Kinder- und Jugendarbeit

Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit: Fachliche Positionierung und fachpolitische Forderungen

Der Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit hat sich im März 2016 mit dem Ziel gegründet, eine bessere Sichtbarkeit und Vertretung des Feldes insbesondere auf Bundesebene zu sichern und eine bundesweite Plattform für die fachliche Auseinandersetzung, Diskussion und Weiterentwicklung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland zu schaffen. Ergebnis dieses Diskussionsprozesses ist die Festlegung einer gemeinsamen Ausgangsposition, die der Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit nun vorlegt und als Einladung zu weiterer Diskusion versteht.

26.02.2019

Das Positionspapier wurde – ausgehend von einer Fachtagung in Mannheim 2018 – von vielen Kolleg/-innen aus der Praxis in kommunaler und freier Trägerschaft, auf lokaler, Landes- und Bundesebene sowie der Wissenschaft entwickelt und formuliert, in einem weiteren Arbeitstreffen in Leipzig 2018 als Entwurf abschließend diskutiert und liegt nun in der Endfassung vor.

1. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ein Ort für alle jungen Menschen

Fachliche Positionierung: Offene Kinder- und Jugendarbeit setzt sich für die Interessen und Bedarfe aller jungen Menschen ein, für Mädchen und Jungen, für junge Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten, verschiedener kultureller und religiöser Milieus, für junge Menschen mit und ohne Behinderung und unterschiedlicher sozialer Schichten. Die Jugendphase hat sich entgrenzt: Jugendtypische Themen und Entwicklungsschritte haben sich altersmäßig nach vorne und der Einstieg in ein ökonomisch eigenständiges Leben zugleich erheblich nach hinten verlagert. Vor diesem Hintergrund ist von einem Bedarf an biographischer Orientierung und Unterstützung, aber auch an nicht-kommerziellen jugendkulturellen Angeboten auch in der Gruppe der jüngeren und älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen auszugehen. In diesem Sinne wird in diesem Papier zusammenfassend von jungen Menschen gesprochen.

(Fach-)Politische Forderungen: Die vielfältigen Zielgruppen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit brauchen für ein entsprechend differenziertes Angebot im Hinblick auf Lebenslagen, Themen und (Zeit)-Ressourcen eine stabile räumliche, personelle und finanzielle Ausstattung. Die Möglichkeit, unterschiedliche Gruppen ansprechen zu können, eröffnet auch Raum für eine Begegnung dieser Gruppen und kann zu einer entsprechenden Vergemeinschaftung und Entwicklung von Toleranz und Akzeptanz beitragen.

2. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ein eigenständiger Sozialisationsort

Fachliche Positionierung: Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als eigenständiger Sozialisationsort, der junge Menschen in den anspruchsvollen Prozessen des Aufwachsens begleitet, umfassend Beteiligung ermöglicht und zumutet und Subjektbildungsprozesse befördert. Sie ist dabei ein Ort an dem ohne Leistungsdruck und ohne (schul- und arbeitsmarktorientierte) Verwertungslogiken, eigene Interessen erkannt und verfolgt werden können. Sie ist ein Ort an dem junge Menschen auch mit eigensinnigen Vorstellungen experimentieren und gesellschaftliche Erwartungen und Bedingungen in Frage stellen können.

(Fach-)Politische Forderungen: Offene Kinder- und Jugendarbeit ist im Sinne einer verlässlichen Infrastruktur flächendeckend einzurichten und zu finanzieren. Einer zunehmend schul-, arbeitsmarkt- und projektorientierten Finanzierung und Orientierung ist eine Absage zu erteilen. Kooperationspartner/-innen, wie auch Träger respektieren, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit den Interessen und Bedürfnissen junger Menschen verpflichtet und die Teilnahme an ihrem Angebot freiwillig ist und Diskontinuität ermöglicht.

3. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ein selbstbestimmter Freiraum

Fachliche Positionierung: Junge Menschen brauchen unverzweckte und selbstbestimmte Freiräume neben den die Lebensphase stark bestimmenden Institutionen Schule, Ausbildung und Universität. Es bedarf Phasen des „Nichts-Tun-Müssens“, des Innehalten-Könnens, des spielerischen, kreativen oder sportlichen Tuns, der Begegnung und Vergemeinschaftung mit Gleichaltrigen, des freiwilligen und selbstbestimmten Verfolgens, Entwickelns und der Auseinandersetzung mit eigenen Interessen und Vorstellungen. Solche Freiräume sind für die Entwicklung eigener Ideen, Orientierungen und Fähigkeiten zur Verarbeitung von Erfahrungen und Entwicklungsanforderungen der Lebensphase Kindheit und Jugend zentral. Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als ein solch unverzweckter und selbstbestimmter Freiraum.

