Hilfen zur Erziehung
Jugendämter halten Kinderschutz auch in Corona-Krise aufrecht – Jugendhilfeb@rometer zeigt Sorgen um unerkannte Risiken
In den Jugendämtern in Deutschland sind während des Corona-Lockdowns nicht mehr Hinweise auf Gewalt gegen Kinder eingegangen als üblich. Das zeigt eine Online-Befragung für das aktuelle „Jugendhilfeb@rometer“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI), an der zwei Drittel aller Jugendämter teilgenommen haben. Demnach ist die Zahl der Gefährdungsmeldungen bei 55 Prozent der Ämter im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Krise gleich geblieben, bei 25 Prozent ist sie zurückgegangen.
19.06.2020
Lediglich bei 5 Prozent der Jugendämter gingen mehr Meldungen ein, 15 Prozent trauen sich noch keine Aussage zu. Expertinnen und Experten hatten befürchtet, dass die Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie in vielen Familien zu Krisen führen könnten.
Als Entwarnung wollen die Jugendämter diese Beobachtung allerdings nicht verstehen. „Die Ämter sehen die Zahlen zwiespältig“, berichtet Dr. Liane Pluto, wissenschaftliche Referentin, die mit vier weiteren Forschern des DJI an der Erhebung gearbeitet hat. Einerseits ist offensichtlich in vielen Regionen kein Anstieg der Gefährdungsmeldungen zu verzeichnen, „viele Verantwortliche in den Ämtern befürchten jedoch, dass Vorfälle unerkannt bleiben.“
Höchste Priorität besitzt der Kinderschutz
Die Jugendämter in Deutschland konnten ihre Aufgaben in der Zeit des Corona-Lockdowns größtenteils fortführen. Gerade der Kinderschutz hatte dabei höchste Priorität: So sind die Jugendämter weiterhin Gefährdungsmeldungen nachgegangen, haben gegebenenfalls Hausbesuche durchgeführt und in Krisensituationen Kinder in Obhut genommen. Auch die mitunter aufwändigen Hilfeplanungen mit jungen Menschen und ihren Familien haben 87 Prozent der Jugendämter weiterhin durchgeführt, wobei sich ein Teil der Jugendämter dabei auf Fälle mit Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung konzentriert hat.
Gleichzeitig war die Kommunikation mit Rat- und Hilfesuchenden aufgrund der Kontaktbeschränkungen erschwert. Ein Drittel der Jugendämter musste in seinen allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) sogar auf direkten, persönlichen Kontakt zu seinen Adressaten verzichten. Dies hat die Unsicherheit dieser Ämter über die tatsächliche Lage in den Familien deutlich verstärkt: Hier fanden es fast doppelt so viele Jugendämter problematisch, Hilfebedarf festzustellen oder den Kinderschutz aufrechtzuerhalten, als in jenen Jugendämtern, die weiterhin direkten, persönlichen Kontakt anbieten konnten.
Neue Kommunikationsangebote an Familien
Um trotz der Kontaktbeschränkungen Probleme und Unterstützungsbedarfe von Familien frühzeitig zu erkennen, haben viele Jugendämter ihre Kommunikationsangebote erweitert. Etwa die Hälfte der Jugendämter (47 Prozent) hat beispielsweise zusätzliche Kapazitäten für Online-, Telefon- und Chatberatung bereitgestellt. Aber auch ganz neue Formate wurden gefunden, wie „Walk and Talk“: Das sind gemeinsame Spaziergänge mit Familien, um Herausforderungen und Probleme zu besprechen. Trotzdem wiesen die Jugendämter in der Befragung darauf hin, dass es während der Corona-Krise besonders schwierig gewesen sei, Unterstützungsbedarfe bei Kindern und Familien zu erkennen und die jungen Menschen und ihre Eltern angemessen einzubinden.
Herausfordernd war es für die Jugendämter auch, ihre weiteren Angebote jenseits des Kinderschutzes aufrecht zu erhalten. 61 Prozent der Ämter haben wegen der Pandemie ihre Leistungsvielfalt eingeschränkt. So wurden zwar fast überall Angebote zur Erziehung wie etwa ambulante Hilfen und stationäre Unterbringungen trotz der Einschränkungen neu begonnen oder fortgeführt. Präventive Angebote hingegen musste ein Teil der Jugendämter aussetzen. „Die Ämter bemühen sich, so viel es geht zu ermöglichen“, sagt Liane Pluto. „Trotzdem liegt einiges brach: Es ist kein Jugendzentrum offen, die Krabbelgruppen sind geschlossen, Müttertreffs finden nicht statt."
