Kinder- und Jugendschutz

Ausprobieren, konsumieren, abhängig werden? LWL informiert über Suchtentwicklung bei Jugendlichen

Jugendliche gelten als experimentierfreudig, was den Konsum von Alkohol und Drogen angeht. Im Interview spricht Dr. Moritz Noack, Oberarzt der Abteilung für Suchttherapie an der LWL-Universitätsklinik Hamm über die Suchtrisiken im Jugendalter, ihre Ursachen und mögliche Vorsorgemaßnahmen und Therapien.

30.11.2017

Insbesondere das Rauschtrinken bei Schülern bleibt ein Problem, wie die aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes (it.nrw) zeigen: Die Zahl alkoholbedingter Klinikaufenthalte ist demnach im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen (NRW) zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Insgesamt wurden 5.191 im Alter von zehn bis 19 Jahren mit einer Allkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt. Dies ist ein Anstieg um 0,5% (2016: 5.167 Fälle).

Welche Risiken bestehen für Jugendliche in der Zeit ihrer persönlichen Veränderungen? Wann kann der Übergang vom Ausprobieren zum regelmäßigen Konsumieren von Drogen in die Abhängigkeit von Suchtmitteln führen? In einer Fortbildungsveranstaltung der Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL) beschäftigten sich jetzt rund 30 Fachkräfte der Jugend- und Suchthilfe mit den Sucht-Risiken im Jugendalter.

Im Interview spricht Dr. Moritz Noack, Oberarzt der Abteilung für Suchttherapie an der LWL-Universitätsklinik Hamm und Referent in der Fortbildungsveranstaltung darüber. Auch in der Hammer Therapieeinrichtung lasse sich beobachten, dass die Patienten tendenziell jünger werden, so Noack.

Welche Drogen konsumieren die Jugendlichen heute und warum?

Wenn man Alkohol und Nikotin als Drogen mitzählt, sind diese beiden Suchtmittel am leichtesten verfügbar und werden deshalb am häufigsten konsumiert. Unter den illegalen Drogen spielt Cannabis weiterhin eine wichtige Rolle, erst mit größerem Abstand folgen dann Amphetamine, Ecstasy, LSD oder halluzinogene Pilze. Diese und synthetische Drogen wie die "Neuen psychoaktiven Substanzen", also synthetisches Cannabis, synthetische Amphetamine, werden weitaus seltener verwendet. Generell werden Suchtmittel konsumiert, um einen positiven Rausch zu erleben, abzuschalten oder - heutzutage immer mehr von Bedeutung - auch leistungsfähig und "online" zu sein.

Wie entsteht bei Jugendlichen ein missbräuchlicher Konsum und als Folge davon eine Abhängigkeit von Suchtmitteln?

Da gibt es keine pauschale Antwort. Als 'missbräuchlich' wird im suchtmedizinischen Sinne ein Konsum bezeichnet, der die psychische oder körperliche Gesundheit zunehmend gefährdet, zu Einschränkungen im sozialen Leben führt und auch von außen kritisiert wird. Die Abhängigkeit entsteht dann erst im Laufe der Zeit und ist nicht nur von der Art der Droge, sondern auch von der Persönlichkeit, von der Umgebung und der jeweiligen Situation des Betroffenen abhängig.

Was sind die Ursachen oder auslösenden Faktoren für eine Suchtmittelabhängigkeit?

Zum einen haben die Suchtmittel selbst ein ganz unterschiedliches Abhängigkeitspotenzial. Nicht zwangsläufig folgt aus einem regelmäßigen Konsum eine Suchterkrankung. Wenn Suchtmittel jedoch zunehmend zur Konfliktlösung, Problemverdrängung oder als Ersatz für andere Tätigkeiten eingesetzt werden, erhöht sich das Risiko. Es wird dann mehr und häufiger, oft auch zunehmend alleine konsumiert - hier liegen die Gefahren, für den kurzfristigen positiven Rausch langfristig wichtige Dinge im Leben zu vernachlässigen. Schulbesuch, Ausbildungsfähigkeit und persönliche Beziehungen zu drogenfreien Freunden und der Familie leiden oft darunter - was die Isolation oder Integration in eine drogenkonsumierende Umgebung nochmal verstärken kann. In diesem negativen Kreislauf braucht es viel Kraft, inneren Willen oder Unterstützung, um daraus auszubrechen.

