Hilfen zur Erziehung
Schlusserklärung der 17. Arbeitstagung der IAGJ
Anlässlich der 17. Arbeitstagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen (IAGJ) vom 10. bis 15.10.2010 in Pörtschach, Österreich, diskutierten Fachleute der Jugendhilfe aus den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz und Österreich über Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe.
09.11.2010
Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei das Handlungsfeld Kinderschutz. Es wurden Fragen der Ausbildung, der Standards bei öffentlichen und privaten Trägern ebenso erörtert wie Beschwerdemanagement, Öffentlichkeitsarbeit in Krisen und strafrechtliche Verantwortung von Fachkräften.
Im grenzüberschreitenden, interdisziplinären Fachdiskurs zwischen den vier Ländern wurde festgestellt, dass in allen teilnehmenden Ländern die Verbesserung des Kinderschutzes von den Medien, der Politik und der Fachwelt gefordert wird.
Im Diskussionsprozess zu den genannten Themenschwerpunkten wurden folgende Übereinstimmungen erzielt:
Ausbildung
Die Umsetzung des Bologna-Prozesses zur Reform der Hochschulen ist in allen Ländern vorangeschritten. In allen Teilnehmerländern der Tagung wird jedoch das Theorie-Praxis-Verhältnis bei der Entwicklung der Curricula kritisch diskutiert, das in einem Spannungsfeld zwischen einem generalistisch angelegten Studium und notwendigen spezialisierenden Kernkompetenzen für die Praxis sozialer Arbeit steht. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sprechen sich dafür aus, eine Spezialisierung für einzelne Handlungsfelder sozialer Arbeit nicht zu früh im Studium zu beginnen, sondern zunächst die Curricula-Entwicklung eines generalistischen Studiums weiter zu fördern.
Den Hochschulen kommt eine zentrale Aufgabe bei der Befähigung für die Arbeit im Kinderschutz zu, die ein breites Theorie-, Methoden- und Anwendungswissen erfordert. Als wesentlich werden auch personale Kompetenzen angesehen. In dieser Hinsicht steckt die Curricula-Entwicklung derzeit noch in den Anfängen. Interdisziplinäre und länderübergreifende Diskurse über Curricula und ein notwendiges Basiswissen sind für den Kinderschutz unumgänglich.
Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe
Einig war man sich in der Beurteilung, dass Dienstleistungen der Kinder- und Jugendhilfe höchst komplex sind, da sie von der Prävention über Unterstützungsangebote und stationäre Maßnahmen gefährdeter Kinder bis zu hoheitsrechtlichen Entscheidungen der Behörden reichen. Dementsprechend können Standards immer nur in Bezug auf bestimmte Arbeitsfelder der Jugendhilfe definiert werden. Sie sollten dort das Ergebnis eines laufenden Aushandlungsprozesses der Akteure und betroffenen Kinder sein, wobei die Betroffenen bisher nur in wenigen Projekten der Qualitätsbestimmung an den Tisch geholt wurden.
Als wesentlich stellte sich in der Diskussion der Fachkräfte allerdings heraus, dass Standards immer nur im Hinblick auf einen bestimmten Zweck definiert werden können. Wird dies nicht beachtet, kommt es nur schwer zu einer Einigung. Weil der Zweck die Ausführlichkeit und Konkretisierung der Qualitätsstandards bestimmt, ist zu beachten, ob Standards festgelegt werden, um daraus rechtliche Konsequenzen für die Handelnden ableiten zu können, oder um Dienstleistungen der Öffentlichkeit zu präsentieren, ob Standards zur wissenschaftlichen Evaluation der Tätigkeiten, oder zur Überprüfung der Dienstleistungserbringung durch freie Träger, oder nur zur Einführung und Anleitung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dienen sollen. Maximalstandards sind weder für Kontrollziele noch für rechtliche Zwecke besonders hilfreich, während Mindeststandards für Öffentlichkeitspräsentation und Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenführung mitunter nicht hilfreich sind.
Zur Entwicklung von Standards braucht es eine breite Beteiligung. Das Geltendmachen der Standards ist ein eigener Akt, der einer differenzierten Interessensabwägung bedarf, bei der auch die finanziellen Aspekte eine wichtige Rolle spielen.
