Kinder- und Jugendarbeit

Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit: Ideenschmiede in Braunschweig

Viele gute Ideen wurden im Lauf des Jahres beim Innovationsforum Jugend global online vorgeschlagen. Die Teilnehmer/-innen des Kolloquiums, das am 23. und 24. September in Braunschweig stattfand, standen vor der schweren Aufgabe, zwei davon auszuwählen und erste Vorschläge zu sammeln, wie aus Ideen Produkte werden können.

30.09.2015

Manche Dinge brauchen wohl etwas Zeit, bis sie ankommen. Beim Innovationsforum Jugend global können Akteure der Internationalen Jugendarbeit Themen einbringen, von denen sie glauben, dass sie einen Beitrag zur Weiterentwicklung ihres Arbeitsfeldes leisten können. Die drei Themen, die die meisten Online-Stimmen auf sich vereinen können, werden jährlich im Kolloquium Jugend global diskutiert und schließlich zwei ausgewählt, die in Entwicklungsworkshops zu Produkten weitergedacht werden. Inzwischen hat sich offenbar herumgesprochen, dass dabei gute Produkte herauskommen, denn beim diesjährigen Kolloquium konnte nicht über mangelnde Beteiligung geklagt werden und schon überhaupt nicht über geringe Diskussionsbereitschaft.

Die Online-Voter hatten den Themen „Angebote der Internationalen Jugendarbeit für (unbegleitete) jugendliche Flüchtlinge", "Interreligiöser Dialog in Programmen der Internationalen Jugendarbeit" und "interkulturelle Theorie-ansätze und ihre Relevanz für die Praxis" den Vorzug gegeben. Ziemlich anspruchsvolle Themen!

Die Diskussion um den interreligiösen Dialog hat einen konkreten Anlass: Die <link http: www.dija.de toolbox-religion _blank external-link-new-window external link in new>Toolbox Religion, die seit 2009 mit großem Erfolg angeboten wird. Seit dem Erscheinungsdatum ist der Blick auf Internationale Jugendarbeit diversitätsbewusster geworden und dies sollte sich auch in einer Neuauflage spiegeln. Rabeya Müller, Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Co-Autorin der Toolbox, gab hierzu einen Fachimpuls.

Angebote für junge Flüchtlinge im Talk

Das Flüchtlingsthema bewegte wohl die Teilnehmerinnen am meisten. Gemeint waren jedoch nicht die Flüchtlinge, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen sind. Ihnen kurzfristig eine weitere "grenzüberschreitende Mobilitätserfahrung" zuzumuten, wird wohl niemand ernsthaft ins Auge fassen. Es geht um diejenigen – oftmals unbegleiteten ¬ jugendlichen Flüchtlinge, die schon länger im Lande sind, die als Flüchtlinge anerkannt oder geduldet sind. Wie Angebote der Internationalen Jugendarbeit für sie geöffnet werden können, damit beschäftigte sich eine Talkrunde.

Wie wenig Angebote erreichbar sind, damit hat Mariyam Beglaryan ihre Erfahrungen gemacht, als sie selbst als Flüchtling nach Bremen kam. Es fehlten die einfachsten Informationen. "Wir haben keine Informationen bekommen, als wir ankamen", klagte sie. Die nötigen Informationen für Ämter- oder Arztgänge bekamen sie und ihre Familie nur mühsam von anderen Flüchtlingen. Für Mariyam war das der Anlass einen Flüchtlingsratgeber für Bremen zu entwickeln.

"Es muss eine gleichberechtigte Teilhabe für alle Flüchtlinge geben", forderte Hetav Tek, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings. Ihnen müssten niederschwellige Angebote gemacht werden, gerade Sport und Kunst eigneten sich besonders gut. Mit einem solchen Versuch hat Tanja Reißer vom Jugendwerk der AWO Württemberg ihre Erfahrungen gemacht, sie hat ein Kunstworkcamp für jugendliche Flüchtlinge angeboten und räumte ein, "das hat nicht funktioniert, weil wir etwas für die Flüchtlinge gemacht haben, aber nicht mit ihnen". Daraus hat sie gelernt und stellt ihre Erfahrungen auch anderen zur Verfügung.

Alica Levenhagen vom Jugend- und Kommunikationszentrum Schenefeld würde gerne mit mehr jungen Flüchtlingen in Kontakt kommen. "Der Berührungspunkt fehlt, um miteinander ins Gespräch zum kommen", bemängelte sie. Im lokalen Kulturzentrum gibt es jetzt ein Willkommenszentrum, das die Informationen vermittelt, die Mariyam Beglaryan bei ihrer Ankunft so schmerzlich vermisst hat, und es ist ein erster Schritt, damit Einheimische und Flüchtlinge miteinander in Kontakt kommen.

