FH-Expertin

Heimerziehung braucht mehr Digitalisierung

Die Corona-Pandemie hat die Probleme von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen und Heimen verschärft. Vor der Kinderkommission des Deutschen Bundestages forderte Prof. Dr. Nicole Knuth, Sozialwissenschaftlerin an der Fachhochschule Dortmund, mehr Digitalisierung in den Heimen, mehr Beteiligung und mehr Bildungsgerechtigkeit.

18.01.2021

Der Zugang zu Internet und digitalen Medien gelte als zentraler Faktor für die soziale und kulturelle Teilhabe junger Menschen, betont die Expertin Nicole Knuth. Nicht alle Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe seien dafür gerüstet. „Die Jugendlichen berichteten uns von strengen Regeln, die wenig individualisiert seien. Und in der Handyzeit breche dann auch noch das WLAN weg“, so Nicole Knuth. Gerade mit den Pandemie-bedingten Kontaktbeschränkungen hätten Maßnahmen wie das Einsammeln von Handys in den Wohngruppen der Erziehungshilfe die Kommunikation der Jugendlichen mit Freunden und Familienangehörigen erschwert, betonte die Wissenschaftlerin der FH Dortmund vor der Kinderkommission des Bundestags. „Dieses darf im aktuellen Lockdown nicht wieder passieren.“

Beteiligung nicht weitreichend genug verankert

Prof. Dr. Nicole Knuth hatte zuletzt ein Semester lang intensiv zur Heimerziehung geforscht und beim „Zukunftsforum Heimerziehung" der Internationalen Gesellschaft für Erzieherische Hilfen den Austausch mit Eltern, Fachkräften, Jugendlichen und ehemaligen Heimbewohner/-innen begleitet.

„Neben notwendiger Digitalisierung zählen verbesserte Kontaktmöglichkeiten zu Familie und Freunden zu den zentralen Wünschen“, berichtet Nicole Knuth. In jeder Kita gebe es heute einen Elternbeirat, doch in Heimen sei das noch immer eine Besonderheit. Die Beteiligungsrechte von Kindern wie auch Eltern müssten durch den Gesetzgeber gestärkt werden. Inzwischen geplante Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) seien richtig, aber noch nicht weitreichend genug, „gerade mit Blick auf die Einbeziehung von Eltern“, sagte sie vor der Kinderkommission.

Recht auf Bildung umsetzen

Zudem fordert Nicole Knuth das Recht auf Bildung der Jugendlichen in Heimen besser zu verankern. „Schulbildung steht in der Heimerziehung zumeist nicht an oberster Stelle“, fasst sie zusammen. Das hätte sich in der Corona-Krise während des ersten Lockdowns verstärkt gezeigt, als Anfang des Jahres alles auf Home-Schooling umgestellt wurde. Viele Wohngruppen waren überfordert und wurden weder finanzielle noch personell aufgestockt, um den Anforderungen des aktuellen Lockdowns gerecht zu werden. „Auch von den Jugendlichen selbst wird immer wieder der Wunsch nach mehr Nachhilfe oder Geld für Bildungsmaterialien vorgetragen“, berichtet Nicole Knuth aus den Werkstattgesprächen des Zukunftsforums.

Moderne Heimerziehung durch neue Konzepte und mehr Medienkompetenz

Neben Gesetzen und finanziellen Mitteln brauche es auch neue Ansätze in der Ausbildung von Erzieher/-innen und Sozialarbeiter/-innen. „Digitalisierung fordert moderne Medienpädagogik und um Eltern am Alltag der Kinder im Heim besser zu beteiligen, sind neue Konzepte nötig“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Auch müsse Heimerziehung wieder regionaler werden. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine zunehmende Spezialisierung der Wohngruppen auf Verhaltensmuster der Jugendlichen gesehen“, so Nicole Knuth. Dies führe zu teils sehr langen Anfahrtswegen und dadurch zu weniger Kontakt zur Familie. Diese Entwicklung müsse wieder umgekehrt werden, um moderne Heimerziehung zukunftsfähig zu machen.

Hintergrund

Die Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission) gibt es seit 1988. Sie vertritt die Interessen von Kindern und Jugendlichen im Parlament. In Expert(inn)en-Anhörungen entwickeln die Mitglieder der Kommission Standpunkte und daraus Handlungsempfehlungen für den Familienausschuss des Bundestags. Beschlüsse der Kommission müssen mit einer Zweidrittel-Mehrheit gefasst werden. Am 16. Dezember 2020 hat die Kinderkommission mehrere Expert(inn)en zum Thema „Fremdunterbringung – kein Weg aus der Wohngruppe“ gehört.

Quelle: Fachhochschule Dortmund vom 17.12.2020

Redaktion: Kerstin Boller

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