Publikation

Jugendverbände als politische Akteure

In der aktuellen Ausgabe des FORUM Jugendhilfe der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ mit dem Titel „Im Fokus – Die Kinder- und Jugendhilfe ist politisch“ haben die Vorsitzenden des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR), Daniela Broda und Wendelin Haag, den Beitrag „Jugendverbände als politische Akteure“ publiziert.

17.11.2021

Dieser ist nun sowohl hier als auch auf der Website des DBJR in ungekürzter Version nachzulesen:

Jugendverbände sind demokratische Formen der Selbstorganisation und Interessenvertretung junger Menschen. Sie erreichen, organisieren und vertreten Millionen junger Menschen in Deutschland. Daraus leiten sie ihre Verantwortung für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie ab und nehmen sie sehr ernst. Als Teil der Zivilgesellschaft wirken Jugendverbände und Jugendringe selbstverständlich und aktiv mit an der gesellschaftlichen Willensbildung und Entscheidungsfindung.

Als zivilgesellschaftliche Organisationen sind sie Teil der Gesellschaft. Sie wollen an ihrer Gestaltung mitwirken. Im (politischen) System der Entscheidungsfindung haben sie außerdem die Aufgabe des Impulsgebers und des Korrektivs; Letzteres auch im Vorfeld von Entscheidungen der Legislative. Dazu sind sie beispielsweise mit Parteien im Dialog und nehmen Einfluss auf innerparteiliche Wege bei Entscheidungen. Ihnen genügt es nicht, sich auf Kritik an getroffenen Entscheidungen der Legislative zu beschränken.

Als Interessenvertretung junger Menschen wirken sie an der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung mit – im Sinne guter Lebensverhältnisse der jungen Generation. Vor allem deswegen haben sich die Verbände Jugendringe wie die Stadt- und Kreisjugendringe, die Landesjugendringe oder den Bundesjugendring (DBJR) als Plattformen der Zusammenarbeit geschaffen. Die Zusammenarbeit und politische Auseinandersetzung mit den Parlamenten und der Exekutive gehören zu den Kernaufgaben. Bieten sich Gelegenheiten zum Dialog mit Parteien und Mandatsträger(-inne)n, werden sie genutzt. Und wichtiger noch: Sie werden eingefordert.

Werkstätten der Demokratie

In der Natur der Selbstorganisation liegt die Auseinandersetzung mit Interessen, Zielen, Positionen und Werten. Junge Menschen gestalten in Jugendverbänden nicht nur ihre Arbeit und Aktivitäten gemeinschaftlich, sondern formulieren selbstständig individuelle Bedürfnisse und Interessen ebenso wie Anliegen ihrer Generation. Jugendverbände tragen diese Anliegen und Interessen in gesamtgesellschaftliche Diskurse und vermitteln sie gegenüber Parteien, Mandatsträger(-inne)n, Verwaltungen und anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die an der politischen Willensbildung beteiligt sind.

In diesem Sinne sind Jugendverbände Werkstätten der Demokratie und ermöglichen es jungen Menschen, praktische Erfahrungen in einem demokratischen System zu sammeln und Impulse für die Weiterentwicklung ihrer Lebenswelt zu setzen. Gleichzeitig können sie auf Basis der ständig neuen Erfahrung und des Wandels impulsgebend für die Gesamtheit der Gesellschaft sein.

