Flucht und Migration
Pflegeeltern: Das System neu denken
Die große Zahl an Zugewanderten und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 rückte Schwachpunkte der institutionalisierten Pflegekinderhilfe in den Fokus, die auch vorher schon bestanden: Den Mangel an Pflegefamilien mit Migrationshintergrund sowie fehlende interkulturelle Kompetenzen und Öffnung. Das PLANB-Projekt PemM suchte hier nach Lösungen. Jetzt erschien der gedruckte Abschlussbericht „Neue Ansätze für die interkulturelle Pflegekinderhilfe“.
26.10.2018
Fast jedes vierte Pflegekind hat einen Migrationshintergrund. Doch diese Quote spiegelt sich längst noch nicht in der Zusammensetzung der Pflegeeltern wieder. Nur sehr wenige Familien mit Migrationsgeschichte und entsprechender Sozialisation interessierten sich bislang für ein Pflegschaftsverhältnis. Zu groß war häufig die Distanz zu dem von außen schwer verständlichen deutschen Pflegekindersystem, das im diametralen Widerspruch zu stehen schien zu den meist (groß-)familiär organisierten tradierten Unterstützungsstrukturen.
Was wird benötigt, um eine kultursensible Pflegekinderhilfe aufzubauen? Wie können gerade diese oft distanzierten Familien erreicht, interkulturell sensibilisiert und professionell geschult werden? Welche Voraussetzungen und Kriterien sollten überprüft und angepasst werden? Welche zusätzlichen Module benötigt die Pflegekinderhilfe, um interkulturelle Schulungskonzepte zu realisieren? In einem Punkt sind sich alle Experten und Praktiker der Kinder- und Jugendhilfe einig: Diese bislang unterrepräsentierten Familien mit Migrationshintergrund bilden ein hohes Potenzial, das die interkulturelle Pflegekinderhilfe enorm bereichern würde.
NRW-weite Bestandsaufnahme
Doch dazu brauchte es nicht weniger als einen Perspektivwechsel im System. Es galt, die vorhandenen Strukturen und Methoden der Pflegekinderhilfe der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Das Projekt „PemM – Pflegeeltern mit Migrationshintergrund“ des interkulturellen Trägers PLANB Ruhr e.V., gefördert von der Aktion Mensch und unterstützt vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW sowie vom LWL-Landesjugendamt Westfalen, untersuchte in den Jahren 2014 bis 2017 genau diese Frage: Wie können Pflegefamilien mit Migrationshintergrund für die Kinder-und Jugendhilfe gewonnen werden
Schwerpunkt der Arbeit war der Informationstransfer über das Pflegefamiliensystem in Deutschland. Am Anfang stand eine NRW-weite Bestandsaufnahme der Migrantenselbstorganisationen und -gemeinden und ihrer Schlüsselpersonen sowie die Erfassung der Pflegekinderdienste in NRW. PLANB informierte die Jugendämter und beteiligte sie – wo gewünscht – an den Infoveranstaltungen in den Gemeinden. In persönlichen Gesprächen mit den Pflegekinderdiensten ging es um die Frage, inwieweit die strengen Auswahlkriterien für Pflegefamilien gelockert und pragmatischer gestaltet werden können, um beispielsweise auch Kandidaten ohne perfekte Deutschkenntnisse oder höhere bis akademische Bildung den Zugang zu ermöglichen.
Alte Standards neu überdacht
Hier rannte das Projekt nicht selten offene Türen ein, denn die vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), mit denen die Jugendämter seit 2015 konfrontiert wurden, hatten bereits dazu geführt, dass alte Standards neu überdacht und der Gedanke einer Neukonzeptionierung mehr und mehr akzeptiert wurden. Das Projekt PemM kam damit genau zur richtigen Zeit. Viele Träger waren bemüht, eine kultursensible Unterbringung der UMF als Pflegekinder oder in Gastfamilien zu sichern, und hatten bereits von sich aus Kontakt aufgenommen mit dem für seine interkulturelle Kompetenz bekannten Träger, der seit 2011 in der Kinder- und Jugendhilfe arbeitet.
In einer Reihe von Infoveranstaltungen wurden mehr als 30 Migrantenselbstorganisationen in NRW und über 600 Interessierte erreicht. Im Ergebnis konnte eine gestiegene Akzeptanz für eine kultursensible Pflegekinderhilfe festgestellt werden, deren Notwendigkeit in vielen Kommunen angekommen ist. Auch bei den Migrantenselbstorganisationen führte die breite öffentliche Flüchtlingsdebatte zu einem verstärkten Interesse an der Pflegekinderhilfe.
Wichtige Erkenntnisse zur Interkulturalität
Die Ergebnisse von PemM wurden im Mai 2017 im Rahmen eines Bundesfachtags mit mehr als 80 Teilnehmenden aus dem ganzen Bundesgebiet vorgestellt. Die Resultate dieses Fachtags flossen ebenfalls ein in den hundertseitigen Projektbericht mit dem Titel „Neue Ansätze für die interkulturelle Pflegekinderhilfe“. Er präsentiert außerdem die Ergebnisse und Prognosen einer bundesweiten Umfrage unter Fachkräften der Pflegekinderhilfe. Unterm Strich brachte das Projekt PemM, wissenschaftlich begleitet von Prof. Dr. Klaus Wolf von der Universität Siegen, wichtige Erkenntnisse zur Interkulturalität der Pflegekinderhilfe, zu den Zugangswegen, Verfahren, Methoden und Qualifizierungsbedarfen der Zielgruppe und Fachkräfte. Die Broschüre „Neue Ansätze für die interkulturelle Pflegekinderhilfe“ (PDF, 4 MB) kann beim LWL-Landesjugendamt Westfalen heruntergeladen werden und ist auch bei PLANB erhältlich.
Quelle: PLANB Ruhr e. V., 26.10.2018
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