Kinder- und Jugendsport

Gewalt und sexualisierter Belästigung entgegen treten

Gewalt und sexualisierte Belästigung im Kinder- und Jugendsport sind ein aktuelles Thema. Im Projekt Aufarbeitung der dsj und des DOSB sollen Leitlinien erarbeitet werden, wie zurückliegende Fälle sexualisierter Belästigung und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufgearbeitet werden können. Gleichzeitig wurde Gewalt im Kinder- und Jugendsport beim diesjährigen Fachforum Safe Sport thematisiert.

02.12.2021

„GESCHICHTEN DIE ZÄHLEN“ ist die Botschaft der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Geschichten von Betroffenen sexualisierter Gewalt im organisierten Sport bilden das Fundament für das Projekt Aufarbeitung. Im gemeinsamen Projekt von dsj und DOSB geht es darum, Leitlinien zu erstellen wie es Sportverbänden und -vereinen gelingen kann, zurückliegende Fälle sexualisierter Belästigung und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufzuarbeiten. Dabei war es das Anliegen des Kick-Offs am 12. November 2021, die Ziele und den partizipativen Projektablauf des Projektes Aufarbeitung sexualisierter Belästigung und Gewalt im Detail vorzustellen und mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen.

Eröffnet wurde die Veranstaltung gemeinsam von Stefan Raid, 1. Vorsitzender der dsj, und Dr. Petra Tzschoppe, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung. Stefan Raid sagte zu Beginn:

„Vor etwa einem Jahr hatten wir die Möglichkeit beim öffentlichen Hearing der Aufarbeitungskommission durch die Berichte der Betroffenen tiefe Einblicke zu bekommen, was passiert, wenn Sportvereine kein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche sind.“

Die Impulse, die die Betroffenen gegeben haben, sollen in Zusammenarbeit mit Vertreter/-innen aus dem Sport, den Mitgliedsorganisationen des DOSB und der dsj, der Wissenschaft, Politik und Gesellschaft die Basis für ein gemeinsames Verständnis bilden. Karola Kurr, Referentin bei der dsj im Projekt Aufarbeitung, hat im Gespräch mit Marie Strube, die erstmals beim Hearing vor einem Jahr ihre eigene Geschichte als Betroffene geteilt hat, hinterfragt, was aus Betroffenensicht die richtigen Schritte sind und was bei der Erstellung von Handlungsleitlinien für den organsierten Sport am wichtigsten ist. Marie Strube im Interview:

„Was ich schön finde, dass ich schon mittendrin bin, dass ihr da schon was ganz richtig macht, weil ich in den Prozess eingebunden werde und die Chance habe, mich dazu zu äußern. Was das Wichtigste für uns [Betroffene] ist, dass wir Ernst und wahrgenommen werden und das man auf unsere Erfahrungen beziehungsweise unsere Wünsche eingeht.“

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Herangehensweise an die Ausgestaltung konkreter Leitlinien und die Frage, was dabei am Ende nicht fehlen darf. Dazu brachte Frau Prof. Sabine Andresen, ehemalige Vorsitzende der Aufarbeitungskommission und Professorin an der Goethe Universität Frankfurt, ihre Erwartungen aus der Perspektive der Aufarbeitungskommission ein. Insbesondere verwies sie auf die Herausforderungen, die die Komplexität der Sportstrukturen mit sich bringen und betonte, dass die Rechte der Betroffenen und die Pflichten der Institutionen das Zentrum in einem Entwicklungsprozess von Leitlinien für den Sport bilden müssen. Frau Prof. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln und ehemalige Leiterin des europäischen Projekts VOICE stellte heraus, dass aus Sicht der Wissenschaft und auf Basis des VOICE-Projekts/Case-Projekts Entschuldigungen und echte Unterstützung von Verantwortlichen die zentralen Inhalte der Leitlinien sein sollten. Und Frau Angelika Ribler aus dem Kindeswohl-Team der Sportjugend Hessen verdeutlichte, dass Aufarbeitung im besten Fall im Konsens zwischen Betroffenen, Verantwortlichen und internen und externen Beratungsstellen erfolgt, denn schließlich sei es das gemeinsame Anliegen, dass Kinder und Jugendliche besser geschützt werden. 

