Kinder- und Jugendschutz
Soziale Kultur im Digitalen: Wir brauchen digitale Empathie und mehr Courage
Auf die Suche nach einer sozialen Kultur im Digitalen machten sich Expert(inn)en bei einer gemeinsamen Tagung von EKD und KJM. Im Fokus stand der Hass in sozialen Netzwerken sowie die Frage, welcher persönliche, rechtliche und zivilgesellschaftliche Umgang damit gefunden werden kann.
27.06.2017
Vor welche Herausforderungen soziale Netzwerke die digitale Gesellschaft stellen, haben Expertinnen und Experten bei einer gemeinsamen Tagung der Medienarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) in Berlin diskutiert.
Menschliche Intelligenz und Expertenwissen
"Das achte Gebot, kein falsches Zeugnis wider seine Nächsten zu reden, beschrieb Luther nicht nur als Pflicht, seine Nächsten nicht zu verraten oder zu verleumden. Er fügte auch hinzu, dass man Gutes voneinander reden und alles zum Guten kehren solle", erinnerte EKD-Medienbeauftragter Markus Bräuer zum Auftakt der Veranstaltung. In sozialen Netzwerken sei jedoch zu beobachten, mit wie viel Hass die Menschen sich dort begegnen. Dies bestätigte KJM-Vorsitzende Cornelia Holsten auch mit Blick auf die Aufsichtspraxis der KJM: "Es gibt Menschen, die mit wahnsinnigem Vergnügen Hasskommentare posten. Fest steht: Das ist nicht straffrei, nur weil es online geschieht." Das Löschen rechtswidriger Inhalte könne man jedoch nicht Robotern überlassen. Hier bedürfe es menschlicher Intelligenz und Expert(inn)enwissen.
Digitale Courage und soziale Unterstützung
Wie es sich anfühlt, Hass nicht nur zu beobachten, sondern dessen Ziel zu sein, hat Richard Gutjahr erlebt. Der Journalist und Blogger berichtete, wie er und seine Familie im vergangenen Jahr Opfer von Verschwörungstheorien, Verleumdungen und Drohungen wurden. "Jedes Smartphone ist eine Waffe und wir können damit sehr viel anrichten", sagte Gutjahr und plädierte für mehr digitale Courage. Betroffene müssten sich zur Wehr setzen, bräuchten dabei aber Unterstützung – nicht nur von Kirche, Politik oder Konzernen, sondern auch von den einzelnen Mitmenschen.
Community Standards und staatliche Gesetze
Die Versuche eines Konzerns, Hass im Netz zu begegnen, beschrieb Ökonom und Reporter Hannes Grassegger. Er beleuchtete die Ergebnisse seiner investigativen Recherche zum Content Management von Facebook und sagte, das Unternehmen habe das weltweit einflussreichste Gericht erschaffen. Dabei kritisierte er u. a., dass Facebook sich mit seinen Community Standards nicht an den unterschiedlichen nationalstaatlichen Gesetzen orientiere.
Dass Unternehmen durchaus willens seien, erster Ansprechpartner für Nutzer, Staat und Aufsichtsbehörden zu sein, versicherte Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bitkom e.V. Ebenso könne mit Hilfe von Technik gegen problematische Inhalte vorgegangen werden. Bei vielen Inhalten müssten jedoch juristisch gut geschulte Menschen eine Abwägung vornehmen. Rohleder plädierte deshalb für eine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Drittinstanzen wie Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, die von Unternehmen finanziert würden.
Selbstabschottung politischer Milieus
Jan Fleischhauer beleuchtete die Echokammern von AfD-Anhängern; eine Welt, in die "kein Sonnenstrahl mehr" fällt. In einem Selbstversuch hatte der Journalist und Autor sich bei Facebook ein Profil als AfD-Sympathisant angelegt. Nach dieser Erfahrung hält er den Begriff der Echokammer für zu schwach: Man müsse vielmehr von einer Selbstabschottung politischer Milieus – links wie rechts – sprechen. In solch einem Umfeld, in dem abweichende Meinungen mittels Algorithmen ausgeblendet würden, verbreiteten und verstärkten sich die wildesten Theorien.
Ein Vorstoß im Kampf gegen Hass im Netz ist das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) des Bundes. Staatssekretär Gerd Billen, Bundesjustizministerium, verteidigte den umstrittenen Gesetzesentwurf. Es sei wichtig, mit Konsequenzen zu drohen und die Strafverfolgung dann auch umzusetzen. Neben juristischen Maßnahmen sei aber auch die Zivilcourage aller Mitmenschen erforderlich – das sei im Netz genauso wichtig wie in der U-Bahn.
Zivilgesellschaft im digitalen Raum
Die Menschen nahm auch Johannes Baldauf, Projektleiter bei der Amadeu Antonio Stiftung, in den Blick. Er warnte davor, einzelne Unternehmen wie Facebook zu beschuldigen, die Demokratie zu untergraben und Hass zu schüren. Letztendlich sei das Netz nur ein Ort, an dem wir den Hass sehen, der in unserer Welt ist. "Das Problem ist: Wir haben keine Zivilgesellschaft im digitalen Raum", so Baldauf. Deshalb sei es nicht ausreichend, lediglich Plattformen zu regulieren – man müsse die Menschen erreichen, um ihnen zu vermitteln, dass die Welt außerhalb ihrer Echokammer eine andere ist.
Auch wenn also technische Entwicklungen den Hass befördern und auch wenn Technik helfen kann, dagegen vorzugehen: Im Mittelpunkt steht der Mensch – bei juristischen Abwägungen, couragiertem Eingreifen und empathischer Unterstützung. Darin waren sich alle Beteiligten einig.
Quelle: Kommission für Jugendmedienschutz vom 23.06.2017
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