Herausforderungen für Jugendämter in Corona-Zeiten
In der Summe zeigt das „Jugendhilfeb@rometer“, dass die Jugendämter in Deutschland in der Corona-Krise vor vielen Herausforderungen stehen. Ihre Kontaktmöglichkeiten sind beschränkt, sie müssen bei ihrer Arbeit den Infektionsschutz sicherstellen und zusätzliche technische Ausstattung organisieren. Mit anderen Stellen können sie nur eingeschränkt kooperieren, und auch die eingespielte Kommunikation mit Lehrerinnen und Lehrern sowie Ärztinnen und Ärzten fällt weg. Hinzu kommen Personalausfälle und weniger Hilfemöglichkeiten aufgrund von Einschränkungen bei Anbietern von Hilfen oder anderen Stellen. Trotzdem ist es den Ämtern und ihren sozialen Diensten gelungen, ihre Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten, einen Großteil ihrer Aufgaben weiterhin zu erfüllen und vor allem ihren Kinderschutzaufgaben nachzukommen.
„Jugendhilfeb@rometer“ des Deutschen Jugendinstituts
Das „Jugendhilfeb@rometer“ ist eine Online-Erhebung des Projekts „Jugendhilfe und sozialer Wandel ‒ Leistungen und Strukturen“ am Deutschen Jugendinstitut. Vom 23. April bis zum 12. Mai 2020 haben daran 65 Prozent der insgesamt 575 Jugendämter in Deutschland teilgenommen. Ziel der Erhebung war es, empirisch belastbare Aussagen zu den Folgen der coronabedingten Einschränkungen auf die Arbeit der Jugendämter machen zu können.
Die aktuelle Ausgabe des DJI-Jugendhilfeb@rometer bei Jugendämtern (PDF, 679 KB) steht beim Deutschen Jugendinstitut zur Verfügung.
Dort finden sich auch weitere Informationen des Projekts Jugendhilfe und Sozialer Wandel – Leistungen und Strukturen.
Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Termine zum Thema
-
08.04.2024
Elternarbeit mit Herausforderungen - Dem Widerstand widerstehen
-
09.04.2024
Beteiligung von Kindern im Kinderschutz – wie kann das gehen?
-
09.04.2024
Zusammenarbeit von Familiengericht und Jugendamt nach der Vormundschaftsrechtsreform
-
19.04.2024
Basiskurs Kindeswohlgefährdung § 8a SGB VIII – Handlungskompetenz im Krisenfall
-
06.05.2024
Stabilisierung in der Inobhutnahme – In der Krise die Ruhe bewahren und Stabilisierung fördern
Materialien zum Thema
-
Broschüre
Selbstorganisation von Eltern in der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe fördern und ermöglichen - Anforderungen und Bedarfe von Eltern in der stationären Kinder- und Jugendhilfe - Abschlussbericht
-
Artikel / Aufsatz
Verdacht auf innerfamiliären sexuellen Missbrauch: Herausforderungen und wie der ASD trotz und mit ihnen gut umgehen kann
-
Bericht / Dokumentation
Videos mit Vorträgen zur Thematik "Digitalisierung und Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe"
-
Expertise / Gutachten
Rechtsgutachten des DIJuF: "Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe"
-
Zeitschrift / Periodikum
AFET-Fachzeitschrift Dialog Erziehungshilfe 4-2023
Projekte zum Thema
-
Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH
JAdigital. Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionell gestalten
-
Perspektive gGmbH Institut für sozialpädagogische Praxisforschung und -entwicklung
Inobhutnahme – Perspektiven: Impulse!
-
Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt
-
Therapeutisches Internat Sternstunden-Mattisburg am Chiemsee
-
Philipps-Universität Marburg
Corona-Befragung für Familien
Institutionen zum Thema
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
faX Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend für Stadt und Landkreis Kassel
-
Verband / Interessenvertretung
Interessengemeinschaft Kleine Heime & Jugendhilfeprojekte Schleswig-Holstein e.V.
-
Jugendamt
Bezirksamt Pankow
-
Stiftung / Fördereinrichtung
Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Kommunales Bildungswerk e.V.