EU-Jugendstrategie

"Jugendarbeit leistet einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie"

Die Zusammenarbeit verschiedener Instanzen in der Jugendarbeit muss verstärkt werden, so Snežana Samardžić-Marković, Generaldirektorin Demokratie im Europarat. JUGEND für Europa sprach mit ihr Ende April 2015 in Brüssel auf dem 2. Kongress der Europäischen Jugendarbeit.

24.07.2015

JfE: Frau Samardžić-Marković, in der Abschlusserklärung auf dem 2. Kongress der Europäischen Jugendarbeit wird zu verstärkten Anstrengungen aufgerufen, die gemeinsame Basis von Jugendarbeit in Europa zu beschreiben. Was ist der spezifische Beitrag, den Jugendarbeit in Europa zu Ihrem Arbeitsfeld leistet?

Samardžić-Marković: Ich bin absolut davon überzeugt, dass Jugendarbeit in Europa in ihren vielfältigen Formen einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung und Erhaltung der Demokratie leistet. Sie hilft jungen Menschen dabei, ihr volles Potenzial zu entfalten, ein eigenständiges und erfülltes Leben zu leben. Darüber hinaus ermutigt sie junge Menschen, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben und verantwortungsvolle Bürger/-innen zu sein.

Wenn wir über eine Definition, ein Profil und die Anerkennung von Jugendarbeit in Europa sprechen, können wir feststellen, dass wir in den letzten Jahrzehnten einen großen Entwicklungsschritt gemacht haben. Wie ich auf dem 2. Kongress der Europäischen Jugendarbeit angekündigt hatte, wird der Jugendbereich des Europarates die Verantwortung dafür übernehmen, eine Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates über die  Rolle der Jugendarbeit in Europa in der Gestaltung der Demokratie und der Wahrung der Menschenrechte auf den Weg zu bringen.

Die Herausforderung wird sein, Forschung und gute Praxis zusammenzuführen und dadurch Jugendarbeit in Europa zu definieren – mit ihren Qualitätsmerkmalen und den Rollen der verschiedenen Beteiligten, die Jugendarbeit in Europa stärken und junge Menschen dabei begleiten, vollen Anteil an der Gesellschaft zu haben. Das wird eine Herausforderung – aber der Europarat als zwischenstaatliche, pan-europäische Organisation ist dafür gut aufgestellt.

Wir sehen eine große Bandbreite unterschiedlicher Realitäten der Jugendarbeit in verschiedenen Ländern Europas – von etablierten Strukturen der Jugendarbeit mit bezahlten Fachkräften bis hin zu schwacher öffentlicher Unterstützung und Jugendarbeit, die hauptsächlich von Freiwilligen getragen wird. Welche gemeinsame Basis, welchen "Common Ground" sehen Sie, mit dem Blick auf das "größere Europa" des Europarates?

Es gibt einen reichen Erfahrungsschatz in der Jugendarbeit in Europa, der natürlich ein Ergebnis unterschiedlicher historischer und sozio-kultureller Ansätze in den 50 Unterzeichnerstaaten des Europäischen Kulturabkommens ist.

Die Entwicklung gemeinsamer Standards, wie beim Europarat, sollte nicht mit Uniformität verwechselt werden. Wir zielen darauf ab, gemeinsame Nenner zu definieren, um gegenseitig Bestrebungen für die Weiterentwicklung unserer demokratischen Gesellschaften zu unterstützen. Wir ermutigen die öffentlichen Stellen, Reformen umzusetzen und unterstützen gleichzeitig die Kompetenzentwicklung und Beteiligung der Zivilgesellschaft. Die Beiträge der öffentlichen Jugendhilfe und die der Jugendorganisationen und Jugendinitiativen ergänzen einander. Ehrenamtliche und Hauptamtliche in der Jugendarbeit stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sie verfolgen das gleiche Ziel.

Beim Europarat bilden die gemeinsamen Werte die Basis für Jugendleiter/-innen, Jugendarbeiter/-innen, politisch Gestaltende und Forscher/-innen: Menschenrechte, partizipative Demokratie, kulturelle Diversität und Anti-Diskriminierung. Wir sollten dabei nie vergessen, dass junge Menschen in undemokratischen Gesellschaftsformen missbraucht wurden (und noch heute werden) um staatlichen Ideologien zu dienen, die stark den europäischen Werten widersprechen.

