Kinder- und Jugendarbeit

Offener Brief: Ehemalige Vorsitzende des Kinder- und Jugendrings Sachsen wenden sich gegen Kürzungen im Bereich Jugendarbeit

Der Gründungsvorsitzende des Kinder- und Jugendrings Sachsen, Harald Bretschneider, Oberlandeskirchenrat im Ruhestand, und sein Nachfolger, Thomas Günzel, wenden sich in einem offenen Brief gegen die Kürzungen im Bereich der Jugendarbeit.

17.02.2010

Text des Briefes:

Dresden und Leipzig, 16.Februar 2010

Sehr geehrte Damen und Herren,

die aktuellen Nachrichten über die finanzielle Situation des Kinder- und Jugendring Sachsen e.V., der in ihm zusammengeschlossenen Jugendverbände und die Unklarheiten in Bezug auf die Fördermittelbewilligung und -bereitstellung veranlassen uns zu diesem gemeinsamen Offenen Brief.

Nicht erst seit den Tagen der friedlichen Revolution haben wir uns in den jeweiligen Bezügen gesellschaftspolitisch engagiert, bis 1989 überwiegend im kirchlichen Rahmen. Nach dem Aufruf zur Gründung eines Runden Tisches der Jugend, den Harald Bretschneider damals als Landesjugendpfarrer initiiert hat, gehörten wir zu den Mitbegründern des Sächsischen Jugendrings (SJR), der später zum Kinder- und Jugendring Sachsen e.V. (KJRS) wurde. Bis 1992 war Harald Bretschneider dessen erster Vorsitzender, von 1992 bis 1998 war Thomas Günzel Vorsitzender des KJRS und in diesem Zusammenhang auch Gründungsvorsitzender des Landesjugendhilfeausschusses (LJHA), dem er nach einer familiär bedingten Pause bis 2002 angehörte.

Mit diesem kurzen persönlichen Rückblick möchten wir unterstreichen, dass uns schwierige Finanzsituationen und verwaltungstechnische Probleme vertraut sind. Wir konnten damals aktiv daran mitwirken, sie zumindest teilweise zu lösen. Heute erwarten wir, dass dies für die gegenwärtige Situation erneut gelingt, damit Jugendarbeit ihre diversen Bildungsaufgaben weiterhin konstruktiv wahrnehmen kann und die junge Generation in die Lage versetzt wird, Verantwortung zu lernen und zu übernehmen.

Zur aktuellen Lage der öffentlichen Finanzen und den geplanten Kürzungen im Bereich der Jugendarbeit können wir uns Details sparen, Sie kennen die Fakten. Vielmehr möchten wir mit Nachdruck die gesellschaftliche Bedeutung der Jugendarbeit ins Bewusstsein rufen.

Wir alle wissen, dass extremistische und fundamentalistische Gruppen mit ihrer vereinfachenden Weltsicht junge Menschen leicht erreichen. Dagegen sind es seit Jahrzehnten demokratisch aufgebaute Jugendverbände, die je nach Geschichte und Prägung ein christliches, humanitäres, sportliches, gewerkschaftliches oder musisch-kulturelles Profil entwickelt haben und nicht nur wichtige Jugendfreizeitangebot bereithalten, sondern zugleich einen wesentlichen Beitrag leisten, um junge Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung zu stärken und sie zu tolerantem und demokratischem Verhalten zu ermutigen.

Die Bilder aus Dresden vom vergangenen Wochenende zeigen, dass viele junge Menschen den Aufrufen der Demokraten folgten. Es ist uns bekannt, dass darunter viele waren, die ihre persönliche gesellschaftspolitische Prägung durch Angebote in der Jugendarbeit erhielten und so zum demokratischen Widerspruch angeleitet wurden.