Das Fehlen solcher Strukturen beklagt Peter Herrmann seit Jahren. Herrmann hat jahrelang für den Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge gearbeitet, hat ihn maßgeblich mitaufgebaut. Wenn er spricht, hört man den Zorn über die Versäumnisse von Jahrzehnten heraus. "Migrantenorganisationen müssen endlich an Fördermitteln partizipieren können und wir brauchen eine Vernetzung der vielen Initiativen und Strukturen – zum Beispiel durch Landeskoordinatoren", forderte er.

"Was ist nötig und was geht?" wollte IJAB-Moderatorin Kerstin Giebel von den Teilnehmer/-innen der Talkrunde wissen. Mariyam Beglaryan wünscht sich und anderen vor allem Entlastung: "Das die Kinder so schnell Deutsch lernen, ist ihr größtes Problem, denn sie müssen die Eltern bei allen Ämtergängen begleiten, auch wenn sie eigentlich zur Schule müssten". Dem konnte Hetav Tek nur zustimmen: "eine solche Entlastung muss es geben, damit Angebote überhaupt wahrgenommen werden können. Und irgendwann muss ein Kind auch einfach Kind sein dürfen!" Alica Levenhagen warnte vor Überforderungen und falschen Erwartungen: "Das Asylverfahren dauert so lange und ist so belastend, dass junge Flüchtlinge anderes im Kopf haben, als an einer Maßnahme der Internationalen Jugendarbeit teilzunehmen." "Aber was geht denn nun?" fragte Kerstin Giebel nochmal nach. "Eigentlich alles", befand Hetav Tek, "wenn man sich auf Augenhöhe begegnet!"

Wieviel Theorie braucht man für erfolgreiche Praxis?

Julia Motta, die sich seit Jahren mit Bildung und Beratung im internationalen Kontext beschäftigt, nahm sich in ihrem Fachimpuls der diversen interkulturellen Theorieansätze an. Ein wahrer Begriffsdschungel ist in den letzten Jahren gewachsen. "Interkulturelles Lernen" ist dabei noch der bekannteste Begriff, den die meisten Akteure Internationaler Jugendarbeit als wichtiges Feld ihres Arbeitsfeldes begreifen. Inzwischen spricht man aber auch von transkulturellem und globalem Lernen, arbeitet mit Differenzlinien oder verfolgt postkoloniale Ansätze. Nicht immer sind die unterschiedlichen Ansätze trennscharf. "Diversitätsbewusste Bildung" hat in den letzten Jahren als Begriff an Verbreitung zugelegt. Das liegt vor allem daran, dass inzwischen viele fragen, ob wir denn nicht durch mehr als durch Kulturen geprägt sind – durch Geschlechteridentität zum Beispiel oder durch Unterschiede in sozialer Zugehörigkeit und Bildung.

Wieviel Theorie braucht man und wieviel von den genannten Begriffen muss man verstanden haben, um mit Jugendlichen pädagogisch arbeiten zu können? Julia Motta ist eher die Haltung wichtig, ihr geht es darum die Fokussierung auf national und kulturell konstruierte Differenzen zu überwinden. "Jeder kennt den ‚internationalen Abend‘ bei Jugendbegegnungen und wie lange reden wir schon darüber, dass er eigentlich abgeschafft gehört", stellte Motta fest. Den kennen tatsächlich alle. Die Deutschen bringen Sauerkraut und Bier mit, die Russen Wodka, die Italiener Pasta und jede Gruppe singt Volkslieder, die sie seit dem Kindergartenalter nicht mehr gesungen hat – alles Stereotypen, die man doch eigentlich überwinden wollte.

Klare Entscheidung

Die Fachimpulse wurden im Plenum und in Kleingruppen diskutiert, dann wurde abgestimmt, welche beiden Themen in Entwicklungsworkshops vertieft werden sollen. Nicht ganz überraschend angesichts der Präsenz des Themas konnte die Arbeit mit Flüchtlingen die meisten Stimmen auf sich vereinigen – gefolgt von den interkulturellen Theorieansätzen. Auch erste Produktideen gibt es schon. In einem Fachkräfteaustausch könnte man sich kundig machen, welche Erfahrungen es in anderen Ländern mit der pädagogischen Arbeit mit Flüchtlingen gibt. Auch ein Qualifizierungsangebot oder ein Peer-Programm konnten sich die Teilnehmer/-innen des Kolloquiums vorstellen. Bei den "interkulturellen Theorieansätzen" herrschte das Bedürfnis vor, das Thema zu vertiefen, Widersprüche im internationalen Austausch zu formulieren, vielleicht auch Unlösbares aussprechen und thematisieren zu können.

Die Entwicklungsworkshops stehen noch in diesem Jahr an. Es sind auch Teilnehmer/-innen willkommen, die beim Kolloquium in Braunschweig nicht dabei sein konnten. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein!

Quelle: IJAB e.V., Christian Herrmann

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