Innerhalb der im DBJR zusammengeschlossenen Jugendverbände und Landesjugendringe werden die Mitglieder auf den verschiedenen Ebenen zudem mit einer breiten Palette von Methoden an der innerverbandlichen Entscheidungsfindung beteiligt. Demokratie wird hier also tagtäglich auf einer Basis gelebt, die die Einzelnen unmittelbar in die Entscheidung einbezieht. Partizipation und demokratische Prozesse sind in den Jugendverbänden somit breiter angelegt und oft unmittelbarer, als sie es auf gesamtstaatlicher Ebene sein können. Darum sieht sich der DBJR dort, wo er sich im Interesse junger Menschen und in der Rolle und Funktion einer Organisation der Zivilgesellschaft in die innerstaatliche Entscheidungsfindung einbringt, als wichtiger Akteur im repräsentativen demokratischen System; so, wie es im Grundgesetz angelegt ist. Zum Selbstverständnis gehört auch die Unterstützung von außerparlamentarischen Bewegungen, die etablierte Politik kritisch begleiten und verändern wollen. Denn Protestbewegungen sind immer wieder Motor des sozialen und politischen Wandels.

Deswegen engagieren sich sehr viele Jugendverbandler/-innen etwa bei Fridays for Future und kämpfen für wirksamen Klimaschutz. Deswegen gehen Jugendverbände mit anderen auf die Straße, um Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass und Demokratiefeinde zu setzen. Deswegen protestieren sie gegen Übergriffe des Staates auf die Privatsphäre von Menschen.

Junge Menschen zweifeln vor allem an demokratischen Entscheidungen, wenn sie hinter verschlossenen Türen getroffen, Alternativen nicht ernsthaft diskutiert oder Beschlüsse unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gefasst werden. Der DBJR und seine Mitglieder sind davon überzeugt: Ein Aufschrei dagegen ist wichtig für die Demokratie. Gefährlicher für die Demokratie ist dagegen der leise Protest durch die wachsende Zahl der Unzufriedenen, die keine Perspektiven mehr sehen und die von der Gesellschaft abgehängt sind oder sich abgehängt fühlen. Bündnisse wie #unteilbar und die großen Demonstrationen für Solidarität, Freiheit und ein menschenwürdiges Miteinander finden deswegen immer die Unterstützung der Jugendverbände. Sie bringen die Vielfalt und die Positionen einer diversen Gesellschaft sichtbar und hörbar zum Ausdruck.

Sorge um aktuelle Entwicklungen

Jugendverbände nehmen aktuelle politische Entwicklungen mit großer Sorge und keinesfalls teilnahmslos zur Kenntnis: Rassistische, antisemtische und genderfeindliche Übergriffe, antidemokratische Demonstrationen und entsprechende politische Aktivitäten nehmen in Deutschland, Europa und weltweit massiv zu. Es droht ein gesellschaftliches Klima, das von Intoleranz, Ausgrenzung, Autorität und Demokratiefeindlichkeit geprägt ist. Das schadet dem demokratischen Miteinander in der Gesellschaft erheblich.

Dem setzen Jugendverbände ihre Pluralität und Vielfalt entgegen. Denn so unterschiedlich die Jugendverbände sind: Gemeinsam und vereint stehen Jugendverbände und -ringe zu ihrer verbandsübergreifenden demokratischen Wertebasis; sie wird selbstverständlich auch europäisch und international gelebt. Damit tragen Jugendverbände in Europa und weltweit dazu bei, Grenzen in den Köpfen ab- und gegenseitiges Verständnis aufzubauen.

Im intensiven Austausch mit Jugendverbänden im Ausland wird deutlich, dass erhebliche Risiken für Demokratie und Freiheit an vielen Orten in der Welt drohen, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert oder nicht gehandelt wird. Im Rahmen der Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings berichtete beispielsweise eine Vertreterin des belarussischen Jugendrings RADA vom Verbot ihrer Organisation. Engagierte junge Menschen wurden inhaftiert, drangsaliert, teilweise gefoltert oder vom Staat außer Landes geschafft. RADA arbeitet nun aus dem Exil in Litauen und versucht, den Kampf für die Demokratie fortzuführen. Auch andere Partnerstrukturen des DBJR geraten durch den Staat unter Druck. Als jugendpolitischer Akteur wird beispielsweise der polnische Jugendring durch den Staat in der Arbeit behindert und teilweise durch staatlich gesteuerte Jugendstrukturen ersetzt. In der Türkei werden ebenfalls die selbst organisierten und zivilgesellschaftlichen Jugendorganisationen nicht eingebunden und Interessenvertretung durch Ministerien gesteuert. In Deutschland versuchen Parteien wie die AfD aus den Parlamenten heraus gegen Jugendverbände vorzugehen und sie als Interessenvertretung oder politischer Akteur in Misskredit zu bringen.

