Kindertagesbetreuung

Erstspracherwerb: Welchen Beitrag leisten digitale Medien?

Die digitalisierte Welt der Kinder wird mehr und mehr zum Thema in Kindertagesstätten. Auch in der alltagsintegrierten Sprachförderung werden digitale Medien eingesetzt. Doch inwiefern können kindgerechte Apps zur Förderung des Spracherwerbs beitragen? Welche Potenziale bringen digitale Medien für die pädagogische Arbeit in der Kita mit sich? Mit diesen Fragestellungen haben sich Studierende der TH Köln beschäftigt.

09.05.2018

Der alltägliche und direkte Kontakt von Kindern mit digitalen Medien wird von vielen Eltern und pädagogischen Fachkräften noch immer kritisch betrachtet. Häufig geht es vor allem darum, Kinder – durch Verbote der Mediennutzung – vor möglichen negativen Folgen der Mediennutzung zu schützen. Diese Sorge lenkt von den Potenzialen beispielsweise im Bereich der Sprachförderung ab, welche die Wissenschaft in der Nutzung von digitalen Medien sieht (vgl. Sälzer 2017, 72ff.).

Kindgerechte Apps setzen an diesen Potenzialen an und bieten neue Möglichkeiten im Sprachbildungsprozess. Beispielsweise können Bilderbuch-Apps in der Kita zum Einsatz kommen. Mit diesen können Kinder sich Geschichten nicht nur ansehen, sondern auch von den Apps vorlesen lassen. Beide Funktionen können zur Sprachförderung beitragen und eine Ergänzung im kindlichen Sprachbildungsprozess darstellen. Ein weiterer Vorteil der Bilderbuch-Apps besteht in ihrer niedrigschwelligen Konzeption. Auch ohne pädagogische Unterstützung können Kinder die Apps recht schnell eigenständig nutzen, indem sie zum Beispiel eigene Geschichten einsprechen.

Potenziale von Bilderbuch-Apps zur spielerischen Aneignung von Sprache

Bilderbuch-Apps zeugen von einem hohen Unterhaltungscharakter für Kinder und stellen, da sie auf einem Tablet genutzt werden, eine attraktive Beschäftigung dar. Den Kindern wird durch die Nutzung des Tablets ein spielerischer Zugang zur Sprache ermöglicht, welcher ihnen Spaß bereitet und somit zu einer vermehrten Nutzung der Apps führt (vgl. JFF 2010, 10). Mit ansteigender Nutzung bieten Bilderbuch-Apps das Potenzial, die Sprachentwicklung insgesamt positiv zu beeinflussen, da verschiedene Sinneskanäle angesprochen werden. Bei der Nutzung der Vorlesefunktion ist die Konzentration auf den auditiven Sinneskanal gelegt. Der Verstehensprozess läuft sprachbasiert ab, wodurch der aktive und passive Wortschatz erweitert wird (vgl. Schiffer/Ennemoser/Schneider 2002, 284). Die Möglichkeit eine eigene Geschichte einzusprechen, schult zudem das phonologische Bewusstsein. Die Beschäftigung mit Bilderbuch-Apps weckt das generelle Interesse an der Sprache, wodurch sich die Kinder an die Komplexität der Sprache annähern und ihre Sprachkenntnisse vertiefen. Die Nutzung eines Tablets erfolgt darüber hinaus nicht rein rezeptiv, sondern erfordert eine Aktion durch die Kinder. Die Kombination aus der motorischen Handlung und der Konzent-ration auf die verschiedenen Sinneskanäle, fördert den kindlichen Sprachbildungsprozess.

Medienerlebnisse spielerisch erfahrbar machen

Digitale Medien bieten das Potenzial, die Sprachentwicklung der Kinder positiv zu beeinflussen. Die Wirkungsfähigkeit kann ausgeschöpft werden, wenn Fachkräfte den Kindern Zeit zum freien Spielen ermöglichen. Denn insbesondere im Spiel verarbeiten Kinder ihre Erlebnisse mit digitalen Medien sowohl kognitiv als auch emotional. Fachkräfte können anhand des Spiels von Kindern zudem erkennen, mit welchen Themen sie sich gerade beschäftigen. Spielerfahrungen mit allen Sinnen stehen in Kitas daher an erster Stelle. Digitale Medien können hier eine Ergänzung darstellen und den Kindern eine Unterstützung zum Begreifen der Welt bieten. Dies bedeutet aber auch, dass Sprachförderung nicht allein durch den Einsatz digitaler Medien gelingt. Vielmehr geht es darum, dass Fachkräfte den Einsatz digitaler Medien in der Sprachförderung durch aufmerksamkeitslenkende Interventionen zu unterstützen (vgl. JFF 2010, 15). Dieser Aufgabe gehen Fachkräfte nach, indem sie die Erlebnisverarbeitung der Kinder durch direkte Zuwendung im Spiel oder durch Gespräche über das Erlebte begleiten.

Eine Form der Erlebnisverarbeitung von Kindern liefert beispielsweise das Rollenspiel. In einer digitalen Geschichte haben Kinder beispielsweise die Unterscheidung zwischen ‚voll‘ und ‚leer‘ kennengelernt und können sich in einem anschließenden Experiment aktiv mit der Information auseinandersetzen. Fachkräfte können die Verarbeitung unterstützen, indem sie ein leeres und volles Gefäß in das Rollenspiel einbringen und Umfüllprozesse initiieren.