Ohne vorherige Einigung auf den Verwendungszweck von Standards – so war man sich in der Diskussionsrunde einig – können Qualitäten in den Jugendhilfedienstleistungen kaum festgelegt werden. Es gilt daher, die in Fachkreisen und auch in dieser Tagung der IAGJ schon differenziert diskutierten Qualitäten auf ihren jeweiligen Zweck hin zu „checken“.
Qualitätsstandards sind aber auch gegenüber Klientinnen und Klienten, Fachleuten anderer Professionen sowie der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt und transparent zu machen.
Beschwerdemanagement in der Jugendhilfe
Unter Beschwerde im Sinne der Diskussion sind alle Mitteilungen über Mängel in der Leistungserbringung zu subsumieren, jedoch nicht solche, die eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen zum Inhalt haben.
Kompetentes Beschwerdemanagement ist auch ein zentrales Qualitätskriterium für den Kinderschutz, das das Vertrauen der (Fach)öffentlichkeit in die qualitative Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe stärkt. Beschwerden sind ernst zu nehmen und gegenüber Beschwerdeführern und -führerinnen ist rasch (zeitnah) zu reagieren.
Standards für die Überprüfung von Beschwerden, insbesondere hinsichtlich der Verfahren, sind zu entwickeln und gegenüber Beschwerdeführern und Beschwerdeführerinnen transparent zu machen. Bei der Mitteilung über die Ergebnisse der Überprüfungen ist jedoch auf die Wahrung von Verschwiegenheitspflichten zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und deren Familien besonders Bedacht zu nehmen. Obwohl Anfragen von Medien möglichst konkret beantwortet werden sollen, muss bei der Weitergabe von Informationen an sie besonders sensibel vorgegangen werden.
Die Benennung von qualifizierten Kontaktpersonen für Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen sowie Medien unterstützt den Servicecharakter und erleichtert die Kommunikation mit Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe.
Personen und Institutionen, auf die sich die Beschwerde bezieht, sind mit erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren. Ihre Stellungnahmen sind in den Prüfbericht einzubeziehen. Bei Fehlverhalten sind zeitnahe, für die betroffene Person oder Institution nachvollziehbare Konsequenzen mit dem Ziel zu setzen, gleichartige Missstände in der Zukunft zu vermeiden. Institutionen müssen eine Fehlerkultur entwickeln, die das Transparentmachen von Missständen und den konstruktiven Umgang mit ihrer Behebung ermöglicht.
Jugendhilfe und Strafverfolgung
Kinderschutz ist keine primäre Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Deshalb wird eine Anzeigepflicht von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Kinder- und Jugendhilfe an die Strafverfolgungsbehörden bei Bekanntwerden von Hinweisen auf Kindesmisshandlung oder Kindesmissbrauch aus Gründen der Notwendigkeit des Vertrauensschutzschutzes in Hilfebeziehungen abgelehnt.
Standards sind allein aus Sicht der Fachlichkeit zu diskutieren. Ihre Entwicklung kann nicht durch die Strafjustiz erfolgen und soll sich auch nicht an einer möglichen strafrechtlichen Verantwortung orientieren. Die Einhaltung von Standards dient der Verwirklichung der Ziele der Kinder- und Jugendhilfe und nicht der Vermeidung von Strafverfolgung. Sie gibt ohnehin keine abschließende Sicherheit vor strafrechtlicher Verfolgung. Mit Mitteln des Strafrechts sollen nur schwere Pflichtverletzungen sanktioniert werden, während weniger schwerwiegende Fehler durch Maßnahmen der Qualitätssicherung verhindert werden sollen.
Die strafrechtliche Verantwortung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Kinder- und Jugendhilfe erzeugt Angst und Verunsicherung auf allen Ebenen, sowohl der Fachkräfte an der Basis als auch der behördlichen und politischen
Verantwortungsträger und -trägerinnen. Gelangen Kinderschutzfälle in den Blick der Strafverfolgungsbehörden und der medialen Öffentlichkeit, brauchen die betreffenden Institutionen externes Fachwissen und Unterstützung bei der Aufarbeitung. Diese Lernprozesse in den Organisationen müssen von der Strafverfolgung - rechtlich geschützt - unabhängig sein.
Quelle: Internationale Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen (IAGJ)
ik
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