Ebenso gefährlich wie die krassen Beispiele von Repression und Behinderung der Arbeit sind zudem Entwicklungen, bei denen Jugendverbänden die Interessenvertretung junger Menschen abgesprochen oder die Legitimation in Zweifel gezogen wird. Das passiert durchaus hierzulande: Im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Interessenvertretung und Mitwirkung an der Willensbildung auf Basis der jeweiligen Werte und demokratisch gefassten Beschlüsse werden in Legislative und Exekutive des Staates auf allen Ebenen nicht immer vorbehaltlos unterstützt. Fast schon traditionell hat die Exekutive das Bestreben, die Arbeit der Jugendverbände zu steuern und zu beeinflussen. In häufiger werdenden Formaten und Wünschen nach Einbezug von sogenannten echten oder sogenannten unorganisierten Kindern und Jugendlichen kommt eine implizite Abwertung der repräsentativen Interessenvertretung zum Ausdruck, die Jugendverbände ausmachen. Das sehen die Jugendverbände nicht nur als mangelnden Respekt vor ihrer demokratischen Verfasstheit und Legitimation. Das sehen sie auch als Angriff und wehren sich entsprechend.

Konkret müssen Strukturen wie Stadt- und Kreisjugendringe, Landesjugendringe und auch der Bundesjugendring immer häufiger erklären und einfordern, dass sie legitimierte Interessenvertretungen von jungen Menschen sind. Dabei sperren sie sich nicht kategorisch gegen neue Formen der Beteiligung wie Jugendparlamente, Bürger(-innen)räte oder Jugendbeiräte. Sie wehren sich jedoch entschieden dagegen, dass ihnen als selbst organisierter Zusammenschluss junger Menschen der Vertretungsanspruch abgesprochen wird, obwohl sie vor Ort und bundesweit einen Großteil der Kinder und Jugendlichen mit ihren Interessen vereinen.

Hinzu kommt: Die Offenheit der Parteien für Akteure und ihr Bezug zu Akteuren aus der Zivilgesellschaft sinken. Die personelle Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen mit den Parteien geht zurück. Und nicht mehr alle zivilgesellschaftlichen Organisationen sehen sich in ihrem Selbstverständnis als Werkzeug der Willensbildung und Interessenvertretung weiter Teile der Gesellschaft. Gerade deswegen betonen aber die Jugendverbände, dass sie den Anspruch, politischer Akteur zu sein, aufrechterhalten.

Beteiligung als Grundlage für politischen Einfluss

Entscheidend für eine stabile demokratische Gesellschaft sind Beteiligungsmöglichkeiten. Die Kinderrechte der Vereinten Nationen reklamieren für Kinder und Jugendliche neben dem Recht auf Schutz auch das Recht auf Förderung und Teilhabe. Und Teilhabe meint an dieser Stelle explizit Jugendbeteiligung und politische Mitwirkung. In der Position „Impulse für eine starke Demokratie“ hat der DBJR bereits vor zehn Jahren gefordert, dass Politik ein vitales Interesse daran zeigen muss, dass sich die Zivilgesellschaft mit aller Kraft in die Entscheidungs- und Willensbildung einbringt. Dies muss Politik ermöglichen und fördern. Sehr konkrete und detaillierte Forderungen des DBJR sind:

Oberstes Ziel muss immer sein, möglichst alle Menschen zu beteiligen. Entsprechend müssen geeignete wirkungsvolle Formen geschaffen oder genutzt werden, die weit über den bloßen Wahlakt hinausgehen (z. B. Volksbegehren und -abstimmungen, Bürger/-innen-Haushalte, Agenda-Prozesse, die sonstigen etwa in den Kommunalordnungen festgeschriebenen Einwohner/-innen-Beteiligungsverfahren).

