Hilfen zur Erziehung

„Kurve kriegen“: NRW-Initiative gegen Jugendkriminalität

Die Polizei in NRW will mit einer neuen einmaligen Initiative verhindern, dass gefährdete Kinder und Jugendliche zu Intensivstraftätern werden. "Sie sollen früh nötige Hilfe bekommen, um sie vor einem Abgleiten in die Kriminalität zu bewahren. Unser Motto lautet: Kurve kriegen", sagte Innenminister Ralf Jäger heute in Düsseldorf.

01.04.2011

Die NRW-Initiative soll im Sommer zuerst in Aachen, Bielefeld, Dortmund, Duisburg, Hagen, Köln sowie im Rhein-Erft-Kreis und im Kreis Wesel erprobt werden. Das Konzept basiert auf den Erkenntnissen der Enquetekommission "Prävention", die im vergangenen Jahr dem Landtag NRW ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Erfahrungen zeigen, dass Intensivtäter häufig bereits vor dem 14. Lebens­jahr durch Gewalt- und Eigentumsdelikte auffallen. "Hier müssen wir mit einem individuellen und sehr konzentrierten Programm ansetzen, weil sich besser im Kindesalter Entwicklungen mit guter Aussicht auf Erfolg beeinflussen lassen", erläuterte Jäger.

Die Polizei erfährt als erstes davon, wenn Kinder Straftaten begehen. Deshalb soll den Modellbehörden ermöglicht werden, gezielt und um­sichtig zu helfen, damit Kinder und Jugendliche noch die "Kurve kriegen". Wir wollen die Arbeit der Jugendämter ergänzen. Geplant ist, pädagogische und psychologische Fachkräfte in die Teams der Polizei einzubinden. Diese kümmern sich dann vor allem um strafunmündige Kinder, die zum Beispiel innerhalb der letzten zwölf Monate durch eine Gewalttat oder drei schwere Eigentumsdelikte aufgefallen sind. Auf jede Straftat soll unverzüglich eine pädagogische Maßnahme erfolgen. Dafür gibt es in Absprache mit den Jugendämtern maßgeschneiderte Ange­bote - vom sozialen Training bis hin zur intensiv pädagogischen Betreu­ung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe 

Sind die Lebensumstände eines Kindes von Gewalt geprägt, spiegelt sich dies in seinem Verhalten. Er schlägt beim kleinsten Anlass zu. Hier kann zum Beispiel ein Coolness-Training helfen, in dem ein Kind durch Rollenspiele lernt, sich nicht provozieren zu lassen. Ohne Unterstützung läuft für viele dieser Kinder die Spirale immer weiter nach unten. Aus diesem Grund sind auch präventive Maßnahmen zur dauerhaften sozialen Integration angedacht, wie beispielsweise Lernhilfen, Sprach- oder Sportkurse.

Die Teams aus Polizei und pädagogischen Fachkräften sollen sich eng mit den Jugendämtern abstimmen und Eltern in das Konzept mit ein­beziehen. Die intensive Betreuung soll mindestens zwei Jahre dauern. Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe oder therapeutische Hilfen erfolgen wie bisher über das zuständige Jugendamt. "Das Team der Polizei ergänzt die Arbeit der Jugendämter", sagte der Minister.

Das grundsätzliche Problem schilderte Jäger anhand von zwei Lebens­wegen von heute 18- und 19-jährigen Intensivtätern: Nachdem Stefans Vater mit mehreren Haftstrafen mit schlechtem Beispiel voran gegangen ist, droht nun auch Stefan der Widerruf seiner Bewährung und damit das Gefängnis. Bereits mit 17 Jahren verbüßte er seine erste Arreststrafe. In den zwei Jahren zuvor hatte er schon 35 Straftaten begangen. Thorsten sitzt zurzeit wegen Einbrüchen und Raubüberfällen in Haft. Er ist seit dem 15. Lebensjahr drogenabhängig. Thorsten besuchte die Haupt­schule, schwänzte aber oft den Unterricht. Er beraubte und verprügelte seine Mitschüler, während er als Grundschüler durch Stehlen auffiel. Stefan beendete seine Schulzeit ebenfalls auf der Hauptschule, nach­dem er mit 15 Jahren schon vom Gymnasium zur Realschule ge­wechselt hatte. Die ersten kriminellen Erfahrungen sammelte er im Alter zwischen 10 und 13, indem er klaute und auch schon mal zuschlug. Beide Jungen wuchsen in einem sozialen Brennpunkt auf, hatten straffällige Geschwister und Mütter, die mit der Erziehung überfordert waren.

"Die traurigen Beispiele zeigen: Wir müssen genau hinschauen und frühzeitig handeln. Diese Entwicklung müssen wir anderen Jugendlichen ersparen und ihnen stattdessen eine Zukunftsperspektive geben", be­tonte der Innenminister. "Hätte die Polizei die Möglichkeit gehabt, direkt ein nachhaltiges Hilfsprogramm für Thorsten und Stefan anzubieten, wären wahrscheinlich viele Straftaten und Opfer vermieden worden. Stefan würde vielleicht sein Abitur und Thorsten eine Ausbildung machen."

Im vergangenen Jahr gab es in NRW 3.969 mehrfachtatverdächtige Kinder und Jugendliche, die rund 30.000 Straftaten begingen. Damit verübten sechs Prozent der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen fast ein Drittel aller Straftaten ihrer Altersgruppe. "Diese Zahlen belegen: Es ist fünf vor zwölf. Wir setzen mit unserer NRW-Initiative den Hebel früher und damit effektiver an. Nachhaltig und dauerhaft," erklärte Jäger. "Jedes Kind, das mit unserer Hilfe die Kurve kriegt, ist ein Gewinn. Ein Gewinn für den persönlichen Lebensweg und ein Gewinn für unsere Gesellschaft".

Weitere Informationen zum Präventionsprogramm finden sich unter: http://www.mik.nrw.de/hom/74.htm#

Quelle: Das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen

 

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