Lernvoraussetzungen für den Umgang mit digitalen Medien

Mit dem Zitat „Kinder sind keine Erwachsenen, und Kinder sind nicht gleich Kinder weist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung darauf hin, dass die Voraussetzungen von Kindern für die medienpädagogische Arbeit sehr unterschiedlich sein können. Beim Einsatz von Bilderbuch-Apps in der pädagogischen Arbeit sollte daher nicht nur auf ausreichend Zeit und Raum zur Verarbeitung der Medienerlebnisse geachtet werden, sondern auch die unter-schiedlichen Lernvoraussetzungen der Kinder dabei berücksichtigt werden. Diese sind abhängig von den sozialen und kognitiven Bedingungen, den Medienerfahrungen und dem Medienverständnis. So sind Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren sozial und kognitiv fähig, ihre Eindrücke offen zu äußern und ihre Gefühle mitzuteilen. Um einer Überforderung vorzubeugen, ist in der medienpädagogischen Arbeit allerdings weiterhin darauf zu achten, dass nicht zu viele Reize gleichzeitig auf die Kinder einwirken. Die Medienpädagog(inn)en sind darüber hinaus aufgefordert, die alltäglichen Medienerfahrungen von Kindern aufzugreifen – so auch ihre App-Favoriten. Erst in der Auseinandersetzung mit digitalen Medien und Programmen entwickelt sich ein Medienverständnis, das Kinder darin befähigt, zunehmend eigenständiger mit Medien umzugehen (vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2009a, 15).

Für die praktische Medienarbeit in Kitas wird empfohlen, das Medienangebot und die Medientechnik auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen von Kindern abzustimmen. Altersgerechte Medienangebote und Medientechnik sind hierbei von Bedeutung und ermöglichen den Kindern, eigenständig zu agieren (vgl. JFF 2010, 9f.).

Vorlese-Kino: Eine Anregung für den Kita-Alltag

Bilderbuch-Apps ermöglichen Kindern, ihre täglichen Erlebnisse in eigene Geschichten einzubauen und zu verarbeiten. In der interaktiven Auseinandersetzung mit den Apps lernen die Kinder ganz nebenbei, wie diese aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Für Projekte oder größere Gruppen können die Bilderbuch-Apps über ein Tablet mit einem Beamer verbunden und an die Wand projiziert werden. Zuvor eingesprochene Geschichten können von den Kin-dern vorgestellt werden – eine Art Vorlese-Kino entsteht. Angebote dieser Art schulen die Sprachbildung, Kommunikation und den Umgang mit digitalen Medien.

Medienpädagogische Hilfestellungen für Fachkräfte

Die Medienpädagogik liefert diverse Beispiele, wie Apps zur Sprachförderung in Kitas ge-nutzt werden können. Anregungen stehen z.B. auf der Website von SIN – Studio im Netz e.V. zur Verfügung. Interessierte finden dort Materialien, wie beispielsweise Broschüren zum Einsatz von digitalen Medien im Spracherwerb oder Bewertungen von Bilderbuch-Apps bereit. Fachkräfte erhalten dort weitere Informationen dazu, wie Medienerlebnisse gemeinsam mit Kindern bearbeitet werden und sie damit im Umgang mit Medien gestärkt werden können. Das SIN betont die Chance medialer Sprachförderung und möchte Fachkräfte zum Einsatz digitaler Medien im pädagogischen Alltag ermutigen.

Autorinnen: Sarah Est, Delia Tebbe, Jeanine Trüün

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Köln im  Studiengang Pädagogik und Management in der Sozialen Arbeit (Master) entstanden. Die Studierenden haben sich über ein Semester mit den Herausforderungen der Digitalisierung für die Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt und fassen ihre Ergebnisse in verschiedenen Beiträgen auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe zusammen.

Literatur

–Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2009): Gut hinsehen und zuhören! Tipps für Eltern zum Thema „Mediennutzung in der Familie“. Köln.
–Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2009a): Gut hinsehen und zuhören! Ein Ratgeber für pädagogische Fachkräfte. Köln.
–JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis München; Medienzentrum Parabol Nürnberg (2010): Sprachförderliche Potenziale der Medienarbeit in Kindertagesstätten.
–Landeshauptstadt München Referat für Bildung und Sport: Tablets im Einsatz. Medienpädagogische Praxis-Interpretationen aus dem Projekt ,,Multimedia-Landschaften für Kinder‘‘, Unter Mitarbeit von SIN Studio im Netz, KITA: https://www.studioimnetz.de/wp-content/uploads/2015/07/Tablets-im-Einsatz-Broschuere-2015.pdf
–Niebuhr, Sandra/Ritterfeld, Ute (2003): Die Förderung von Lesefertigkeiten beginnt vor dem Schuleintritt! In: Hurrelmann, B./Becker, S. (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim.
–Schiffer, Kathrin/Ennemoser, Marco/Schneider, Wolfgang (2002): Mediennutzung von Kindern und Zusammenhänge mit der Entwicklung von Sprach- und Lesekompetenz. In: Groeben, N./Hurrelmann, B. (Hrsg.): Medienkompetenz. Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim.
–Sälzer, Heike (2017): Digitale Medienbildung in der frühen Kindheit. Mediennutzungsverhalten in Berliner Kindertagesstädten. In: Demmler, Kathrin / Schorb, Bernd: Merz. Zeitschrift für Medienpädagogik. Heft 3. S. 72-77.

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