Gleichzeitig müssen die derzeitigen Regelungen, die junge Menschen von der Nutzung formal organisierter Beteiligungsformen (Wahlen, Plebiszite, Mitwirkung z. B. in Kommunalgremien) abhalten, überprüft und gelockert werden. Das heißt konkret, die Senkung des Wahlalters für alle Wahlen. Auch muss der Zugang zum Wahlakt wie auch zu allen anderen Formen der Beteiligung möglichst allen Menschen ermöglicht werden, neben den Einschränkungen aufgrund von Alter sind auch solche aufgrund des Aufenthaltsstatus weitgehend abzuschaffen.

Dabei muss Politik im Sinne eines Interessenausgleichs durch gezielte Förderung und Unterstützung sicherstellen, dass die zivilgesellschaftliche Organisation und Interessenvertretung nicht von den individuellen oder im jeweiligen Teil der Gesellschaft vorhandenen Ressourcen abhängig ist.

Verantwortlichkeiten und Entscheidungen müssen wieder deutlich erkennbar verortet werden. Die politischen Entscheidungszuständigkeiten müssen klar der Legislative oder der Exekutive sowie der jeweiligen föderalen Ebene bzw. der EU zugeordnet sein. Die Zuordnungen müssen sinnhaft nachvollziehbar sein. Die derzeitigen Zuordnungen sind unter dieser Prämisse zu prüfen und gegebenenfalls entsprechend zu verändern.

Entscheidungsprozesse müssen entschleunigt werden. Informationen zur Auseinandersetzung müssen rechtzeitig vorliegen und einfach zugänglich sein. Es müssen ausreichende Zeiträume für einen breiten Diskurs geschaffen und dieser auch geführt werden. So sollte der Deutsche Bundestag bei der Frist- und Terminsetzung darauf achten, dass es seinen Mitgliedern und den Ausschüssen möglich ist, ausreichend mit der Zivilgesellschaft in Diskurs zu gehen und ihre Expertise einzuholen. Dazu gehört z. B., weitgehend auf Fristverkürzung bzw. die Einstufung als eilbedürftig zu verzichten.

Zur Transparenz demokratischer Verfahren und Entscheidungen gehört auch, dass alle Akteure den von ihnen vertretenen Interessen zuordenbar sind. Es ist darum notwendig, dass Verflechtungen einzelner Personen mit entsprechenden Interessenorganisationen offengelegt werden. Das betrifft z. B. Nebentätigkeiten von Abgeordneten genauso wie die von Expert(-inn)en. Außerdem müssen die Möglichkeiten zur Akteneinsicht für Bürger/-innen in Regierung und Verwaltung deutlich verbessert werden.

Der Zugang zu demokratischer Partizipation muss unter Rahmenbedingungen und einem Klima möglich sein, das freie Äußerungen und Entscheidungen ohne Angst vor negativen Folgen nicht nur ermöglicht, sondern garantiert.

Neben den Forderungen an die Politik hat der DBJR vor zehn Jahren auch Ansprüche an die Jugendverbände selbst formuliert:

  • Jugendverbände müssen auch für die Kinder und Jugendlichen, denen der Zugang zu Jugendverbänden und ihren Entscheidungsprozessen bisher schwerfällt, Möglichkeiten schaffen, sich gleichberechtigt einzubringen.
  • Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse müssen selbstbewusst als Interessenvertretung junger Menschen auftreten und dabei ihre Legitimation, die das Ergebnis der Willensbildung eines repräsentativen demokratischen Prozesses ist, deutlich machen.
  • Die Jugendverbandsstruktur muss in der Fläche ihre politische Rolle der Interessenvertretung wieder stärker wahrnehmen und einfordern, z. B. in Form der Mitwirkung in Jugendhilfeausschüssen. Jugendhilfeausschüsse sind in Deutschland das wichtigste Fach-, Entscheidungs- und Mitbestimmungsgremium der kommunalen  Jugendhilfe. Mit ihrer besonderen Struktur stehen sie dafür, dass die Interessen und das Wohl von Kindern und Jugendlichen mit dem gemeinsamen Blick durch die freien und öffentlichen Träger gestärkt werden.
  • Jugendringe müssen in ihrem Selbstverständnis als Plattform der Zusammenarbeit und als wichtiges jugendpolitisches Instrument, wie es bereits in der Erklärung von St. Martin beschrieben wurde („Die Jugendringe, die sich die Jugendverbände als Plattform der Zusammenarbeit geschaffen haben, sind bei der Bewältigung jugendpolitischer Aufgaben ein wichtiges Instrument.“ Erklärung von St. Martin, 1962), gestärkt werden und diese Aufgaben von anderen Tätigkeiten abgrenzen.
  • Jugendverbände müssen sich ihrer elementaren Werte und zentralen Definition als Vergemeinschaftung und Verfasstheit als selbst organisierte Struktur junger Menschen bewusst sein und diese stärker nach außen vertreten.

Rückblickend gelingt den Verbänden das bis heute. Sie sind erfahrene zivilgesellschaftliche Akteure, die sich wegen ihrer Grundprinzipen Selbstbestimmung und Selbstorganisation kontinuierlich verändern und weiterentwickeln, ohne dabei die jeweilige Wertebasis aus den Augen zu verlieren.

Politische Bildung in Jugendverbänden

Aus dem eigenen Anspruch heraus, eine gute Jugendpolitik einzufordern und Politik mitgestalten zu wollen, sehen sich die Jugendverbände als wichtige Orte für politische Bildung. Denn die Möglichkeit zur demokratischen Mitgestaltung der Gesellschaft ist nicht nur abhängig von der (strukturell gegebenen) Möglichkeit. Bildung ist die elementare Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Bildung ist dabei als Prozess zu verstehen, der auf eine Selbstverwirklichung des Menschen zielt, und als Prozess der Emanzipation. So verstanden bewirkt Bildung die Stärkung der Analyse-, Urteils-, Kritik-, Handlungsfähigkeit junger Menschen und macht eine kritische Auseinandersetzung zu den entscheidenden Fragen möglich.

Jugendverbände schaffen niederschwellige Anlässe und Momente der Selbstwirksamkeit. Die sind Schlüsselfaktoren für ein langfristiges, freiwilliges gesellschaftliches Engagement. Nachhaltige Motivation erwächst nicht aus dem Zwang einer Pflichterfüllung, sondern aus dem Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Im jugendverbandlichen Kontext öffnen sich Gestaltungsmöglichkeiten eigener zeitlicher und örtlicher Freiräume. Auf Basis von erzielten Kompromissen schaffen junge Menschen in Jugendverbänden Angebote und machen damit gleichzeitig konkrete Demokratieerfahrungen; sie handeln dabei politisch. Das eigene Handeln beziehungsweise die Möglichkeit zur Umsetzung eigener Projekte und die bewussten Entscheidungen für Wege und Methoden addieren sich zu einem selbstbestimmten Bildungsprozess, bei dem junge Menschen selbst ihre Schwerpunkte setzen und gemeinsame Erfahrungen sammeln und auswerten können.

Die Voraussetzung für die Partizipation am gesellschaftlichen Leben ist die individuelle Mündigkeit jeder/-s Einzelnen. Deshalb muss politische Bildung, die diese Mündigkeit befördern soll, dauerhaft gelebt und gestaltet werden. Sie kann nicht in einem abstrakten Lernen über Strukturen und Prozesse bestehen, sondern muss handlungsorientiert sein, das heißt, sie braucht konkrete persönliche Erfahrungen mit demokratischen Gestaltungsprozessen im Alltag, um erfolgreich und nachhaltig zu wirken.

