenschaftlicher Bildung über Kunst und Musik bis hin zur Bewegung. Bringt das eine Qualitätsverbesserung?

Ich halte es durchaus für richtig, bestimmte Impulse zu setzen. Aber ich warne vor einem reinen Funktionstraining und die Auflösung des Kindes in einen psychologischen Apparat mit verschiedenen Bereichen. Kurzfristig kann das Effekte haben, aber das verebbt. Das beste Beispiel sind da die isolierten und mit hohen Ressourcen durchgeführten Sprachfördermaßnahmen, die nach allen bisherigen Erkenntnissen so gut wie keine langfristigen Erfolge gehabt haben. Wir dürfen also  nicht zu einer "Package-Pädagogik" kommen, die aus verschiedenen Paketen besteht, für die es jeweils Spezialisten gibt und die damit auch Verantwortung von den ErzieherInnen abzieht. Methoden, die im Alltag eingebettet sind, am Interesse des Kindes ansetzen und das Kind in den Mittelpunkt stellen, sind da weitaus wirksamer.

Brauchen wir bundesweit einheitliche Qualitätsstandards, Stichwort "Bundes-Qualitätsgesetz"?

Ich bin mir nicht sicher ob ein Bundesqualitätsgesetz wirklich ein Fortschritt wäre, denn ich fürchte, dass man sich nicht wirklich auf hohe und gute Standards, sondern eher auf den kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner einigen wird. Aber was wir brauchen, ist fraglos eine fachliche Verständigung über Standards und über das, was gute Qualität in den verschiedenen pädagogischen Bereichen ausmacht – unabhängig von einzelnen KiTa-Konzepten, Träger-Philosophien oder Bildungsplänen. Dafür haben wir beispielsweise den "Nationalen Kriterienkatalog" entwickelt. Desweiteren brauchen wir ein systematisches Qualitätsmonitoring in den Kitas, um die Qualität konsequent überprüfen und weiter entwickeln zu können.

Quelle: Niedersächsisches Institut für frühkindlich Bildung und Entwicklung vom 23.03.2015

Redaktion: Kerstin Boller

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