Kinder- und Jugendarbeit

Kirsten Boie: „Zeigefinger-Literatur funktioniert bei Kindern nicht“

Kirsten Boie (60) gehört für Fachleute zu den renommiertesten deutschen Autorinnen des modernen Kinder- und Jugendromans.

04.11.2010

Osnabrück.  Außerdem engagiert sich die gebürtige Hamburgerin unter anderem als Patin bei der entwicklungspolitischen Organisation HelpAge Deutschland, deren Projekt „Kartoffelspuren – Von Peru nach Osnabrück“ von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird. In diesem Rahmen wird Boie am Dienstag, 9. November, 18 Uhr, auf Einladung von DBU und HelpAge Deutschland aus ihrem historischen Abenteuerroman „Alhambra“ im Zentrum für Umweltkommunikation (ZUK) der DBU in Osnabrück lesen. Wie kann man Kinder und Jugendliche für drängende Zukunftsthemen interessieren? Die DBU hat im Vorfeld der Lesung mit der Autorin über Jugend, Alter und Wissensvermittlung gesprochen. 

DBU: Frau Boie, Sie sind Kinder- und Jugendbuchautorin, setzen sich aber bei der Hilfsorganisation HelpAge für die Rechte älterer Menschen ein. Wie passt das zusammen?
Boie: Da gibt es einen engen Zusammenhang – für Kinder sind zum Beispiel die Großeltern ganz, ganz wichtige Ansprechpartner. Sie stehen ihnen emotional sehr oft ebenso nah wie die Eltern, begleiten das Aufwachsen der Enkel meistens aber mit sehr viel mehr Gelassenheit. Großeltern können daher vor allem in Krisensituationen wichtige Stützen sein. Entscheidend für mein persönliches Engagement war aber eher die Situation alter Menschen in ärmeren Ländern. Vielfach sind dort die traditionellen Familienstrukturen weggebrochen – anstatt wie früher von ihren Kindern unterstützt zu werden, sind es jetzt die Alten, die immer mehr Aufgaben übernehmen müssen. Denken Sie etwa an die millionenfache Zahl der Großmütter, die ihre Enkelkinder aufziehen, weil die Eltern an AIDS gestorben sind – das habe ich in Afrika selbst erlebt und finde es schwer auszuhalten.

Kirsten Boie vor Bücherregal an Tisch mit Büchern
© Paula Markert
Kirsten Boie gehört für Fachleute zu den renommiertesten deutschen Autorinnen des modernen Kinder- und Jugendromans. Sie hat über 90 Bücher geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Am 9. November wird die Autorin in Osnabrück aus ihrem Jugendroman "Alhambra" vorlesen.

DBU: Viele Studien kommen zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland – wie viele Erwachsene ja auch – nur sehr wenig über die Herkunft und Produktion ihrer Nahrungsmittel wissen. Ein Grund zur Sorge, oder ist dieses Wissen heutzutage nicht mehr notwendig?
Boie: Natürlich sollten Kinder darüber etwas wissen! Nur wenn sie wissen, dass die Wurst nicht in der Plastikfolie wächst und die Milch nicht im Tetrapack bekommen ja auch Fragen nach der Art der Tierhaltung, der Gabe von Antibiotika, konventioneller oder biologischer Landwirtschaft, Massentierhaltung, et cetera einen ganz persönlichen Bezug. Zum Verständnis ihrer Welt und der Möglichkeit, sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen, gehört auch ein Verständnis all dieser Zusammenhänge – natürlich immer in dem Maß, in dem es Kindern der jeweiligen Altersgruppe zugänglich ist.

DBU:
Klimawandel, Artenvielfalt und Nachhaltigkeit sind recht komplexe Sachverhalte. Wie kann man Kinder und Jugendliche für solch schwierige Themen interessieren?
Boie: Eigentlich glaube ich, dass gerade Kinder und Jugendliche da sehr offen sind. Wir müssen in unseren Informationen nur möglichst konkret und anschaulich bleiben. Abstraktes interessiert Kinder ja nicht so, auch nicht, was in der fernen Zukunft passiert. Auch wenn das natürlich ihre Zukunft sein wird – aber Kinder leben ja mehr als wir Erwachsenen nur im Hier und Jetzt. Trotzdem, alles, was man an Beispielen deutlich machen kann, hat bei ihnen eine gute Chance. Darin liegen auch die Möglichkeiten von Literatur und Film.