Welche psychiatrischen Störungen können im Verlauf der Suchtentwicklung auftreten?

Bei einer Suchterkrankung wirken die Drogen auf das Gehirn und dessen Entwicklung dauerhaft ein. Es kann dann zu anhaltenden Veränderungen des Gehirnstoffwechsels kommen. Das hat unterschiedliche Auswirkungen, je nach Veranlagung. Als Folge können Depressionen, Antriebsstörungen oder psychotische Störungen entstehen. Oft ist es jedoch schwer zu sagen, ob es die Störungen nicht auch schon vor der Suchtentwicklung gab und der Drogenkonsum die Symptome oft lange verschleiert beziehungsweise die Droge eine Art Selbstmedikation dargestellt hat.

Gibt es Vorsorgemaßnahmen und Therapien, die hilfreich sind?

Wenn man Suchtmittel konsumiert, sollte einem klar sein warum. Das gilt auch für Nikotin und Alkohol. Alle Substanzen haben ja angenehme Effekte, darum werden aber Risiken oft unterschätzt. Es ist wichtig für die Betroffenen, zuverlässige Quellen für Informationen über Suchtmittel zu haben. Wichtig kann auch sein, seinen Konsum mit dem von anderen in seiner persönlichen Umgebung zu vergleichen. Wenn man selbst oder ein anderer Probleme mit Drogen erlebt, sollte man sich schnell Hilfe holen. Hier sind ambulante Ansprechpartner wie Suchtberatungen, Ärzte, Therapeuten aber auch die deutschlandweite Sucht- und Drogenhotline, Telefon 01805 313031, oder Beratungsangebote im Internet erste wichtige Adressen. Mit der Entscheidung, eine Suchtberatung oder Therapie anzutreten, beginnt schon die Veränderung. Die Erfolgsaussichten hängen dann oft von der Motivation der Betroffenen, aber auch von deren Unterstützung durch Familie und Freunde ab.

Hintergund

Die LWL-Universitätsklinik Hamm ist eine der größten Fachkliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland. Sie übernimmt die stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung für ca. 1,5 Millionen Menschen in der Versorgungsregion. Insgesamt verfügt die Klinik über 110 vollstationäre und 60 tagesklinische Behandlungsplätze in den fünf Tageskliniken Hamm, Rheda-Wiedenbrück, Bergkamen, Soest und Warendorf. Träger der Klinik ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Erste Anlaufstellen für Patienten oder deren Angehörige ist die Institutsambulanz der Klinik: LWL-Universitätsklink Hamm, Heithofer Allee 64, 59071 Hamm, Telefon 02381 893-3000.

Die LWL-Koordinationsstelle Sucht ist das 1982 gegründete Kompetenzzentrum für die Suchthilfe in Westfalen-Lippe. Mehr als 730 Einrichtungen der Suchthilfe nehmen die LWL-Dienste bereits in Anspruch. Das Fortbildungsseminar für Fachkräfte in der Jugend- und Suchthilfe wird seit 2014 jährlich von der Kooordinationsstelle angeboten. Gerade bei neuen psychoaktiven Drogen ist der Informationsbedarf der Fachkräfte sehr groß.

Die LWL-Koordinationsstelle Sucht setzt an 14 Standorten in Westfalen-Lippe das Angebot "Hart am Limit" (HaLT) um. Es wurde entwickelt, um dem Trend des komatösen Rauschtrinkens, bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Das Programm entstand als Reaktion auf steigende Zahlen von Teenagern, die mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Beim HaLT-Konzept werden Jugendliche und Eltern in diesem schwierigen Moment aufgefangen. In Einzelgesprächen soll Betroffenen geholfen werden, Gruppenangebote sollen die Person stärken.

An 30 Standorten in Westfalen-Lippe wird das von der LWL-Koordinationstelle Sucht entwickelte Programm "Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten" (FreD ) umgesetzt. Das Programm richtet sich unter anderem auch an 14- bis 21-jährige Menschen, die durch Alkohol (strafrechtlich) auffällig geworden sind.

Quelle: Landschaftsverband Westfalen-Lippe vom 30.11.2017

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