Jugendpolitik

Missbrauchsbeauftragter fordert digitalen Kinder- und Jugendschutz

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig fordert eine auf Dauer angelegte Agenda für digitalen Kinder- und Jugendschutz, mehr Forschung, Prävention und Hilfen bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mittels digitaler Medien und eine Versuchsstrafbarkeit für Cybergrooming: "In der aktuellen Debatte um die digitale Sicherheitsarchitektur müssen auch die sexuellen Cyberattacken gegen Kinder und Jugendliche in den Fokus genommen werden!"

18.01.2017

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, und Mitglieder der "Konzeptgruppe Internet", einer interdisziplinären Arbeitsgruppe seines Beirats, stellten gestern (17.01.2016) die vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) verfasste Expertise "Sexualisierte Grenzverletzungen und Gewalt mittels digitaler Medien" vor.

Die Expertise unter der Autorenschaft von Prof. Peer Briken, Institutsdirektor am UKE, sowie Prof. Arne Dekker und Thula Koops, zeigt auf, wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch die digitalen Medien verändert hat. In einem gleichnamigen Fachgespräch wurde die Expertise mit über 100 Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und des Kinderschutzes diskutiert. Ziel ist ein Dialog mit allen Verantwortlichen und Entscheidungsträgern, um einen wirksameren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt mittels digitaler Medien zu erreichen.

Cybergrooming: Missbrauchsbeauftragter fordert schärferes Vorgehen

Rörig: "In der aktuellen Diskussion um Cybersicherheit und Digitalisierung der Bildungslandschaft fehlt ein zentraler Punkt: der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt aus dem Netz wie beispielsweise durch Cybergrooming oder die unfreiwilligen Konfrontation mit sexuellem Bildmaterial. Diese Risiken müssen sehr viel stärker in den Blick genommen werden und dürfen nicht wirtschaftlichen und anderweitigen Interessen zum Opfer fallen. Es ist wichtig, jetzt zu adressieren, wer welche Verantwortung trägt und was unternommen werden muss, damit Mädchen und Jungen eine sichere Teilhabe an der digitalen Welt haben, ohne sexuellen Cyberattacken ausgesetzt zu sein!"

Täter und Täterinnen nutzten die digitalen Medien strategisch und rigoros, so Rörig, um auf diesem Weg an Minderjährige heranzukommen. Rörig fordert deshalb eine Versuchsstrafbarkeit von Cybergrooming, um der Polizei ein aktives und effektives Vorgehen gegen diese Täter und Täterinnen zu ermöglichen und diese zu überführen.

Strategien für mehr Schutz vor sexueller Gewalt in digitalen Medien

Julia von Weiler, Sprecherin der „Konzeptgruppe Internet“ und Vorstand von Innocence in Danger e. V.: "Digitale Medien und das Internet verändern das Phänomen sexualisierter Gewalt fundamental. Einer von drei Internetnutzern ist heute minderjährig und bereits 2014 besaß ein Viertel der 10 bis 11Jährigen in Deutschland ein Smartphone. Für Täter und Täterinnen ist das Smartphone das ultimative Tatmittel. Es erlaubt den beständigen, vielfältigen, unmittelbaren und ungestörten Kontakt zu Opfern. Um betroffene Mädchen und Jungen angemessen unterstützen zu können, müssen wir uns diesen Veränderungen stellen, um Strategien der Hilfe zu entwickeln."

Nur durch eine viel bessere Aufklärung zu digitalen Medien und den damit verbundenen Gefahren sexueller Gewalt, so Rörig, könnten Eltern und pädagogische Fachkräfte adäquat reagieren. Rörig sieht Politik und Anbieter von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Online-Spielen in der Pflicht und fordert eine auf Dauer angelegte Agenda für digitalen Kinder- und Jugendschutz. Die Online-Dienste sollten verpflichtet werden, geschützte Nutzungsräume für Kinder und Jugendliche zu schaffen, Beratungs- und Hilfsangebote für kindliche und jugendliche Nutzer auf ihren Seiten gut sichtbar einzustellen und niedrigschwellige Meldemöglichkeiten zu schaffen. Anbieter sollten sich selbst verpflichten, eingehende Hinweise an die Strafverfolgung oder Beschwerdestellen weiterzuleiten. Zudem brauchten die Strafverfolgungsbehörden sowie die psychosozialen und gesundheitlichen Hilfesysteme dringend eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung.

Im Internet verschwindet nichts

Alex Stern, Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten und in der "Konzeptgruppe Internet": "Im Internet verschwindet nichts: Der Verdacht oder das Wissen darum, dass Dokumentationen der Gewalt gegen sie online kursieren, kann für Betroffene extrem belastend sein. Psychosoziale Unterstützer_innen übergehen oft die Rolle, die das Wissen darum für Betroffene spielen kann. Digitale Medien und das Internet schaffen gleichzeitig Freiheiten: Betroffene können sich vernetzen, sich gegenseitig unterstützen und unabhängig von anderen ihre Lebensrealität schildern und aufklären."

Die Expertise macht neben Gefahren und Risiken aber auch deutlich, dass die digitalen Medien wichtige soziale Erfahrungs- und Wissensräume für Kinder und Jugendliche sind, wenn Minderjährige dort entsprechend geschützt sind:

Prof. Dekker, UKE: "Internet und digitale Medien stellen Kinder und Jugendliche vor eine Reihe von Herausforderungen und neuen Risiken – auch in Bezug auf sexualisierte Gewalt. Die neuen Gefahren dürfen einerseits nicht bagatellisiert werden, andererseits aber auch nicht dazu führen, der Mediennutzung junger Menschen pessimistisch und ausschließlich mit Verboten zu begegnen. Ziel muss es sein, jungen Menschen eine sichere Nutzung digitaler Medien zu ermöglichen. Hierfür muss auch mehr in Forschung und Aus- und Fortbildung investiert werden."

Quelle: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 17.01.2017.

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