DBU: Müssten sich zeitgenössische Kinder- und Jugendbücher nicht noch viel mehr mit diesen wichtigen Themen beschäftigen?
Boie: Ich glaube, Zeigefinger-Literatur funktioniert bei Kindern nicht. Nur wenn ein Thema auch für den Autor ein ernsthaftes Anliegen ist und darum in seinem Kopf eine Geschichte entsteht, wird sie auch den Leser anrühren können – zumindest ist das mein Eindruck. Aber es gibt auf diesem Gebiet ja auch schon eine ganze Menge.

DBU: In Osnabrück werden Sie aus Ihrem Roman „Alhambra“ vorlesen. Wieso haben Sie dieses Buch ausgesucht?
Boie: Das hat zunächst einen ganz einfachen thematischen Grund: Das Projekt in Osnabrück heißt „Kartoffelspuren“; viele Kinder wissen gar nicht, dass die Kartoffel wie viele andere Lebensmittel erst vor wenigen Jahrhunderten aus Amerika zu uns gekommen ist. Und in „Alhambra“ geht es eben um die Entdeckung Amerikas, aber auch um das Zusammenleben der drei großen monotheistischen Religionen in Andalusien am Ausgang des Mittelalters – und daraus lässt sich meiner Meinung nach vieles für das Zusammenleben in der globalisierten Welt der Gegenwart lernen.

DBU: Sie selbst wissen um den Klimawandel, die Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung. Haben Sie daraus Konsequenzen gezogen und Ihre eigenen Konsum- und Lebensgewohnheiten geändert?
Boie: Sicher nicht genug. Ich benutze öffentliche Verkehrsmittel, wo das nur geht, kaufe, wann immer das möglich ist, biologisch angebaute Lebensmittel, und jetzt im Herbst und Winter ziehe ich mich im Haus wärmer an, statt zu heizen wie verrückt. Ich versuche überhaupt Energie zu sparen – das mal so als Beispiel. Aber ich sehe gleichzeitig, wie vor allem ein ständig zunehmender Zeitdruck eben auch dazu führt, dass man diese Dinge vernachlässigt. Wenn die Zeit fehlt, fährt man eben mittellange Strecken mit dem Auto, statt mit dem Fahrrad; kauft im Supermarkt um die Ecke ein, statt im weiter entfernten Biomarkt. Vor allem im Zusammenhang mit den Verfilmungsprojekten der letzten Jahre bin ich sehr viel auch innerhalb Deutschlands geflogen – ich glaube, dass eine bestimmte Konferenzkultur überhaupt darauf beruht, dass es möglich ist, morgens von Nord nach Süd zu fliegen und nachmittags dann wieder zurück. Das ist inhaltlich oft ein riesengroßer Gewinn – für die Umwelt aber natürlich eine Katastrophe. Zwischen Zeitmangel und Vernachlässigung der Umwelt besteht wahrscheinlich bei vielen Menschen ein gewaltiger Zusammenhang.

DBU: Sie wirken immer sehr gut gelaunt und aufgeräumt. Mit Blick auf die Probleme dieser Erde – gibt es auch etwas, das Sie richtig wütend macht?
Boie: Wirke ich gut gelaunt? Das ist toll. Das hängt dann vielleicht eher mit meinem Privatleben zusammen als mit gesellschaftlichen Fragen. Denn da macht mich so unglaublich vieles wütend, dass ich mit der Aufzählerei gar nicht aufhören könnte, wenn ich erst einmal anfinge!

DBU: Hand aufs Herz: Haben Sie ein kleines unweltschädliches Laster?
Boie: Na, reichlich. Davon habe ich vorhin ja schon gesprochen. Ich glaube, eins unserer gegenwärtigen Probleme ist ja, dass sich beides – ein aktives, auch engagiertes Leben und die dauerhafte Berücksichtigung von Fragen der Umwelt – eben heute kaum noch zufriedenstellend unter einen Hut bringen lassen. Aber ganz ernsthaft: Ich arbeite daran!

Interview: Johannes Graupner, DBU

Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt

ik

 

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