Kindertagesbetreuung
Ein Ort für alle? Neues Forschungsprojekt untersucht soziale Ungleichheit in Kitas
Kinder aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen treffen in Kitas oft nicht aufeinander. Die Unterschiede in der Verteilung sind jedoch nicht nur auf die Nähe einer Kita zum Wohnort zurückzuführen. Der Zugang zu bestimmten Kitas ist also nicht für alle Kinder gleich. Warum dies so ist, erforschen Erziehungswissenschaftler/-innen der Universitäten Halle-Wittenberg und Münster in einem neuen Forschungsprojekt.
09.07.2019
Jedes Jahr sind Eltern auf der Suche nach der idealen Kindertageseinrichtung für ihre Kinder. In Deutschland hat auch jedes Kind den gleichen Anspruch auf einen Kitaplatz – unabhängig von seiner Herkunft, Religion oder dem Einkommen der Eltern. Ein Blick auf die Zusammensetzungen der meisten Kitas zeigt aber: Häufig bleiben Kinder aus bestimmten Bevölkerungsgruppen unter sich. Warum das so ist, untersucht ein Team von Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert ihre Arbeit mit rund 380.000 Euro.
Kinder aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen treffen oft nicht aufeinander
„Soziale und kulturelle Durchmischung haben in unserer Gesellschaft einen hohen Wert. Kinder sollten so früh wie möglich ein von Diversität geprägtes Umfeld kennenlernen“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Johanna Mierendorff von der MLU. Allerdings würden dieses Ideal und die Realität mitunter weit auseinanderklaffen: So hat etwa jedes vierte Kind in Deutschland einen Migrationshintergrund und etwa jedes fünfte Kind bis zum sechsten Lebensjahr lebt in einem von Armut betroffenen Haushalt. In Kitas variiert der Anteil dieser Bevölkerungsgruppen aber zwischen 0 und 100 Prozent. Dies bedeutet auch, dass Kinder aus wohlhabenden Familien oft kaum in Kontakt kommen mit anderen als ihresgleichen.
Zugang zu bestimmten Kitas ist nicht für alle Kinder gleich
„Die Unterschiede in der Verteilung sind nicht auf die bloße Nähe einer Kita zum Wohnort zurückzuführen. Das zeigt: Der Zugang zu bestimmten Kitas ist nicht für alle Kinder gleich“, sagt PD Dr. Nina Hogrebe von der WWU. Die soziale Spaltung der Gesellschaft beginne deshalb deutlich früher als weithin angenommen und nicht erst mit der Wahl der weiterführenden Schule am Ende der Grundschulzeit. „Viele Eltern stehen unter einem enormen Druck, eine möglichst gute Kita für ihre Kinder auszusuchen. Dabei haben sie trotz prinzipieller Wahlfreiheit in der Realität fast keine Wahl, welche Kita ihre Kinder besuchen. Denn zum einen ist die Nachfrage nach Kitaplätzen viel größer als das Angebot. Zum anderen können die staatlichen und freien Trägerorganisationen entscheiden, wen sie in ihre Einrichtungen aufnehmen. Und diese haben mitunter sehr genaue Vorstellungen von den Kindern und Eltern, die zu ihnen passen“, ergänzt Mierendorff.
Welche Vorstellungen Träger haben und welche Strukturen im Hintergrund wirken
Welche Vorstellungen das sind, welche Folgen diese Praxis hat und welche Strukturen im Hintergrund wirken, untersuchen die Forscherinnen und Forscher aus Halle und Münster in ihrem neuen BMBF-Projekt. Das Team um Nina Hogrebe an der WWU wertet dafür die Daten zweier großer repräsentativer Bevölkerungs- und Bildungsstudien in Deutschland aus, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in regelmäßigen Abständen Auskunft über ihre Lebensumstände geben. Dazu gehören auch Angaben darüber, welche Kitas ihre Kinder besuchen. Anhand dieser Daten lassen sich deutschlandweit mehr als 1.000 Kitas betrachten. „Damit wollen wir das Ausmaß der sozialen und kulturellen Entmischung in deutschen Kitas erfassen. Die Daten enthalten auch Informationen über die Auswahlkriterien von Trägerorganisationen“, erklärt Hogrebe.
Auswahlverfahren und die Rolle von Jugendamt und kommunalen Akteuren
Das hallesche Teilprojekt unter Leitung von Johanna Mierendorff untersucht in einem zweiten Schritt die Auswahlverfahren einzelner Trägerorganisationen sowie die Rolle der Jugendämter und weiterer kommunaler Akteure bei den Auswahlprozessen. Dafür führen die Forscherinnen Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern einzelner Einrichtungen und Organisationen. „Uns geht es nicht darum, nach Schuldigen zu suchen - beispielsweise Träger oder Jugendämter für die aktuelle Situation verantwortlich zu machen. Vielmehr gehen wir davon aus, dass Strukturen und Mechanismen Entmischung hervorbringen. Diese Strukturen herauszuarbeiten, ist unser Ziel“, sagt Mierendorff. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse wolle man zudem Beratungsangebote und Handlungsempfehlungen für Träger und Einrichtungen erarbeiten. Diese sollen dabei helfen, weiterer Entmischung vorzubeugen, und so zum Gelingen eines sozial und ethnisch inklusiven Systems frühkindlicher Bildung beizutragen.
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vom 01.07.2019
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