Als eines der Ergebnisse von Jugendarbeit in Europa benennt die Abschlusserklärung die Stärkung eines "Civic Spirits", also etwa eines "zivilgesellschaftlichen Geistes" bei jungen Menschen, und unterstützt daher ihre Einbeziehung in die politische Entscheidungsfindung auf allen Ebenen. Welche Position hat Jugendarbeit in Europa in diesem Zusammenhang und wie sollte sie mit den Akteuren der repräsentativen Demokratie interagieren?

Alle unsere Programme richten sich an Multiplikator/-innen. Wir ermutigen junge Menschen, sich an der Gestaltung ihrer Gesellschaft zu beteiligen. Das fehlende Interesse junger Menschen an Parteien, ihre Wahlabstinenz und ihre Politikverdrossenheit ist auch eine Folge mangelnder Zugänge zu den Strukturen der demokratischen Entscheidungsfindung.

Junge Menschen wollen sich beteiligen und müssen dazu Möglichkeiten bekommen. Partizipation funktioniert nur, wenn junge Menschen auf positive Erfahrungen zurückgreifen können und ihre Teilnahme auch Erfolg hat. Moderne, gute Regierungsführung fördert Zugang, Strukturen und Ressourcen für geteilte Entscheidungsfindung – und das sollte sehr bewusst auf junge Menschen abzielen.

Im Europarat haben wir in den letzten vier Jahrzehnten ein System des "Co-Managements", der gemeinschaftlichen Verwaltung, praktiziert, in dem Regierungen und Jugendvertreter/-innen paritätisch Entscheidungen treffen und über unsere Jugendpolitik und unsere Programme entscheiden. Unsere Erfahrung zeigt, dass geteilte Entscheidungsfindung gemeinsame Verantwortlichkeit, kreative und innovative Ideen, Verbindlichkeit und Identität hervorbringt.

Der 2. Kongress der Europäischen Jugendarbeit hat eine Agenda für Jugendarbeit in Europa erarbeitet, die eine Ministerratsempfehlung auf den Ebenen des Europarates und der Europäischen Union einfordert, um Jugendarbeit in Europa zu stärken. Als Sie auf der Bühne die Abschlusserklärung des Kongresses entgegennahmen, versprachen Sie, "sich gut darum zu kümmern". Was sind die nächsten Schritte, um Jugendarbeit in Europa höher auf die Agenda zu bringen?

Der belgische Vorsitz des Europarates hat hier einen starken Impuls gegeben und unsere Jugendabteilung hat bereits damit begonnen, die weiteren Schritte nach dem 2. Kongress zu planen und umzusetzen – unter anderem durch:

  • ein großes beratendes Treffen in diesem Herbst in Straßburg, um eine Bestandsaufnahme des vorhandenen Wissens, der vorhandenen Materialien und politischen Maßnahmen vorzunehmen;

  • eine "Road Map" für die Arbeit unserer zwischenstaatlichen Strukturen, um die Empfehlung zu entwerfen und diese dem Ministerkomitee in der ersten Jahreshälfte 2017 zu übergeben. Bei diesem Prozess werden eine Vielzahl von staatlichen und nicht-staatlichen Partnern einbezogen, auch die Parlamentarische Versammlung und der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates.

Nicht nur während Ihrer Rede wurden Verbindungen hergestellt zwischen aktuellen Herausforderungen wie der Jugendarbeitslosigkeit, sozialer Ungleichheit und einer zunehmenden Unzufriedenheit mit dem Zustand des heutigen Europas. Jugendarbeit in Europa wurde in der Deklaration als "ein zentraler Bestandteil eines sozialen Europas" bezeichnet und sogar zu einer "existenziellen Notwendigkeit [für ein…] unter Prekarität leidendes Europa" geadelt – wie sehen Sie die zukünftige Rolle der Jugendarbeit in Europa?

Unsere Arbeit in der Generaldirektion Demokratie wird immer gewisse gesellschaftliche Entwicklungen beobachten und antizipieren müssen. Junge Menschen sind ganz besonders und folgenschwer von den wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten betroffen, denen Europa gegenüber steht. Politische Entscheidungsträger/-innen erkennen heute mehr denn je die Relevanz von formeller und nicht-formaler Bildung  an, um sich die europäische Idee und europäische Werte anzueignen.

Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der Jugendarbeit so hoch oben auf der politischen Agenda in Europa stand wie jetzt, daher werden wir alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, für Jugendarbeit im europäischen Kontext Lobbyarbeit zu betreiben und sie weiter zu entwickeln.

Ich bin überzeugt davon, dass wir auf dem 3. Kongress der Europäischen Jugendarbeit sagen können: "Wir haben Jugendarbeit in Europa ein gutes Stück weiterentwickelt und vorangebracht!"

Quelle: jugendpolitikineuropa.de

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