Es wird nicht immer bewusst als Prozess politischer Bildung wahrgenommen, benötigte Informationen selbstständig zu suchen, Strukturen zu verstehen, untereinander zu diskutieren, kritisch abzuwägen, Kompromisse nachzuvollziehen sowie selber Kompromisse zu suchen und zu schließen. Die Jugendverbände und -ringe im DBJR sind jedoch der Überzeugung, dass solche selbst organisierten und freiwilligen Erfahrungen von Demokratie im praktischen Leben nachhaltiges Potenzial für politische Bildung, insbesondere Demokratiebildung, beinhalten. Die langfristige Verankerung demokratischer Werte sowie das Engagement für diese werden durch persönliche Überzeugung und Erfahrung ermöglicht und bestärkt.

Das Alleinstellungsmerkmal der Jugendverbände ist dabei insbesondere die Möglichkeit für junge Menschen, früh echte Verantwortung zu übernehmen – sowohl für sich als auch für andere, individuell wie auch in Gruppen, in den Verband hinein sowie als Interessenvertretung nach außen.

Ein konkretes Beispiel, wie Jugendverbände das niederschwellig umsetzen, ist die U18-Wahl. Mit dieser Methode unterstreichen die Jugendverbände nicht nur ihren Anspruch, politischer Akteur zu sein. Kinder und Jugendliche selbst können im Rahmen von U18 politische Akteure werden, Wahlen vorbereiten und erlernen, politische Debatten initiieren und den Dialog mit Mandatsträger/-innen oder Kandidat/-innen für Parlamente gestalten. Sie können konkret und direkt ihre Bedarfe und Forderungen platzieren und erleben, dass der Einsatz lohnt und Spaß macht. Zur Bundestagswahl wurden von jungen Menschen so viele Wahllokale organisiert wie nie zuvor. An mehr als 2.500 Orten wie Jugendtreffs, Spielplätzen, Feuerwachen, Bibliotheken, Gemeindehäusern oder Schulen standen Wahlurnen. Die Ergebnisse der Wahl sind unter u18.org dokumentiert.

Fazit

Bereits in ihrer Erklärung von St. Martin haben die Jugendverbände 1962 festgestellt: „In immer kürzeren Abständen vollziehen sich in der Jugendarbeit ebenso wie in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft erhebliche Veränderungen. Die Jugendverbände bejahen entschieden die Notwendigkeit von permanenten Veränderungen und sehen darin eine entscheidende Voraussetzung zur Sicherung unserer Zukunft in einer demokratischen Gesellschaft. Dem dient nicht die unkritische Anpassung junger Menschen an die bestehende Gesellschaft. Die Jugendverbände beziehen selbst gesellschaftskritische Positionen. Dabei solidarisieren sie sich mit den Kräften in unserem Lande, die mit adäquaten Mitteln für Demokratisierung und Mitbestimmung in allen Bereichen eintreten.

Bis heute bleibt deswegen der Anspruch der Jugendverbände, Politik und die demokratische verfasste Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Als Interessenvertretung von Millionen junger Menschen sind sie ein verlässlicher Partner für andere demokratische Kräfte und politische Mandatsträger/-innen. Als Werkstätten der Demokratie schaffen sie Erfahrungsräume für Kinder und Jugendliche, damit sie sich selbst als politische Akteure begreifen und als solche handeln können. Und als sich stetig wandelnde Selbstorganisationen bleiben Jugendverbände impulsgebende zivilgesellschaftliche Organisationen, die für Freiheit, Demokratie und Solidarität streiten.

Die gesamte Ausgabe des FORUM Jugendhilfe mit dem Fokusthema „Die Kinder- und Jugendhilfe ist politisch?!" kann auf der Website der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ bestellt werden.

Quelle: Deutscher Bundesjugendring vom 12.11.2021

Redaktion: Pia Kamratzki

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