(Fach-)Politische Forderungen: Offene Kinder- und Jugendarbeit bedarf großer Handlungsspielräume bezogen auf Situationen, Inhalte und Themen. Der so genannte Offene Bereich ist als zentraler und unabdingbarer Bestandteil ihrer Arbeit anzuerkennen und entsprechend fachlich und finanziell abzusichern, auch wenn es um die Förderung selbstorganisierter Jugendinitiativen geht.

4. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ein (Erfahrungs-) Raum gelebter Demokratie

Fachliche Positionierung: Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als Erfahrungsraum gelebter Demokratie. Sie erkennt alle jungen Menschen als vollwertige (mündige) Gesellschaftsmitglieder und als Träger/-innen von Rechten an und sichert ihre Teilnahme und Teilhabe an Gesellschaft. Sie gibt aber auch Raum, bestehende gesellschaftliche Normen und Entwürfe zu diskutieren. In diesem Sinne gestaltet sie ihre Institutionen und ihren Alltag konsequent partizipatorisch-demokratisch: Sie macht den Alltag und die Institution selbst zum Gegenstand partizipatorisch-demokratischer Aushandlungsprozesse. Sie trägt mit den Heranwachsenden, aber auch mit der Kommune, ihren Bürger/-innen, ihrer Politik und Verwaltung, sowie mit Trägern Konflikte aus und verankert Selbst- und Mitbestimmungsrechte strukturell und vor Ort. Mit ihrem gesetzlichen Auftrag (§ 11 SGB VIII) und ihren Strukturcharakteristika der Freiwilligkeit und Offenheit ist sie wie fast kein anderes Handlungs- und Sozialisationsfeld besonders geeignet, junge Menschen in ihrem politischen Handeln zu unterstützen.

(Fach-)Politische Forderungen: Offene Kinder- und Jugendarbeit ist als Teil einer demokratischen, kommunalen Infrastruktur anzuerkennen, die im Sinne einer alltäglich erlebbaren Partizipation Demokratiebildung ermöglicht. Hierzu bedarf es einer entsprechenden Akzeptanz und Konfliktfähigkeit auch auf Seiten von Kommunen und Trägern, die junge Menschen als mündige Bürger/-innen mit ihren Anliegen ernst nehmen. Dies schließt mit ein, dass sie junge Menschen nicht in erster Linie unter einer Defizitperspektive betrachtet (z.B. als ‚Störer/-innen des öffentlichen Raumes`), sondern dahinterstehende Bedarfe anerkennt (z.B. nach Treffpunkten und Sichtbarkeit). Offene Kinder- und Jugendarbeit agiert hier in einer unterstützend-vermittelnden Funktion, die einer fachlichen und finanziellen Absicherung bedarf, damit auch spontan Themen und Anliegen junger Menschen aufgegriffen werden können. Fachkräfte der OKJA müssen für diese Rolle sensibilisiert, qualifiziert und ermächtigt werden.

5. Offene Kinder- und Jugendarbeit nimmt an den digitalen Lebenswelten junger Menschen teil

Fachliche Positionierung: Digitale Medien und Netzwerke sind Teil der Lebenswelt und des Alltages junger Menschen. Im Sinne lebensweltorientierten und partizipatorischen Arbeitens ist ihre Nutzung notwendiger und selbstverständlicher Bestandteil Offener Kinder- und Jugendarbeit. Die Einbeziehung digitaler Räume eröffnet (neue) Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, der Kontakt- und Beziehungspflege sowie der Vergemeinschaftung, der Beratung und Informationsbeschaffung, der kreativen und jugendkulturellen Arbeit, der politischen Einmischung und Bildung. Einen (auch kritischen) Umgang mit digitalen Medien können sich junge Menschen über eine anwendungsorientierte und in den Alltag Offener Kinder- und Jugendarbeit eingebettete Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken aneignen.

(Fach-)Politische Forderungen: Es bedarf einer fachlichen Offensive, welche sowohl Haltungen, Werte und Standards für eine lebensweltnahe analoge und digitale Offene Kinder- und Jugendarbeit erarbeitet, als auch technische und rechtliche Grauzonen auslotet, sowie praxisnahe Lösungen und entsprechende Datenschutzrichtlinien entwickelt. Offene Kinder- und Jugendarbeit benötigt eine entsprechende Ausstattung, die zum Abbau der digitalen Benachteiligung Jugendlicher beiträgt, wie sie der 15. Kinder- und Jugendbericht konstatiert. Fachkräfte sollen nicht länger dazu genötigt werden, private Endgeräte zu nutzen und damit professionelle und datenschutzrechtliche Standards zu verletzen.

6. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist für junge Menschen im Sozialraum verantwortlich

Fachliche Positionierung: Offene Kinder- und Jugendarbeit sieht in den Interessen und Bedarfen junger Menschen in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet den Ausgangspunkt ihres fachlichen Handelns. Vor dem Hintergrund einer sozialraumorientierten Aneignungsperspektive sucht sie die Interessen und Bedarfe mit jungen Menschen ihres Einzugsgebietes in Erfahrung zu bringen (z.B. Sozialraumanalysen, aufsuchende bzw. herausreichende Jugendarbeit), ihre Umsetzung zu unterstützen und zu begleiten. Sie zielt darauf Offene Kinder- und Jugendarbeit im Sozialraum im Dialog mit jungen Menschen stetig weiterzuentwickeln und zu organisieren. Sie kooperiert hierbei mit anderen relevanten Akteuren der Kindheit und Jugend im Sozialraum und versteht sich als Teil eines Netzwerkes, mit dem Ziel Interessen junger Menschen im Sozialraum zu unterstützen und Gehör zu verschaffen. In diesem Sinne versteht sie sich auch als Expertin für Jugendfragen und als Lobby für Jugendliche im Sozialraum. Sie übernimmt eine Moderationsfunktion im Einzugsgebiet und eine Beratungsfunktion gegenüber der Kommune und relevanten Trägern.

(Fach-)Politische Forderungen: Kennzeichen einer erfolgreichen Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind nicht möglichst viele Angebote, Vorzeigeprojekte oder Großevents, sondern die Unterstützung, Sichtbarkeit und Realisierung der Interessen und die Möglichkeit zur Einmischung und Mitwirkung unterschiedlicher junger Menschen im Sozialraum. In diesem Sinne liegt der Fokus auch auf einer Erweiterung von Aneignungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten für junge Menschen im öffentlichen Raum, auch außerhalb von Jugendeinrichtungen. Offene Kinder- und Jugendarbeit kann hier als Teil eines Netzwerkes und in Kooperation mit anderen Akteuren im Sozialraum den Dialog zwischen jungen Menschen und anderen Interessengruppen im Sozialraum fördern, Konflikte konstruktiv schlichten mit dem Ziel der Weiterentwicklung einer demokratischen Gemeinschaft.

7. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist Teil und Akteurin einer eigenständigen Jugendpolitik

Fachliche Positionierung: Die Interessen junger Menschen begrenzen sich nicht auf die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit. Ihr fällt auch die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen, dass junge Menschen ihre Interessen und Ansprüche in die gesamte Entwicklung einer Kommune etc. einbringen können. Insbesondere wegen der im Verhältnis geringer werdenden Anzahl von jungen Menschen sollten zukunftsorientierte, moderne Gemeinden, Kommunen und Landkreise ein gesteigertes Interesse an einer hohen Attraktivität ihres Gemeinwesens für junge Menschen entwickeln. Voraussetzung hierfür ist ihre unmittelbare und verbindliche Einbeziehung in alle gesellschaftlichen Entwicklungsmaßnahmen bis hin zu einer eigenständigen Jugendpolitik. Dementsprechend müssen Themen wie Partizipation, Sozialraumorientierung sowie Stadt- und Gemeindeentwicklung wieder bzw. noch stärker als Leistungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit umgesetzt und akzeptiert werden.

(Fach-)Politische Forderungen: Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ausdrücklich nicht die Vertretung aller jungen Menschen. Sie ist allerdings durch ihr partizipatives, pädagogisches Wirken eine wesentliche Akteurin dafür, dass sich junge Menschen selbstorganisiert und engagiert aktiv an einer jugendgerechten Entwicklung ihrer Gemeinden, Kommunen und Landkreise beteiligen können. Eine essentielle (Gelingens)Bedingung hierfür ist - wie zum Beispiel Erfahrungen aus dem Bundesprogramm „jugendgerechte Kommune“ verdeutlichen - ein kohärentes Handeln. Das bedeutet, die Förderung jugendgerechten Handelns und eine eigenständige Jugendpolitik sind nicht die Alternative zur (Offenen) Kinder- und Jugendarbeit, sondern gelingen nur in einer zusammenhängenden Förderung und eingebettet in kommunale Prozesse.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit stehen unter www.kvokja.chayns.net  zur Verfügung. Dort kann auch ein Newsletter abonniert werden.

Zur Gründung des Kooperationsverbund am 04. März 2016 finden sich Informationen auch in der Berichterstattung auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe.

Quelle: Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit

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