Betroffene mit in Prozess einbeziehen

Stefan Raid zur Vorgehensweise des Projektes Aufarbeitung, welches zum Ende des Jahres 2022 konkrete Handlungsleitlinien für Sportverbände und -vereine im Umgang mit vergangen Fällen sexualisierter Gewalt im Sport herausbringen möchte:

„Das Projekt basiert auf einem partizipativen Dialogprozess. Die Grundlage dafür bilden die Betroffenen und ihre Erlebnisse. Sie können uns helfen, Leitlinien für die Aufarbeitung weiterer Fälle zu erarbeiten. Unser Ziel ist es, alle relevanten Stakeholder in den Prozess einzubeziehen und somit größtmögliche Transparenz zu gewährleisten und Vertrauen in das Projekt zu schaffen. Nur mit der Aufarbeitung der Vergangenheit können wir gemeinsam den Sport in der Gegenwart sicherer machen.“

Auch Dr. Petra Tzschoppe betonte, dass der Start in das Projekt Aufarbeitung sexualisierter Belästigung und Gewalt im Sport gemeinsam mit denjenigen erfolgt, deren Expertisen für gelingende Aufarbeitung unabdingbar sind.

„Neben gesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und sportpraktischen Perspektiven sind es vor allem die Erfahrungen derjenigen, die selbst und unmittelbar von sexualisierter Gewalt im Sport betroffen waren. Sie sind zentral im Aufarbeitungsprozess. Beim Hearing haben sie einen ganz wichtigen Impuls gesetzt, zahlreiche weitere Betroffene haben sich gemeldet. Jetzt sind wir, die Verbände und Vereine, in der Pflicht. Das Projekt Aufarbeitung ist mehr als ein Projekt – es ist eine ständige Aufgabe! Lassen Sie uns diese gemeinsam angehen!“

Sexualisierte Gewalt auch Thema beim diesjährigen Fachforum

Neben dem Projekt Aufarbeitung beschäftigte sich die Deutsche Sportjugend auch beim diesjährigen Fachforum Safe Sport mit dem Thema Gewalt und sexualisierte Belästigung im Kinder- und Jugendsport.

Das Forum Safe Sport bietet jedes Jahr eine bundesweite Austauschplattform zu aktuellen Themen. Das Thema des diesjährigen 12. Forums könnte dabei aktueller nicht sein. Mit fast 140 Teilnehmenden, darunter viele Ansprechpersonen für Prävention sexualisierter Gewalt und Kinderschutz aus den Mitgliedsorganisationen sowie Vertreter/-innen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, diskutierte die Deutsche Sportjugend (dsj) am 18. November 2021.

Um mehr Erkenntnisse über die verschiedenen Gewaltformen im Sport zu erlangen, ist die Wissenschaft stets ein wichtiger Partner an der Seite der dsj. 2018 hat sie sich dazu entschieden, Praxispartnerin im europäischen Forschungsprojekt CASES „Child Abuse in Sport: European Statistics“ zu werden, das zu diesem Zeitpunkt erstmalig eine Studie zur Häufigkeit von Erfahrungen mit sexualisierter, physischer und psychischer Gewalt von Kindern und Jugendlichen im organisierten Sport im Vergleich mit sechs europäischen Ländern entwickelte. Die Ergebnisse für Deutschland wurden während des Forums erstmalig von Prof. Dr. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln präsentiert und eingeordnet.

„Die Ergebnisse zeigen, dass für uns – die Verantwortlichen im organisierten Sport – eines immer an erster Stelle stehen muss:  Wir müssen uns jeglicher Form von Gewalt, insbesondere im Kinder- und Jugendsport, mit aller Kraft entgegenstellen”, machte Stefan Raid, 1. Vorsitzender der dsj, deutlich.

Die dsj hat mit dem neuen, erweiterten Handlungsfeld „Kinder- und Jugendschutz im Sport“ ihre strategische Ausrichtung bereits erweitert. Sie richtet ihren Blick zukünftig nicht nur auf sexualisierte Belästigung und Gewalt, sondern öffnet die Perspektive hin zum Schutz vor jeglicher interpersonaler Gewalt im Sport.

Unterschiedliche Expert/-innen waren in diesem Jahr zu Gast und diskutierten gemeinsam mit den Teilnehmenden, u. a. am Beispiel des “Kindeswohl-Teams” der Sportjugend Hessen, wie Gewalt gegen Kinder im Sport ganzheitlich betrachtet werden und mit dem Aspekt des Schutzes vor interpersonaler Gewalt weiterentwickelt werden kann. Die Rechte von Kindern und Jugendlichen im Sport sollten zwingend wahrgenommen werden, denn sie sind das Fundament für die Arbeit im Kinder- und Jugendschutz; es ist nicht nur wichtig, im Sport etwas zu tun, sondern es gibt ein Recht der Kinder und Jugendlichen darauf, dass es getan wird.

Weitere Informationen

Sowohl die Präsentationen als auch die inhaltliche Dokumentation des Fachforums Safe Sport wird auf der dsj-Website veröffentlicht.

Quellen: Deutsche Sportjugend im DOSB (dsj) vom 12.11.2021 und vom 18.11.2021

Redaktion: Silja Indolfo

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