Nicht zu beantworten ist die Frage, wie die Situation in Dresden ausgesehen hätte, wenn es in den 90er Jahren nicht gelungen wäre, politisch Verantwortliche immer wieder zur Änderung von Haushaltsplänen zu bewegen, damit die Jugendarbeit im Freistaat Sachsen in Freiheit und Demokratie aufgebaut werden kann.

Aber wir müssen in aller Deutlichkeit darauf hinweisen: Wenn 2010 nicht erneut ein solcher Schulterschluss gelingt, überlassen demokratisch gewählte Politiker Sachsens die Zukunft unserer Jugend den Extremisten unterschiedlichster Couleur! Wir können nicht glauben, dass dies Ihr Wille ist! Angesichts der bekannten Sparpläne fordern wir Sie ministeriums- und fraktionsübergreifend auf: Erinnern Sie sich an die Jahre des Aufbruchs und wegweisende Entscheidungen der damaligen Zeit.

Die Förderung (verbandlicher) Jugendarbeit ist kein Hobby für „fette Jahre“! „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ heißt es in der deutschen Sozialgesetzgebung aus gutem Grund (¬ß1 SGB VIII). Es muss deshalb gemeinsame gesellschaftliche Pflicht sein, das Engagement zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass die Angebote und die Strukturen der Selbstverwaltung in der Jugendarbeit über 2010 hinaus nachhaltig stabil gestaltet werden können.

Der KJRS mit seinen Verbänden zeigt deutlich, dass Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Verantwortliche der Jugendarbeit auch heute bereit und in der Lage sind, gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. Es werden keine überzogenen Forderungen gestellt und die zahlreichen Bildungs- und Freizeitangebote sprechen eine überzeugende Sprache: Jugendarbeit ist stark von ehrenamtlichem Engagement geprägt und hat mehrfach bewiesen, dass sie auch Krisen übersteht. Jedoch darf Politik und Gesellschaft die Krisenbewältigung nicht einfach auf ehrenamtliches Engagement abwälzen. Hauptamtliche Unterstützung, finanzielle Förderung und öffentliche Würdigung sind notwendige Ergänzungen ehrenamtlicher Arbeit.

Es kann nicht dem Bild und Anspruch einer modernen Demokratie entsprechen, dass Jugendarbeit sich allein auf ehrenamtlichen und privaten Einsatz stützt. Die Gesellschaft und somit Sie als gewählte oder beauftragte Verantwortliche des Volkes haben die moralische Pflicht gegenüber den Kindern und Jugendlichen, gegenüber der Zukunft unseres Volkes, den Aktiven der Jugendarbeit öffentliche Anerkennung zu zollen und finanzielle Förderung dem Bedarf entsprechend bereit zu stellen. - Diesen Bedarf hat die Staatsregierung erst im September 2009 mit der Verabschiedung der überörtlichen Jugendhilfeplanung festgestellt - auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Als langjährige Jugendmitarbeiter und Begründer der Selbstverwaltungsstrukturen in der verbandlichen Jugendarbeit des Freistaates Sachsen fordern wir Sie, die heute politisch Verantwortlichen, zu Gesprächen mit den Spitzenvertretern der Jugendarbeit auf und bitten Sie, ähnlich wie in den Jahren des Aufbruchs nach 1990, politisch übergreifend nach Lösungen zu suchen, die dem Gewicht der selbstorganisierten Kinder- und Jugendarbeit für die Gegenwart und Zukunft unseres Landes Rechnung tragen.

Wir bitten sie dringend, die Wahrnehmungen aufzugreifen, die wir in unserem Brief aufzeigen und wünschen Ihnen, sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Kinder- und Jugendverbände gute Ideen und den Mut zu kreativen, zukunftsorientierten Entscheidungen. Soweit dies gewollt und möglich ist, sind wir gern bereit uns unterstützend an der Suche nach geeigneten Lösungen zu beteiligen. Mit Spannung erwarten wir Ihre Reaktionen.

Mit freundlichen Grüßen

(gez.) Harald Bretschneider / Thomas Günzel

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